kapitel 23 : ocean ist geschichte

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Die Stunden vergingen zäh auf der Flying Dutchman. Der Sturm war abgeklungen, doch die Luft blieb schwer und bedrückend, als ob das Meer selbst auf das Gewicht der Schulden, die hier beglichen werden mussten, reagierte. Der Himmel war grau und wolkenverhangen, der Horizont verschwamm in der Ferne, als gäbe es kein Ende der Welt mehr, nur unendliche Weiten aus Wasser und Nebel. Will war nicht der Typ, der einfach dasaß und auf das Unvermeidliche wartete. Er packte mit an, sobald er konnte. Die Crew, diese gespenstischen Gestalten, die längst keinen Funken Menschlichkeit mehr in sich trugen, beobachteten ihn stumm, als er an Deck arbeitete. Niemand sprach ein Wort. Es war ein endloses Schaben und Klirren von Ketten, das leise Knarren der Masten im Wind, das ferne Murmeln der See.

Nanami war ebenfalls unermüdlich. Obwohl sie das Gewicht ihrer eigenen Schuld auf den Schultern spürte, konnte sie nicht einfach stillstehen. Sie war es gewohnt, auf einem Schiff zu arbeiten, und die Flying Dutchman war trotz ihres finsteren Schicksals nicht anders als jedes andere Schiff, das den Ozean durchquerte. Sie zog an den Seilen, half, die Segel zu setzen, und schloss sich den Bemühungen der Crew an, das Schiff in Schuss zu halten. Ihre Hände waren rau und schmutzig, aber sie beschwerte sich nicht. Jeder Handgriff, jeder Knoten lenkte sie von den Gedanken ab, die sie quälten. Will beobachtete sie gelegentlich, wenn er dachte, sie würde es nicht bemerken. Ihre Bewegungen waren präzise, fast mechanisch, und doch konnte er den Schmerz in ihrem Gesicht sehen. Nanami, die einst stolze Kapitänin, jetzt eine Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit. Er verstand, dass sie mit ihrer Arbeit versuchte, die innere Leere zu füllen, doch er wusste auch, dass das nicht so leicht war.

"Die Mast-Takelage sichern, Mr. Turner!" Die Stimme des hochrangigen Crewmitglieds, ein kräftiger Mann mit rauem Gesicht, schallte über das Deck. Er war der Bootsmann, und seine Befehle duldeten keinen Aufschub. Will Turner, immer bereit, die Anweisungen der Offiziere auszuführen, reagierte ohne Zögern. Noch während er losstürzte, bewegte sich eine weitere Gestalt mit ihm. Ein flüchtiger Gedanke durchzuckte Nanamis Bewusstsein, als sie die beiden Männer in Aktion sah. *Stiefelriemen Bill*, dachte sie. Wills Vater. Doch die bedrohliche Stille, die sich plötzlich aufbaute, ließ ihr Herz schneller schlagen. In diesem Moment explodierte ein lauter Knall in der Luft. Eine der schweren Kanonen, die sie eben noch mühsam nach oben gezogen hatten, krachte unheilvoll auf das Deck. Der Aufprall war ohrenbetäubend, Holz splitterte in alle Richtungen.

Nanami schrie auf und sprang instinktiv zurück. Ihre Füße fanden keinen festen Halt, sie stolperte und landete unsanft auf dem harten Deck. Der Schock schoss durch ihre Glieder, doch ihr Blick blieb unweigerlich auf die Szene vor ihr gerichtet. „Helft dem Mistkerl auf die Füße!" brüllte das hochrangige Crewmitglied, der Bootsmann, mit aufbrausender Wut. Will Turner war noch immer in der Luft, sein Körper unnatürlich durch die Wucht des Unfalls nach oben gezogen. Er hatte das Seil nicht losgelassen – im Gegensatz zu Stiefelriemen Bill, der jetzt neben ihm stand, bleich und fassungslos.

"Fünf Peitschenhiebe! Damit du dir merkst, dass man festhalten muss!" Die drohende Stimme des Bootsmanns schnitt durch die Luft wie ein Messer. Er trat auf Will zu und hob bereits den Arm, bereit, die Strafe zu vollziehen. Doch noch bevor die Peitsche ihr grausames Werk beginnen konnte, packte Stiefelriemen Bill seine Hand. Ein Ruck ging durch die Menge.  „Du behinderst mich bei meinen Pflichten! Auch du wirst bestraft!" Der Bootsmann brüllte, seine Stimme ein knurrendes Ungeheuer aus Wut und Macht. Seine Augen blitzten vor Zorn, und die Bedrohung, die von ihm ausging, schien das gesamte Deck zu umhüllen.

Stiefelriemen Bill, der sich wie ein Felsen inmitten des aufbrausenden Sturmwindes verhielt, antwortete ruhig und mit einer unerschütterlichen Festigkeit: „Bestraf nur mich." Sein Blick war fest und entschlossen, als würde er sich dem unvermeidlichen Schicksal stellen. In dem Moment, als diese Worte durch die Luft schnitten, breitete sich eine gespenstische Stille über das Deck aus. Jeder Atemzug schien zu verharren, jeder Klang erstarrte, als ob die ganze Welt den Atem anhielt. Dann, wie aus dem Nichts, durchbrach eine Stimme die Stille, eine Stimme so tief und kalt, dass sie jede Faser von Nanamis Körper durchdrang.

NANAMI || ᵗʰᵉ ᵖⁱʳᵃᵗᵉˢ ᵒᶠ ᵗʰᵉ ᶜᵃʳⁱᵇᵇᵉᵃⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt