21 - Abstellkammer

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Ellie

"Was?", Noah dreht sich ruckartig rum und ich sehe, dass sie Tränen in den Augen hat. "Was jetzt noch, Ellie?" Sie schleudert ihre ganze Wut in meinen Namen und ich zucke zusammen. Ich habe sie noch nie so in Rage erlebt.

"Noah, mir tut das-", ich komme kaum dazu, ihr zu antworten.

"WEHE, du sagst jetzt, dass es dir Leid tut. Was braucht ihr noch, um mich zu peinigen? Hat dir dieser Abend nicht schon gereicht?" Sie sieht aus wie eine kleine, blonde Furie. Ich darf jetzt echt nichts Falsches sagen.

"Ich hatte nie vor, dich zu verletzen." Falsche Antwort. Noah sieht aus, als würde sie gleich explodieren. Ich erwarte einen Schwall von Beschimpfungen, der jeden Moment auf mich niederprasselt, doch als sie antwortet, ist ihre Stimme ganz klein.

"Warum hast du dann Ina zum Familiendinner deiner Eltern eingeladen?", fragt sie. Jedes ihrer Worte ist spitz und scharf und ich weiß, dass sie sich zusammenreißen muss, um nicht loszuschluchzen. "Warum lässt du zu, dass sie so etwas zu mir sagt?"

"Noah, seit unserem Tag in der Stadt ist zwischen mir und Ina nichts mehr gelaufen." Ich greife nach ihrer Hand, doch sie schlägt sie weg. "Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Sie sollte nur mitkommen als Notfallplan. Natürlich hätte ich am liebsten dich mitgenommen, als meine Freundin. Aber wenn ich das getan hätte, hätte ich meinen Eltern nicht nur das mit uns erzählen müssen sondern auch, was zwischen David und dir abgelaufen ist und ich dachte, das ist in Niemandes Interesse."

"Du hättest mich als deine Freundin mitgenommen?", fragt sie. Das ist es, was von meiner Erklärung hängengeblieben ist? Zumindest sieht Noah aus, als hätte sich ein bisschen beruhigt. Ich nicke. "Das hier war wirklich ganz anders geplant", versuche ich, mich zu erklären. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.

"Gibt's hier...irgendeinen Ort, an dem wir uns ein bisschen ungestörter unterhalten können?", fragt Noah schließlich und sieht sich um. Erst jetzt nehme ich die gedämpfte Unterhaltung aus dem Esszimmer wahr.

"Wir haben...", ich überlege und nenne den ersten Raum, der mir einfällt, "Die Abstellkammer?" Ich zeige auf die Tür zu meiner Rechten.

"Perfekt." Wir gehen also in die Abstellkammer. Der kleine Raum wird von einer einzigen Glühbirne beleuchtet, die von der Decke hängt und die nackten Wände in sanftes, gelbes Licht hüllt. Links und rechts von uns strecken sich Regale in die Höhe: Ma hat Konserven, Waschmittelpackungen, Klopapierrollen und Schachteln mit Cornflakes sorgsam nebeneinander gestapelt. "Wie ein kleiner Supermarkt", kommentiert Noah, als ihre Augen über die Regale wandern.

"Ja, der traurigste Supermarkt der Welt", antworte ich ihr. Zugegebenermaßen ist dieses Setting nicht gerade romantisch, aber vielleicht ist das gerade das Richtige für eine ernste Unterhaltung. Gerade holt Noah eine Dose mit Chili-Mix aus dem Regal. "Denkst du, es fällt auf, wenn ich die mitnehme?", fragt sie beiläufig.

"Tob dich aus, Klepto-Girl." Wahrscheinlich würde es meiner Mutter nicht mal auffallen, wenn die Hälfte der Regale leergeräumt wären; sie würde einfach davon ausgehen, David hätte sich für seine Studentenbude daran bedient.

"Haha." Sie verdreht die Augen und stellt die Dose wieder an ihren Platz. "Also...was ist das hier?"

"Chili-Mix?"

"Nein, was ist das hier?" Sie zeigt mit ihrem Finger auf mich und sich. "Was sind wir? Was ist mit... Ina und dir?"

Ich seufze. Ich weiß, dass es sie große Überwindung kosten muss, mich zu fragen. Noah erscheint mir nicht wie der konfrontative Typ, sondern eher wie das Gegenteil. "Wie schon gesagt, mit Ina und mir ist gar nichts. Als ich dir von unserer Trennung erzählt habe, hab ich's ernst gemeint."

"Aber wieso fährst du sie dann zur Kunsthochschule?"

Ich lache, als ich ihre ernsthafte Verwirrung sehe. "N, wir sind immer noch befreundet! Nur weil ich nicht mehr mit Ina zusammen bin, heißt das nicht, dass ich sie meiden muss. Sie ist immer noch ein guter Mensch! Naja, zumindest, wenn sie sich nicht so aufführt wie heute Abend. Das ist... vielleicht so ein Lesbenklischee, dass man noch mit seinen Exen befreundet ist, aber dieses Klischee existiert aus gutem Grund! Zwischen mir und Ina läuft nichts."

"Okay." Sie sieht nicht überzeugt aus. "Okay", wiederholt sie, diesmal langsamer, als müsste ihr Hirn die neuen Informationen erstmal verarbeiten, "Und du und ich, wir... ist das für dich etwas Ernstes?"

"Willst du, dass es etwas Ernstes ist?", schieße ich zurück.

Sie überlegt einen Moment. "Ich weiß nicht. Ja. Vielleicht. Ich weiß nicht." Noah räuspert sich. "Ich... es ist schön mit dir. Und wenn ich mit dir zusammen bin, habe ich das Gefühl, dass es das ist, was ich will, aber..."

"Du weißt nicht, was du willst", beende ich ihren Satz.

"Ja, genau." Ihre Augen sind wieder beim Chili-Mix kleben geblieben. "Wenn wir zusammen sind, weiß ich nicht, was das heißt... für mich. Und für David und mich."

"Ich wusste nicht, dass das überhaupt eine Option ist." Zumindest hat das vorhin nicht so gewirkt, will ich hinzufügen, aber lasse es. David und Noah – das ist erledigt, dachte ich.

"Ist es auch nicht", antwortet sie, "Aber ich weiß nicht, ob ich so tun kann, als sei das mit David und mir nie passiert."

"Das musst du nicht."

"Aargh." Sie lässt sich auf den Boden sinken und vergräbt ihr frustriertes Gesicht in ihren Händen. "Ich hab einfach das Gefühl, ich weiß so wenig über dich. Das ist...nicht gerade hilfreich."

"Du weißt wenig über mich?", ich pruste los. "Ich weiß gar nichts über dich! Ich wusste nicht mal, dass du Medizin studieren willst!"

"Wollte ich schon immer, seit meine Mutter- egal. Aber das ist doch genau das Ding, oder? Wir kennen uns nichtmal."

Wo eben noch Verärgerung war, ist die Wut auf ihrem Gesicht nun Traurigkeit gewichen. Sie sieht mich mit großen Augen an. "Was machen wir hier, Ellie? Mal ganz ehrlich. Das kann doch nicht funktionieren, oder?" Sie streckt ihre Hand nach mir aus. Ich setze mich neben sie auf den Boden der Abstellkammer und verschränke meine Finger mit ihren.

"N, ich will das hier." Ich drücke ihre Hand. "Wenn du das auch willst."

Wir sitzen nebeneinander und für einen Moment habe ich furchtbare Angst, dass sie mich wegstößt. Aber dann schaut Noah mich an und lächelt und ich kann nicht anders, als es ihr gleichzutun. "Wir können es ja langsam angehen lassen", sage ich und küsse ihre Hand.

"Ja, langsam...", wiederholt sie und ihr Blick bleibt an meinen Lippen hängen. "Oder wir könnten, ähm..."

"Wir könnten was?", frage ich sie.

"Oder wir könnten es nicht langsam angehen lassen", beendet sie ihren Satz und lächelt zurückhaltend. Habe ich sie gerade richtig gehört? Ich ziehe meine Augenbrauen hoch: "Was hast du vor, Waller?" 

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt