17 - Magisch

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Ellie

Noahs Lippen schmecken salzig und für einen kurzen Moment zögere ich, ob ich das Richtige tue. Ist es falsch, ein Mädchen zu küssen, das gerade erst geweint hat? Aber dann küsst mich Noah zurück, intensiver als zuvor und ich kann an nichts anderes mehr denken.

Meine Hände gleiten über ihren Nacken in ihre kurzen, weichen Haare. Sie riechen lecker süß und zitronig nach ihr und ich würde am liebsten meine Nase darin vergraben, als mir eine Woge ihres Dufts entgegenströmt. Noah öffnet ihre Lippen und ich lasse meine Zungenspitze hereingleiten. Sie stöhnt kaum hörbar auf, als sich unsere Zungen berühren und zieht mein Gesicht mit beiden Händen näher an sich heran. Ich kann nicht glauben, dass das hier gerade passiert.

Ich lasse meine Hände über ihre schmale Taille gleiten, drücke sie sanft an mich, lasse sie weiter nach unten über ihren Hintern wandern. Ich muss mich beherrschen, Noah nicht zu überfordern, muss meine gierigen Finger zügeln. Aber Noah sieht nicht so aus, als würde sie jegliche Zurückhaltung besitzen; sie presst ihren Körper gegen meinen und krallt ihre Fingernägel in meinen Rücken. Ihr ganzer Körper scheint zu beben und mehr zu fordern; ihre Küsse wandern an meinem Hals entlang zu meinem Ohr und weiter nach unten.

"Nicht so schnell", unterbreche ich sie und hebe ihr Kinn mit einer Hand nach oben, halte es in der Luft. Ich kann ihren Blick nicht sehen, aber sie atmet schwer und schnell, fast schon ungeduldig. "Ich will das hier richtig machen", sage ich ihr und muss mich beherrschen, meinen eigenen Widerstand nicht jetzt sofort aufzugeben, ihren Forderungen nachzugeben, sie jetzt und hier zu ficken.

"Du bist richtig", antwortet sie zuckersüß und will mich wieder küssen. Ich lasse es zu, löse mich dann aber wieder von ihr und halte ihr Gesicht mit meinen Händen auf Abstand.

"N, ich...", fange ich an, aber es fällt mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Ellie, dieses Mädchen hat eben noch geweint, rufe ich mir in Erinnerung. Ich bin wahrscheinlich das erste Mädchen, das sie küsst. "Das klingt nach schwachen Argumenten", sagt Noah, gespielt seufzend. Sie hat wieder begonnen, meinen Hals zu küssen und ihr Atem auf meiner kühlen Haut lässt meinen ganzen Körper kribbeln vor Erwartung.

"Warte, warte." Ich verschränke meine Hände in ihren und halte sie auf Abstand. "Wir haben alle Zeit der Welt, okay?" Dass ich mal die Vernünftige bin, hätte ich auch nicht gedacht. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich bringe dich nach Hause und morgen sehen wir weiter, okay?" Das klingt tatsächlich nach einem guten Plan. Noah seufzt, aber schließlich gibt sie nach.

"Na gut." Sehr vernünftig. "Du bleibst aber bei mir, oder?" Ich überlege kurz, aber eigentlich spricht nichts dagegen. Es gibt nichts, was ich zu diesem Zeitpunkt kaputt machen könnte, was ich nicht schon kaputt gemacht habe. "Ist okay."

***

Ein helles Kreischen reißt mich aus meinem Schlaf. Ich öffne meine Augen und sehe mich nach Noah um, die ihren Wecker mit ein paar kräftigen Schlägen zum Verstummen bringt. "Jesus", fluche ich. Das Kreischen bebt immer noch in meinen Ohren nach. "Und davon wirst du jeden Morgen wach? Das ist ja wie auf dem Jahrmarkt." Ich ziehe mir die Decke übers Gesicht, in der Hoffnung, mich von den Sonnenstrahlen, die schon durch Noahs Fenster ins Zimmer fallen, abzuschirmen.

"Ellie, steh auf!", zischt mir Noah zu und zieht von der anderen Seite an der Decke.

"Ich bin eh schon wach, leise sein bringt nichts mehr", erinnere ich sie und will mich wieder im Kissen vergraben. "Vielleicht für dich nicht!", sie dreht mich an der Schulter um, "Für meinen Vater schon!"

Oh Shit. Daran habe ich tatsächlich gar nicht mehr gedacht. Noah ist schon aufgestanden und hat sich vor den kleinen Schminktisch gesetzt, der in einer Ecke ihres Zimmers steht. "Scheiße, wie seh ich aus!", sagt sie zu ihrem Spiegelbild und fängt dann an, wie wild ihre Haare zu bürsten. Zum ersten Mal habe ich Zeit, mich in ihrem Zimmer umzusehen. Es ist süß und mädchenhaft, so wie sie. Die Wände sind in einem hellen Pastellgelb gestrichen; an einer Wand hängen so viele Ketten und Armbänder, dass sie damit einen eigenen Stand aufmachen und sie professionell vertreiben könnte. Alles hat seinen eigenen Platz: Ihr Schreibtisch ist aufgeräumt, die Bücher im Regal nach Farbe geordnet, von ihrem Kleiderschrank aus schlingt eine Grünpflanze ihre gesunden, smaragdenen Ranken nach unten.

"Muss ich mich auch schick machen?", scherze ich und sie wirft mir einen finsteren Blick zu. "Nicht witzig", sagt sie und zieht mir die Decke weg, um sie zu falten. "Ey!", beschwere ich, rolle mich aber missgünstig aus dem Bett, wenn auch nur, um auf ihren Hintern zu starren.

Bite Me, steht da in einer pinkfarbenen Schrift, die mir nur allzu bekannt vorkommt. "Hey, N, hast du etwa meine Schränke durchwühlt?", scherze ich und für einen Moment sieht sie furchtbar beleidigt aus, bis ich mich umdrehe und sie das Bite Me über meinem eigenen Arsch lesen kann. "Du bist unmöglich", lacht sie und fängt dann an, die Kissen aufzuschütteln. Ich greife ihr Bein und ziehe sie zu mir. Sie lacht und kreischt dann, als ich ihr in eine Pobacke beiße: "EY!"

"Also wenn dein Atomalarm-Wecker noch nicht ausgereicht hat, hat dein Vater das auf jeden Fall gehört", sage ich und grinse sie an. Noah sieht so süß aus; das Bürsten hat ihre Haare nur noch struppiger gemacht - sie sieht aus wie ein blonder Pudel. "Apropos Vater, wirst du mich ihm eigentlich vorstellen?", frage ich sie. Sie verdreht die Augen: "Hey, Dad, du kennst doch meinen Freund David, der jetzt mein Ex-Freund ist, das ist by the way seine Schwester, ja, es hat einen Grund, dass wir beide fast nackt sind."

Ich lache laut los. "Ach, das hat einen Grund? Ist ja interessant." Soweit ich mich erinnern kann, ist Noah nur fünf Minuten, nachdem wir uns hingelegt haben, eingeschlafen. Und obwohl ich eigentlich neugierig gewesen bin, von ihr zu erfahren, was passiert ist, habe ich sie schlafen lassen. Wir haben alle Zeit der Welt, erinnere ich mich. Dass David und sie sich getrennt haben, habe ich mir schon gedacht, spätestens, als sie bei meinem Anblick zusammengebrochen ist. Sonst hätte ich sie niemals geküsst. Es jetzt aus ihrem Mund zu hören, "David, der jetzt mein Ex-Freund ist", ist etwas anderes.

"Guten Morgen, mein En-" Die Tür ist aufgegangen und der Kopf eines etwa fünfzigjährigen, bärtigen, sonnengebrannten Mannes in der Türzage erschienen. Als er bemerkt, dass Noah nicht alleine ist, stockt er in seinem morgendlichen Gruß.

"Hi, ich bin Ellie." Ich hebe die Hand und ziehe ein Kissen auf meinen Schoß, damit ich nicht ganz so entblößt bin. Ich trage noch mein Shirt von gestern Nacht und ich will gar nicht wissen, wie meine Haare aussehen.

"Freut mich." Noahs Vater sieht kein bisschen verdächtig aus, eher überrascht. "Ben", stellt er sich vor. "War wohl 'ne wilde Nacht gestern, oder Noah?" Er grinst.

Noah schaut verlegen zur Seite und Ben Waller grinst noch ein Stückchen breiter: "Ach, Noey, das ist doch was Gutes, wenn du mal raus kommst. Da musst du dir nicht denken, ich bin bös mit dir." Noey, forme ich mit meinem Mund in Noahs Richtung und sie lacht gequält. "Ähm ja, wir kommen gleich runter, okay?" - "Nur keine Eile." Wieder lacht Ben und im nächsten Moment ist sein Kopf verschwunden.

"Ich glaube, er mag mich", sage ich und ziehe Noah, die sich vor mir auf ihr Bett gesetzt hat, von hinten an mich ran. Ich drücke ihr einen Kuss in den Nacken.

"Ist egal, ob er dich mag", antwortet sie und dreht sich zu mir um, um mich auf den Mund zu küssen, "Ich mag dich." Ich lächle sie an. "Tut mir Leid, das mit David und dir", sage ich dann.

"Er wird drüber hinwegkommen", sagt Noah in einem Ton, als wäre sie selbst nicht überzeugt davon, "Irgendwann. Ich und David, wir sind vielleicht gut, aber du und ich, wir sind..."

"Wir sind was?" Sexy? Schon irgendwie.

"Magisch." Noah grinst. Auf einmal springt sie auf, als hätte etwas sie gebissen. "Oh, warte, das hab ich ganz vergessen." Im nächsten Moment rennt sie zu ihrem Kleiderschrank und beginnt, Kleider und Hosen herauszureißen. Ich fange schon an, ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln, als sie schließlich eine Rolle herauszieht.

"Was ist das?", frage ich sie. Sie drückt mir die Rolle in die Hand und entrollt sie: "Schau selbst."

Da sind wir, Noah und ich, ihr ausgeschnittenes Gesicht ganz nah an meinem, fast so wie jetzt gerade. NOAH KÜSST GERNE MÄDCHEN, schreit mich das Plakat an. Wenn Ina uns jetzt sehen könnte, würde sie sich selber als Prophetin bezeichnen. Ich streiche über das Poster. Es kommt mir so vor, als sei es ewig her, dass ich es zum letzten Mal gesehen habe.

"Wo hast du das her?", frage ich Noah überrascht. Sie zuckt mit den Schultern. "Ich habe meine Mittel und Wege", sagt sie und lacht dann, "Nein, wir haben's übersehen."

"Und du hast es die ganze Zeit über aufgehoben?" Irgendwie finde ich das sehr, sehr süß. Ich beiße mir auf die Zunge, um keinen Stalker-Witz zu machen.

Noahs Lächeln ist ganz verlegen. Sie schafft es kaum, mich anzusehen. "Ich hatte da so eine Vorahnung", sagte sie dann.

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt