6 - Stalker

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Noah

"Oh?" Ellies Augen funkeln, und nicht auf eine gute Weise. "Bist du noch ganz dicht?"Ich knie und beginne, die Scherben auf dem Boden mit meinen Händen zusammenzuscharen. Sie fasst mich an der Schulter und hält mich davon ab: "Geht's noch?"

"Ich wollte nur-", beginne ich zu stottern.

"Ellie, lass sie..." Es ist Ina. Ihre Stimme ist ganz sanft. Ich bewundere sie dafür, wie gelassen sie in dieser Situation ist. Sie hat die Decke von der Couch gezogen und sich damit bedeckt.

"Nein." Ellie fährt herum. "Weißt du, dass diese Stalkerin uns nicht zum ersten Mal gefolgt ist? Sie hat uns Samstagnacht bei deinen Eltern beobachtet."

"Ist das wahr?" Ina verschränkt die Arme vor ihrer Brust.

"Ja", antwortet Ellie für mich.

"Es ist...nicht...-", stammele ich und versuche, nach den richtigen Worten zu suchen, "Ich bin euch nicht gefolgt! Ich hab nur..."

"Ganz casual, wie es normale Leute tun, vor eurem Fenster gelungert und euch beim Rummachen beobachtet wie ein Perverser", beendet Ellie meinen Satz mit verstellter Stimme.

"Ich bin kein Perverser", sage ich leise. Ellie funkelt mich immer noch wütend an, verkneift sich aber einen Kommentar. Zum ersten Mal in dieser Situation habe ich einen Moment, um sie wirklich wahrzunehmen, mehr als ihre wütenden, braunen Augen. Sie trägt einen dunkelgrauen Spitzen-BH und ein rosa Jersey-Höschen, das ihr tief auf der Hüfte sitzt. Auf der Hinterseite steht in pinkfarbenen Buchstaben "Bite Me" – das weiß ich, auch ohne dass sie sich umdreht, weil ich zuhause das gleiche habe.

Obwohl ihre Haare verwühlt sind, sich ihr Pferdeschwanz gelöst hat und einige braune Strähnen ihr ums Gesicht fallen, sieht sie immer noch gut aus. Irgendwie sexy sogar. Ein statisches Kribbeln durchläuft meinen Körper, so als hätte mich jemand unter Strom gesetzt. Ich frage mich, ob ich so eben auch ausgesehen habe. Bestimmt nicht. Mein Körper ist nicht so definiert wie Ellies. Ellie hat diese ewig langen, leicht gebräunten Beine und schlanke, muskulöse Beine wie Michelle Obama. Sie sieht selbst dann lässig aus, wenn sie nur so da steht und auch die Wut steht ihr gut.

Wenn ich es mir recht überlege, kann ich David in ihr erkennen. Sie beide haben diese anziehende Präsenz in der Art, wie sie sich bewegen. Ich weiß, wenn sie den Raum betreten, schwingt die Luft und alle Aufmerksamkeit gilt, auch wenn nur für einen kurzen Moment, ihnen. Ihre Haare haben das gleiche Braun. Und trotzdem ist etwas an Ellie...anders.

Ich denke daran, wie sie Inas Bauchnabel geküsst hat. Sanft und bestimmt, als wüsste sie genau, was sie wollte. Als wäre sie bereit, es sich zu holen, ohne die geringste Art von Vulgarität, ohne die geringste Eile. Wenn David Wasser ist, ist Ellie Erde. Davids Lust ist ungezähmt und dringend, aber Ellie ist ruhig wie das Rauschen eines Waldes, fast schon besonnen. Auch wenn ich nicht Ellies größter Fan bin, muss ich – als Hetero-Frau – zugeben, dass mich das nicht ganz kalt lässt.

Ein Vibrieren schreckt mich aus meinen Gedanken. Ich greife nach dem Handy in meiner Hosentasche, aber Ellie ist schon aufgesprungen und hat ihr eigenes vom Sofa gegriffen. "Ist meins", sagt sie - für einen Moment seltsam freundlich, bevor sie sich zu erinnern scheint, wer da vor ihr steht. "Hab ich dir für heute noch nicht genug Unterhaltung gebeten?", blafft sie mich dann an.

Entwaffnend hebe ich die Hände. "Es tut mir wirklich Leid", sage ich mit Nachdruck. Es ist nicht mal eine Lüge. Irgendwann werde ich ihr alles erklären, denke ich mir.

Doch sie hat sich schon umgedreht. Bite me, lese ich in pinkfarbenen Lettern über ihrem Hintern und schaue schnell weg, bevor sie mich schon wieder beim Starren erwischen kann. 

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt