kapitel 36 : gott verlassener ort

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Nanami lehnte mit geschlossenen Augen über der Reling, die Kälte schien sich längst in ihr Blut gefressen zu haben, aber anstatt durch die eisige See zu segeln, glitten sie nun durch ein endloses Meer aus Sternen und Nebel. Der Wind trug sanft die melancholischen Klänge eines alten Liedes über das Schiff – die Melodie aus der verzauberten Spieluhr von Tia Dalma, die, wie es schien, das Schiff selbst in eine Art zeitlose Trance versetzte. In diesem Moment hörte sie Schritte hinter sich. "Wie lange wollen wir uns noch anschweigen?" Die vertraute Stimme holte sie abrupt aus ihren Gedanken. Will Turner stand da, die Stirn leicht in Sorgenfalten gelegt, seine Augen jedoch sanft, als er sie anblickte. Nanami richtete sich auf und ließ den Blick zu Elisabeth schweifen, die in der Ferne stand, den Kopf leicht gesenkt, während sie gedankenverloren auf das Meer hinaussah. "Wenn wir Jack retten... dann wird alles gut." Elisabeths Stimme war fest, fast trotzig, doch in ihren Augen lag eine Unsicherheit, die sie nicht verbergen konnte. Will nickte, obwohl die Unsicherheit ihm nicht entging. "Dann retten wir ihn," antwortete er mit derselben Entschlossenheit, die ihm seit Beginn ihrer Reise innewohnte. Doch das Schweigen, das sich daraufhin ausbreitete, war schwer, wie ein Schleier, der sich auf ihre Schultern legte. Elisabeth wandte den Blick ab und ließ die Stille noch für einen Moment zwischen ihnen stehen, ehe sie mit leiser, brüchiger Stimme hinzufügte: "Und wenn nicht für uns, dann für sie." Ihre Worte schienen in der Luft zu hängen, ehe sie sich langsam entfernte und im Schatten des Mastes verschwand. Will blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen, seine Gedanken schienen bei Elisabeth zu verweilen. Dann befeuchtete er seine Lippen, atmete tief ein und wandte sich schließlich zu Nanami, die immer noch an der Reling stand. Langsam trat er zu ihr.

"Für das, was wir uns am meisten wünschen..." begann sie leise, ohne ihn direkt anzusehen, als würde sie ihre Worte mehr an die Sterne über ihnen richten, "...zahlen wir am Ende immer einen hohen Preis." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, erfüllt von einer Weisheit, die weit über ihre Jahre hinausging. Sie drehte den Kopf leicht zur Seite und sah Will schließlich an. Ihr Blick war durchdringend, als könnte sie tief in sein Herz blicken, als könnte sie all die Zweifel und den Schmerz, den er verbarg, in ihm lesen. In diesem Moment schloss sie die Spieluhr, die die süße, traurige Melodie in die Nacht getragen hatte. Das Klicken des Verschlusses hallte wie ein leises Echo über das Deck, und die Welt schien für einen Augenblick den Atem anzuhalten. Will trat näher zu ihr, seine Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. "Wir retten Jack," sagte er schließlich, als wäre das die einzige Wahrheit, an die er sich noch klammern konnte. Doch Nanami schwieg und blickte wieder hinaus in die endlose Weite, wo die Sterne wie unzählige kleine Lichter im Nebel funkelten. Nanami blickte über das Deck, die Anspannung in der Luft war fast greifbar. Der Wind trug die aufgewühlten Stimmen der Crew wie flüchtige Schatten durch die Dunkelheit, während sie auf den Abgrund zusegelten. Plötzlich stürmte Will davon, seine Schritte hastig und entschlossen. Nanami warf ihm einen verwirrten Blick zu, doch ehe sie wirklich begreifen konnte, was ihn getrieben hatte, setzte sie ihm nach. "Barbossa, da vorn!" Wills Stimme durchbrach die Nacht wie ein Peitschenhieb, seine Augen fixiert auf einen Punkt am Horizont, der nur von der Unendlichkeit des Meeres und der Dunkelheit verschlungen wurde. Barbossa hob seinen Kopf und zog seine Augenbrauen zusammen. "Wir haben den Kurs verloren," murmelte er, die Stirn in Sorgenfalten gelegt. "Verloren?" Elisabeths Stimme klang scharf, fast wie ein Vorwurf, während sie sich neben die beiden gesellte, ihre Hände an den Gürtel gepresst, als könnte sie damit den inneren Sturm bezwingen.

Nanami, die ungerührt an der Reling stand, sah über die Schulter zurück, ihre Augen leuchteten im schwachen Licht der Sterne. "Man muss den Kurs verlieren, um einen unauffindbaren Ort zu finden," erklärte sie ruhig, ihre Stimme leise, aber voller Bestimmtheit. "Sonst wüsste jeder, wo er wäre." Will sah sie an, kurz nachdenklich, als wüsste er längst, dass sie wie immer recht hatte. Nanami schien nie zu viel zu sagen, sie sprach nur, wenn es unvermeidlich war, und genau das machte ihre Worte so unbestreitbar. Er konnte den Moment abwarten, wenn ihre vage Prophezeiung sich auflösen würde. "Wir werden schneller," meldete Gibbs plötzlich, seine raue Stimme durch die Anspannung und das Unbehagen an Bord noch lauter. Der Wind wurde stärker, und die Segel knarrten unter der wachsenden Geschwindigkeit des Schiffs. Will warf Nanami einen Blick zu – dieser Blick, den sie so gut kannte, als würde er von ihr Antworten verlangen, bevor sie überhaupt aus ihrer Kehle kamen. Doch diesmal sagte sie nichts, sie beobachtete nur, wie das Schicksal seinen Lauf nahm. "Alle auf die Positionen!" Wills Stimme dröhnte über das Deck, während er das Kommando übernahm. "Ruder Backbord! Haltet den Kurs, so gut ihr könnt!" Doch bevor jemand handeln konnte, durchbrach Nanami seine Befehle. "Befehl zurück!" rief sie und ihre Stimme hallte über das Schiff. "Lasst das Schiff treiben!" Die Crew starrte sie an, Verwirrung breitete sich aus, doch ihre Worte trugen eine Macht in sich, die niemand in Frage stellen wollte. Vor ihnen lag ein schier undurchdringliches Dunkel, das Meer verschwand – und dann sahen sie es: den Wasserfall, der sich ins Nichts ergoss. Sie segelten direkt darauf zu. "Was habt ihr getan?" Elisabeth wirbelte aufgebracht herum, ihre Stimme bebend vor Furcht und Zorn. "Ihr habt unser Schicksal besiegelt!"

NANAMI || ᵗʰᵉ ᵖⁱʳᵃᵗᵉˢ ᵒᶠ ᵗʰᵉ ᶜᵃʳⁱᵇᵇᵉᵃⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt