8 - Einbruch

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Noah

"Sag doch sowas nicht." Bevor ich weiß, was Ellie mir sagen will, ist mein erster Impuls, sie zu trösten. Ich meine, wie schlimm kann es schon sein? Außerdem kann ich es nicht ertragen, sie wie ein Häufchen Elend da sitzen zu sehen.

"Das ist kein Scherz." Ellie sieht mich wieder an. Sie hat aufgehört zu weinen, aber ihre Augen schimmern immer noch nass und ihre Nase ist gerötet. "Du wirst mich hassen. Noch mehr."

"Ich hasse dich nicht!", protestiere ich. Erst als ich es ausspreche, wird mir bewusst, dass es die Wahrheit ist. "Wenn jemand Grund dazu hat, wen zu hassen, dann bist das du."

Ellie schnieft. "David mag dich", sagt sie, "Was ich denke, ist irrelevant."

"Nicht für mich." Also hasst sie mich? Ich suche ihr Gesicht nach einer Gefühlsregung ab, aber sie mustert wieder den Boden. "Ich hätte nie...", sie fährt mit ihren Füßen das Steinmuster nach, "Es war meine Idee. Ich hätte es nie soweit kommen lassen dürfen."

"Wovon redest du überhaupt?"

Jetzt endlich treffen sich unsere Blicke. Ihrer ist voller Reue und etwas, das ich nicht deuten kann. "Wenn du morgen in die Schule gehst, wirst du etwas sehen, das dir gar nicht gefällt", sie schluckt. "Jeder wird es sehen."

***

Drei Stunden später krieche ich durch's Gestrüpp. Ehrlich gesagt ist es um diese Jahreszeit weniger Gestrüpp als ein paar wenige Sträucher, die ihre Blätter noch nicht verloren haben und das Skelett der restlichen. Trotzdem bleibe ich – zumindest von der Hauptstraße aus gesehen – größtenteils im Unterholz verborgen. Es hat nicht viel Überzeugung gebraucht, damit Conny mich eine halbe Stunde vor Schichtende gehen lassen hat. "Ach, Schätzchen, ich werd hier alleine mit fertig. Du kümmerst dich um dein Schulprojekt." Gewissermaßen ist es sogar ein Projekt, nur nicht das, das sie sich vorstellt.

Ellie ist schon da. Ich nähere mich langsam ihrem braunen Hinterkopf und als sie das Knacken der Äste unter meinen Füßen hört, dreht sie sich um. Ihr Gesicht wird vom Mondlicht erleuchtet und sieht aus, als würde es von innen leuchten. "Danke, dass du gekommen bist", flüstert sie mir zu und lächelt, "Das wäre nicht nötig gewesen."

Ich lächele zurück, aber mein Lächeln ist nur halbherzig. Mir ist schwindlig, wenn ich daran denke, was vor mir liegt. Ellie hat mir nicht verraten wollen, was genau mich erwartet. Das einzige, was ich weiß, ist, dass es nichts Gutes sein kann. "Es ist meine Schuld", hat sie immer wieder vor sich hingemurmelt, "Ich muss das wieder gutmachen. Ich werde das wieder gutmachen." Aber ich habe darauf bestanden, sie zu begleiten.

"Wie willst du das machen?", hat sie gefragt. "Du musst arbeiten bis- wie lange?"

"Wie willst du das machen?", habe ich ihr entgegnet. "Deine Freunde sitzen da draußen. Es ist ja auch kein bisschen auffällig, wenn du sie plötzlich alleine lässt."

Schließlich haben wir uns darauf geeinigt, uns um kurz vor acht an der Schule zu treffen. Da, wo uns keiner sehen kann, da wo – und das ist allgemein bekannt – der Zaun, der das Schulgelände umfasst, eine aufgebogene Stelle hat, unter der man mit ein bisschen Geschick durchschlüpfen kann. Ellie hat die Stelle schon gefunden und versucht, den Draht noch ein bisschen weiter nach oben zu biegen. "Kommst du da durch?", fragt sie mich.

"Ich versuch's", antworte ich und lege mich auf den Boden. Während sie den Zaun oben hält, robbe ich mich auf meinem Bauch darunter hindurch. "Ich bin durch", rufe ich ihr zu, als ich auf der anderen Seite angekommen bin und sie lässt den Maschendraht zurückschnellen. Ich drücke von der anderen Seite dagegen, um auch ihr eine größere Lücke als Eingang zu bieten, und sie folgt meinem Weg. 

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt