18 - Pläne

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Noah

"Du VERARSCHST mich." Sofia reißt ihre Augen so weit auf, dass sie beinahe komplett rund aussehen. Ollie hat sich über den Tisch zu uns gebeugt. "Warte, was hab ich verpasst?"

Ich schaue von Sof zu Ollie und wieder zurück und seufze. Von mir aus. Wahrscheinlich wird sie Ollie später eh alles erzählen, da kann er es auch gleich von mir hören. "David hat mit mir Schluss gemacht und ich habe Ellie geküsst. Oder sie mich. Irgendwie beides."

"Wer ist nochmal Ellie?", fragt Ollie Sofia. "Davids Schwester", flüstert Sof zurück.

"Ooooh. Also bist du jetzt..." Ollie streicht sich sein schiefes Pony aus dem Gesicht und versucht, die richtigen Worte zu finden, "Also seid ihr jetzt..." Er lässt sich das Pony zurück ins Gesicht fallen. Ollie sieht ein bisschen aus wie eine Vogelscheuche, auf die netteste Art möglich.

"Wir haben noch nicht drüber geredet", beantworte ich seine Frage wahrheitsgemäß. Auch wenn ich schon oft drüber nachgedacht habe. Aber das müssen die beiden ja nicht wissen.

"Und was ist mit Ina?", fragt Sofia. Ich knirsche mit den Zähnen. "Ehrlich gesagt... haben wir darüber auch noch nicht geredet", gebe ich zu.

"Oh man, El, ich will jetzt nicht sagen-", fängt Ollie an, aber Sof unterbricht ihn mit leuchtenden Augen: "War's denn, du weißt schon, gut?"

Ich lache. "Ja, war's." Ich muss zurück an gestern Abend denken. An die Wiese und an Ellie, an Bite Me und daran, heute Morgen neben ihr aufzuwachen. "Sehr", füge ich hinzu.

"Ich wusste es." Sofia sieht zufrieden aus. Sie quiekt. "Wird dann bald Zeit für ein Double Date mit deiner Freundin und uns, oder?" Ollie sieht wenig überraschend nicht sehr begeistert aus.

"Sie ist nicht meine Freundin", entgegne ich.

"Noch nicht", korrigiert mich Sof und zwinkert.


Ellie

Noahs Schicht geht bis sieben, das heißt, ich habe noch ungefähr viereinhalb Stunden, um die Sache mit David wieder in Ordnung zu bringen und meinen Freunden alles zu berichten, bevor ich Noah von der Arbeit abhole. N weiß noch nichts von ihrem Glück, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich beschwert, wenn ich daran denke, wie sie mich gestern – wie sie mich heute Morgen geküsst hat.

"Hey, Dad, was machst du hier?" Ich bin überrascht, meinen Vater hier zu sehen und nicht in der Praxis, als ich nach Hause komme. Er trägt immer noch seinen Kittel und das kleine Namensschild. Dr. Robert Sichelman.

"Das gleiche wollten wir eigentlich dich fragen." Meine Mutter taucht hinter ihm auf und verschränkt die Arme vor der Brust.

"Hab ich irgendwas verpasst?", frage ich sie. Sie sollten zu dieser Uhrzeit noch nicht hier sein, keiner von ihnen. Was auch immer hier abgeht, es gefällt mir nicht.

"Ellie, wieso sagst du uns nicht, dass du nicht mehr in die Uni gehst?", fragt mein Vater jetzt. "Ich meine, du kannst uns nach allem fragen, was du willst. Das konntest du immer. Was hat sich verändert?"

"Was? Wovon redet ihr?" Ich bin verwirrt. Okay, ich habe die Uni vielleicht schleifen lassen, okay, ich habe vielleicht andere Pläne, aber die einzige Person, der ich davon erzählt habe, ist Ina. Und von Ina weiß ich auch, dass sie die letzte Person wäre, die mich an meine Eltern verpfeifen würde.

"David hat uns alles erzählt." David. Natürlich. Als hätte ihn das Aussprechen seines Namens herbei beschworen, taucht David aus seinem Zimmer auf wie Beetlejuice. Er sieht aus, als hätte er drei Tage nicht geschlafen, zumindest seinen Haaren nach zu urteilen und den dunklen Augenringen. Die Trennung hat ihn definitiv mehr mitgenommen als Noah. Ich muss fast schon grinsen, aber reiße mich zusammen, als er mir einen bösen Blick zuwirft.

"Ellie, du wusstest doch, dass das irgendwann auffliegt", sagt meine Mutter jetzt. Ich weiß nicht mal, ob sie böse auf mich ist. Sie wirkt... erschöpft.

"Wann ist dir klargeworden, dass Jura nichts für dich ist?", fragt mich mein Vater. Ich fühle mich wie im Kreuzverhör. "Die Studiengebühren sind eine Sache, die Wohnung, in der du eh nie bist, eine andere. Und das Auto..."

"Ihr wollt mir nicht das Auto wegnehmen, oder?", rufe ich. Mein Zimmer im Wohnheim ist mir egal, es ist mir sogar egal, dass David mich verpetzt hat. Aber bei meinem Auto hört der Spaß auf.

"Nein, wollen wir nicht", sagt meine Mutter und seufzt.

"Wollt ihr nicht?", schaltet sich David ein, der mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hat. "Aber sie hat euch belogen! Sie hat euch die ganze Zeit angelogen, sie hat euch ins Gesicht gelogen darüber, was sie macht! Und jetzt wollt ihr gar nichts tun?" Davids Ausbruch hat schon lange nichts mehr damit zu tun, dass ich die Uni geschwänzt habe.

"David, ich glaube, Ellie weiß, dass sie einen Fehler gemacht hat." Dads Stimme ist ruhig und beschwichtigend. Er ist sogar noch ein Stückchen kleiner als David – knapp über 1,75m –, aber trotzdem hat er eine natürliche Autorität selbst außerhalb seiner Praxis. David zieht sich direkt zurück.

"Ach ja, weiß sie, dass sie einen Fehler gemacht hat?", grummelt er und ich weiß, dass es an mich gerichtet ist.

"Alter, come on." Ich verdrehe die Augen. "Können wir mal unter uns reden?"

"Wüsste nicht, was wir zu bereden haben." Er geht in die Küche und ich sehe, wie er sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank nimmt.

"Dav, jetzt mal ehrlich, wir-" Aber er hat sich schon umgedreht und eine Sekunde später knallt die Tür zu seinem Zimmer hinter ihm zu.

"Kinder." Meine Mutter seufzt und stützt sich an der Wand ab. "Ich verstehe nicht, wieso ihr euch nicht einfach vertragen könnt. Was ist passiert, dass ihr so... wütend geworden seid? Dass ihr nicht mehr mit uns reden wollt? Dass ihr nicht mal mehr miteinander reden wollt?"

"Es geht nicht um dich, Ma", antworte ich ihr. "Es ist...egal. Er ist gerade nicht gut auf mich zu sprechen."

"Hängt das zusammen mit dieser, dieser Freundin von dir, Ina?", fragt sie. Diese Freundin. Sie weiß ganz genau, dass das mit Ina und mir nicht platonisch gewesen ist.

"Nein, nichts mit Ina", sage ich wahrheitsgemäß.

"Du hast sie lange nicht mehr mitgebracht", merkt Dad an. Eins muss man ihnen lassen, auch wenn ich sie selten sehe, sind sie als Eltern nicht total scheiße. Weder meine Mutter noch er haben Drama gemacht, als ich mich vor ihnen geoutet habe. Wenn ich's mir recht überlege, sind sie wahrscheinlich die zwei Leute, die am wenigsten Drama gemacht haben, als ich mich geoutet habe. Und selbst jetzt, nachdem sie mitbekommen haben, dass ich quasi die Uni geschmissen habe, reagieren sie erstaunlich gelassen.

"Ja, stimmt", pflichtet meine Mutter jetzt meinem Vater zu. "Wir sollten nochmal ein Dinner machen. Du bringst Ina mit und David bringt Noah mit." Ich verziehe das Gesicht: "Ma, das ist wirklich keine gute Idee."

"Ach, Ellie, Quatsch. Ihr müsst euch beide aufraffen und dann werdet ihr sehen, dass das ein richtig schöner Abend wird." Sie scheint fest überzeugt von ihrem Plan. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihr zu sagen, dass David ganz bestimmt nicht Noah mitbringen wird? Dad scheint meinem Gesicht anzusehen, dass etwas nicht stimmt. "Wenn du nicht Ina mitbringen willst, kannst du auch eine andere Begleitung mitbringen, Ellie. Möchtest du lieber eine andere Begleitung mitbringen?" Noah. Aber das ist wohl das letzte, was ich ihm antworten kann. Ich zwinge mich zu einem Lächeln: "Nein, danke, Dad."

"Perfekt, dann ist ja alles geplant." Ma sieht aus, als wäre Weihnachten anderthalb Monate vorverlegt werden. "Ich denke, Freitag wäre perfekt. Vielleicht 19 Uhr?"

"Ich sag David Bescheid." Dad drückt meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und klopft dann an seine Zimmertür. Ich höre sein Grummeln dahinter und mache mich schnell aus dem Staub, bevor ich seine Reaktion mitbekommen kann. Ich habe wenig Lust, dass er seine Freude über dieses Dinner an mir auslässt.

Hast du Freitag schon was vor?, schreibe ich Ina im Gehen. Kaum eine Sekunde später kommt ihre Antwort: Nein, warum? Ich verziehe das Gesicht, während ich meine Antwort tippe: Jetzt schon :) 19 Uhr bei mir. Das kann ja heiter werden.

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt