kapitel 27 : so stehen lassen

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Davy Jones stand reglos, seine Krabbenhand schlaff an seiner Seite, und starrte in die Weiten des dunklen Ozeans. Der Moment der Schwäche, der Schmerz und die Trauer, die für einen Augenblick in seinen Augen aufblitzten, vergingen so schnell wie ein flüchtiger Windstoß. Die Kälte, die ihn all die Jahre am Leben gehalten hatte, kroch langsam wieder in seine Seele zurück, wie die eisigen Wellen, die gegen die Planken der Flying Dutchman schlugen. Sein Gesicht verhärtete sich, die Tentakel an seinem Kinn regten sich unruhig, als er sich wieder in das Monster verwandelte, das die Welt fürchtete. Nanami, die immer noch erschöpft auf den Knien auf dem Deck lag, spürte die Veränderung sofort. Der warme Moment der Menschlichkeit, den sie gerade noch in ihm gesehen hatte, erstarb. Der Vater, der für einen Augenblick durch den Nebel des Fluchs hindurchgeblitzt war, verschwand, und was übrig blieb, war Davy Jones – Kapitän der verfluchten Crew und Herrscher der Tiefen des Meeres.

"Du hast gewonnen," sagte Davy Jones schließlich, seine Stimme kalt, hart und leer. Es war keine Anerkennung, sondern ein nüchternes Zugeständnis, als ob er eine Tatsache feststellte, die ihm unangenehm war. Seine Augen wanderten zu Nanami hinab, doch der Zorn, der eben noch in ihnen gebrannt hatte, war einem finsteren Desinteresse gewichen. "Du darfst dieses Schiff verlassen. Nimm dein Beiboot und verschwinde mit Turner. Du hast, was du wolltest." Seine Worte waren scharf, und in ihnen lag keine Spur von Vaterliebe mehr, nur eine distanzierte, gnadenlose Kälte, die Nanami bis ins Mark traf. Sie hatte sich erhoben, doch ihre Augen suchten immer noch nach einem Funken des Mannes, den sie gerade gesehen hatte. Sie wollte glauben, dass tief in ihm noch etwas übrig war – etwas, das nicht ganz versteinert war. "Vater...," begann sie leise, doch er schnitt ihr sofort das Wort ab, indem er sich abrupt umdrehte, seine Tentakel schossen wütend umher.

"Nenn mich nicht so!" fauchte er, seine Stimme war wie das Brüllen eines Sturms. "Ich bin nicht dein Vater! Ich bin der Kapitän dieses verfluchten Schiffes, und du bist nichts weiter als ein Gast, der seine Gunst verspielt hat. Verlass mein Schiff, solange du noch kannst." Nanami trat einen Schritt zurück, erschüttert von der plötzlichen Härte in seiner Stimme. Sie hatte gehofft, ihn berühren zu können, ihn irgendwie zurück in die Menschlichkeit zu ziehen, doch seine Mauern waren wieder fest errichtet. Der Schmerz in ihrer Brust wuchs, doch sie wusste, dass sie hier nicht mehr willkommen war. Sie hatte das Duell gewonnen – auf eine Weise, die sie nicht erwartet hatte – doch der Preis war hoch. Die Crew hatte das ganze Schauspiel schweigend verfolgt, ihre Augen auf ihren Kapitän und Nanami gerichtet, als ob sie nicht wagten, sich zu bewegen oder gar zu atmen. Sie waren Zeugen eines Moments, der außerhalb ihrer Vorstellungskraft lag. Ihr Kapitän, der erbarmungslose Davy Jones, hatte gezögert. Er hatte ein Duell nicht durch rohe Gewalt entschieden. Und nun standen sie erstarrt da, unfähig zu begreifen, was sie gerade gesehen hatten.

"Bewegt euch!" donnerte Davy Jones plötzlich, seine Stimme klang wieder voll von dem unbarmherzigen Kapitän, den sie kannten. "Bereitet das Beiboot vor. Sie ist nicht länger hier erwünscht." Ein paar der Crewmitglieder zuckten zusammen, bevor sie eilig seine Befehle ausführten. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Das Knarren des Holzes und die hastigen Bewegungen der Crew füllten die Stille, doch keiner sprach. Die Spannung lag wie eine schwere Last in der Luft. Nanami stand still, ihre Augen auf Davy Jones gerichtet. Sie wusste, dass sie nichts mehr sagen konnte, das ihn umstimmen würde. Seine Seele war wieder von der Finsternis umschlossen, und sie konnte ihn nicht länger erreichen. Doch tief in ihr verspürte sie eine leise Hoffnung, dass der Funken, den sie in ihm gesehen hatte, noch nicht ganz erloschen war. Auch wenn er es jetzt nicht zeigen konnte, er war noch da – irgendwo tief in ihm verborgen.

"Du wirst mich nie wirklich loslassen können, Vater," sagte sie leise, bevor sie sich langsam umdrehte und sich dem Beiboot näherte, das für sie und Will vorbereitet wurde. Davy Jones antwortete nicht. Er stand da, mit dem Rücken zu ihr gewandt, und starrte stur auf die weite, endlose See. In seinem Inneren brodelte eine Wut, eine Frustration, die er nicht loswerden konnte – und darunter, verborgen unter Schichten von Zorn und Schmerz, lag etwas, das er nicht benennen konnte. Etwas, das ihn beunruhigte. Die Crew beobachtete, wie Nanami und Will das Beiboot bestiegen. Niemand sprach ein Wort. Es war, als hätte der Sturm, der gerade noch toben wollte, plötzlich die Luft verlassen. Das Meer war noch immer wild, doch die Atmosphäre auf dem Schiff war gespenstisch ruhig. Der Kapitän, der unnahbare, unbesiegbare Davy Jones, hatte ihnen ein Stück seiner Menschlichkeit gezeigt – auch wenn er es nun mit aller Macht leugnete.

NANAMI || ᵗʰᵉ ᵖⁱʳᵃᵗᵉˢ ᵒᶠ ᵗʰᵉ ᶜᵃʳⁱᵇᵇᵉᵃⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt