Lord des Herbstreiches

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Azriels Puls raste, als er in die Augen des Mannes sah, der seiner Frau all dieses Leid angetan hatte. Er spürte, wie seine Schatten um Beron herum aufbrausten und sich wie eine Kobra um dessen Körper schlangen.

Seine Schatten waren durchaus in der Lage auf seinen Befehl hin zu töten. Und nichts hätte er je lieber gemacht, als ihm das Leben zu nehmen.

Alleine für die Narbe in Ophilies Gesicht wegen würde er ihn quälen und diesen Mann langsam und grausam abschlachten.

Er löste sich von seiner Frau und trat auf Beron zu, der ihn mit eisiger Miene betrachtete.

Azriels Stimme war fest, klar und stark. Auch ohne zu schreien hörte ihn bereits jetzt ein jeder aus dem Raum zu. Stille war eingekehrt und alle Blicke lagen auf ihm. „All die Jahre, in denen Ihr Eure Tochter Tag für Tag, wieder und wieder versucht habt, töten zu lassen, gab es für mich nur diesen einzigen Grund, warum ich bis jetzt, seit ich davon erfahren habe, nicht auf direkten Weg zu Euch geflogen bin und Euch die Kehle mit meinen Dolch aufgeschlitzt und Euch jämmerlich ausbluten lassen habe. So wie Ihr es am liebsten selbst mit Ophilie gemacht hättet."

Beron lächelte abwertend. „Welchen, Rohling? Ich bin entzückt darüber, es zu erfahren."

Azriels Atem wurde schwer als erneut Luft holte und seine Wut damit versucht im Zaun halten. „Weil ich wusste, dass ich dann nicht besser bin als Ihr. Eure Tochter jemanden verdient, der besser ist als Ihr es seid. Und glaubt mir, es gab Nächte, in denen es mir egal war, Ophilie mit jemand Anderen und Besseren zusammen zu wissen, nur damit ich sie rächen kann und dabei zusehen kann, wie Ihr langsam durch meine Hand ausblutet!"

„Aber du warst zu egoistisch um sie gehen zu lassen, nicht wahr? Dass bist du schon seit vielen Jahrhunderten."

„Ja." antwortete Azriel sofort und ohne zu zögern und lief langsam auf den High Lord zu. „Ja, ich vergaß all meine Vorsätze, meine Versprechen an Eure Tochter, als ich sie fast tot vor ihrer eigenen Haustür gefunden habe. Ich wollte sie gehen lassen. Ich wollte ein neues Leben anfangen und ihr die Freiheit geben, die sie verdient hat." Azriel blieb vor Beron stehen. Die Augen des Schattensängers verfärbten sich zu einem dunklen Braun. Seine Hände bebten vor Wut und der Gier, Ophilies Vater die Kehle durchzuschneiden oder die Schatten ihm die Lebensenergie nehmen zu lassen.

Selbst Kallius trat einen Schritt zurück und schien das Schicksal des High Lords in Azriels Hände zu legen. Er nickte ihm anerkennen zu. Zustimmend, wie Azriel bemerkte. Er dürfte Rache nehmen. Er.

Doch der Schattensänger blieb auch weiterhin ruhig und ließ seine Stimme sich nicht mit Wut verfärben. „Aber irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht begreifen kann, haben mir die Götter oder der Kessel selbst, eine Göttin zur Gefährtin geschenkt, deren Herz das ehrlichste und schönste ist, was ich bis heute kennengelernt habe. Und ich habe es akzeptiert. Weil ich sie liebe. Weil ich ohne sie nicht klar denken kann. Weil sie mein Halt ist. Weil sie mich auffangen kann, wenn es sonst kein anderer kann. Weil sie mich ohne Worte versteht und mich so akzeptiert, wie ich bin - auch wenn ich das selbst bis heute nicht kann. Ihr habt keinerlei Ahnung davon, welchen Menschen Ihr seit Jahrhunderten jagt und noch weniger wisst Ihr, was Ihr für eine wunderbare Tochter gehabt habt. Wenn Ihr nur ein kleines bisschen von Eurem Verlangen nach Macht absehen würdet und Euch auch nur einen Hauch mit Ophilie befassen würdet, würdet Ihr nie wieder aufhören, Euch selbst dafür zu hassen, was Ihr ihr angetan habt.
Ich würde für diese Frau, meine Frau", sagte Azriel nun deutlich bedrohlicher und ließ seine Schatten nun wesentlich stärker um den High Lord aufwirbeln, „bis ans Ende aller Welten gehen, mir die Hände wieder und wieder verbrennen lassen und mir die Flügel nehmen lassen, als ohne sie zu leben."

„Verliebter blinder Narr." grunzte Beron, doch Azriel erkannte zum ersten Mal wirklich die Angst in seinen Augen.

„Azriel." hörte der Schattensänger seinen Bruder Rhysand langsam und vorsichtig sagen. Ein Ton der deutlich machte, dass Rhysand seinen Bruder bat, sich die Selbstjustiz nochmal zu überlegen.

„Keine Sorge, Rhysand. Ich habe nicht vor, ihn zu töten. Weder soll an meinen noch an Ophilies Händen sein Blut kleben. Wenn meine Frau den Herbstthron besteigen wird, soll ihr nicht das Blut des vorherigen High Lords an den Händen kleben."

Azriel ließ kein Platz mehr für Spekulationen. Alle sollten wissen, dass sie seine Gefährtin war. Seine Frau. Dass er zu ihr gehörte und für ihren rechtmäßigen Platz kämpfen würde.

Kallius gab ein Handsignal und plötzlich tauchten zwei Wachen auf, die den High Lord des Herbsthofes an den Armen packten und mit magischen Fesseln an sich banden. Jeweils ein Arm und Bein wurde an den eines Wachen befestigt. Eine Flucht war nicht mehr möglich. „Hiermit bist du festgenommen, High Lord Beron und wirst wegen des Mordes an unserer Göttin Odluna und den versuchten mehrfachen Mordes an Göttin Ophilie angeklagt. Dein Prozess soll ehrlich und fair werden. Doch sei gewarnt; wenn Ophilies Behauptungen stimmen, wird es dich mehr als nur das Leben kosten."

Thesans Stimme erhob sich nun ebenfalls wieder. „Und da High Lord Beron nun vorerst aus seiner Position als High Lord entlassen ist, wird die rechtmäßige Thronübergabe an Eris übergehen."

Ophilies Bruder grinste. Und für eine Sekunde hatte Ophilie wirklich das Gefühl, als würde Eris sie nur benutzt haben, um an seine Ziele zu kommen. Doch da grinste er sie mit einem Lächeln an, dass ehrlicher und glücklicher nicht sein konnte. Er reichte ihr die Hand. „Meine erste Entscheidung als High Lord des Herbstreiches ist es, meine Schwester Ophilie zur High Lady des Reiches zu machen. Sie und das Reich haben es beide verdient."

Ophilie schluckte schwer und wusste kaum noch wohin mit ihren Gefühlen. Zum Glück war Azriel in ihrer unmittelbaren Nähe und streichelte ihr unterstützend den Rücken. „Meinen Glückwunsch, High Lady Ophilie."

Ophilie lächelte zufrieden auf. „Vielen Dank, Lord des Herbsthofes."

Azriel verlor alle Farbe aus seinem Gesicht. „Beim Kessel, an diesen Titel habe ich gar nicht gedacht."

Nun gesellte sich auch Rhysand zu dem Trio, wünschte Eris und Ophilie seine Bewunderung und Glück zu und schlug dann brüderlich seinem Bruder auf die Schultern. „Ein Illyraner auf dem Herbstthron. Es wird mit uns immer verrückter!"

Azriel gab nur einen brummenden Laut von sich und versank erneut in Gedanken.

Doch Rhysands Miene wurde finsterer, als er erst seinen Bruder musterte und dann Ophilie. „Wieso habt ihr beiden es eigentlich nicht für nötig gehalten, uns zu erzählen, dass ihr inzwischen vermählt seid?"

Azriel lachte finster auf und nahm die Hand seiner Frau in seine. „Ich dachte mir; mach's wie dein Bruder damals. Eine plötzlich Krönung und Vermählung sprengt doch jede gute Party."

Das Lachen, das aus Rhys Kehle kam, schallte noch lange im Versammlungsraum der High Lords und High Ladys nach.

A Court of Fire and Ice | Azriel Fanfiction  | Watty 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt