kapitel 32 : wohl kaum sein

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Nanami summte leise vor sich hin, während ihr kleines Boot sanft durch das neblige Wasser glitt. Der Fluss war ruhig, doch die Luft war erfüllt von einer ungreifbaren Spannung, als ob jeder Moment eine Wendung bringen könnte. Der Nebel waberte dicht über dem Wasser, verschlang das Licht und verschleierte die Welt um sie herum. Mit ruhigen, kräftigen Ruderschlägen führte sie ihr Boot weiter den Fluss entlang. Jeder Schlag des Ruders war bedacht, kontrolliert, fast lautlos, als würde sie die Ruhe des Morgens nicht stören wollen. Ihr Kopf war von einem chinesischen Strohhut bedeckt, der sie vor den feuchten Nebelschwaden schützte. Das Outfit, das sie trug, war ebenso traditionell, lose Stoffe, die sie beweglich und leicht hielten, während sie sich ihren Weg bahnte. Ihr Gesicht war teils verschleiert von dem breiten Rand des Hutes, doch ihre Augen blieben wachsam, glitten unaufhörlich über das Ufer. Männer der British Company patrouillierten dort, ihre Silhouetten kaum erkennbar im dichten Dunst.

Während sie ruderte, ließ sie das Piratenlied auf ihren Lippen weiterklingen, summte es in einem sanften, fast melancholischen Ton. „Die Königin wurde vom König entführt. Am Ende siegte er. Es ist vollbracht – Er hat die Macht. Uns gehört das Meer. Jo ho – Zu gleich. Hisst die Flagge – Zeigt sie. Solln sie uns verdammen. Doch wir sterben nie... Jo ho – Steht zusammen. Hisst die Flagge – Zeigt sie. Solln sie uns verdammen. Doch wir sterben nie..." Die Worte des Liedes hallten leise über das Wasser, verschmolzen mit dem Flüstern des Windes, der über den Fluss zog. Nanami spürte die Macht der Worte, die tief in ihr widerhallten. Es war mehr als nur ein Lied – es war ein Ruf, eine Erinnerung an eine verlorene Zeit, an Kämpfe und Siege, an Bündnisse und Verrat.

Mit einem letzten kräftigen Ruderschlag lenkte sie das Boot auf den hölzernen Steg zu. Langsam, bedacht, ließ sie das Ruder sinken und griff nach dem Seil, das am Bug des Bootes befestigt war. Während sie summte, ließ sie die Melodie sanft in ihren Bewegungen widerklingen. Sie beugte sich leicht vor, ihre Hände fanden sicher den rauen, hölzernen Pfosten des Stegs. Das Seil umschlang sie geschickt, zog es straff und knotete es mit einer Leichtigkeit, die ihre jahrelange Erfahrung auf dem Wasser verriet. Der Knoten saß fest, das Boot war gesichert. Noch immer summte sie die Melodie, während sie auf den Steg trat, das nasse Holz knarzte leise unter ihren leichten Schritten. Der Nebel schien sie zu verschlucken, als sie sich umsah, ihre Augen suchten die Umgebung ab. Alles war still – bis auf das gelegentliche Rufen der Männer am Ufer, das in der Ferne widerhallte.

„Manche sind tot und machen leben noch. Andere segeln auf See. Den Schlüssel zum Kerker, den Teufel im Nacken. Wir fahren zum himmlischen Fiddler's Green..." Ihre Stimme wurde leiser, fast ein Flüstern, als sie die Worte des alten Piratenliedes murmelte. Die Glocke ist befreit aus ihrem Wassergrab... hört ihren düsteren Klang..." Für einen Moment hielt sie inne, lauschte. Es war, als könnte sie das ferne Läuten einer Glocke hören, tief und eindringlich, als würde es direkt aus der Tiefe des Wassers emporsteigen. Es war nur Einbildung, und doch – der Klang schien die Kälte des Nebels zu durchdringen, ihr Herz schneller schlagen zu lassen.

„Sie ruft euch all... Folgt ihrem Schall... Nehmt Kurs auf die Heimat..." Ihre Augen funkelten, als sie die letzten Worte leise vor sich hin sprach, dann sah sie auf. Vor ihr lag das unbekannte Ufer, noch immer von der Patrouille bewacht, doch sie war bereit. „Jo ho – Alle zusammen. Hisst die Flaggen. Solln sie uns verdammen..." Der letzte Ton des Liedes erstarb auf ihren Lippen, während sie tief durchatmete, den Griff ihres Schwertes an ihrer Seite prüfte und schließlich entschlossen den Steg entlangschritt. Die See mag ihnen gehören, dachte sie mit einem leichten Lächeln, doch das Land... das Land gehört noch mir.

„Solln sie uns verdammen..." Die fremde Stimme durchbrach den leisen Nebel der Szene, und Nanamis Ohren zuckten leicht, als sie den Klang wahrnahm. Langsam wandte sie ihren Kopf und blickte in die Richtung, aus der die Worte kamen. Direkt vor ihr, nur wenige Schritte entfernt, stand ein Mann – hochgewachsen, mit einem abgenutzten Mantel, der den Eindruck erweckte, als hätte er schon zu vielen Schlachten und zu wenig Siegen beigewohnt. Er lehnte lässig gegen das Gitter, das den Zugang zum Untergrund versperrte. Seine Augen waren auf sie gerichtet, ein selbstgefälliges Grinsen auf seinen Lippen. „Doch wir sterben nie..." fuhr er fort, während er Nanami fest in den Blick nahm. Hinter ihm traten zwei weitere Männer aus dem Schatten, ihre Hände locker auf den Griffen ihrer Pistolen ruhend.

NANAMI || ᵗʰᵉ ᵖⁱʳᵃᵗᵉˢ ᵒᶠ ᵗʰᵉ ᶜᵃʳⁱᵇᵇᵉᵃⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt