13 - Geheimnis

853 45 15
                                    

Noah

Für einen Moment leisten ihre Lippen stummen Widerstand, aber im nächsten Moment gibt sie sich meinem Kuss hin.

Scheiße. Ellie ist so wahnsinnig zart. Alles an ihr ist zart, ihre weiche Haut, ihre weichen Lippen, ihr filigranes Gesicht. Es ist ganz anders, als David zu küssen. Es fühlt sich so gut an. Ich öffne meine Lippen und spüre Ellies süßen, warmen Atem, stelle mir unter meinen geschlossenen Lidern ihr schönes Gesicht vor. Ellie fährt mir mit den Fingern durch die Haare bis hin zu meinem Nacken, wo ihre Hand verweilt.

"Scheiße, N", murmelt sie zwischen unseren Küssen, "Scheiße, wir sollten das hier nicht-" Aber ich kann sie nicht ausreden lassen, will an nichts anderes denken als das hier, an diesen Moment. Es ist so, als würde ihre Wärme von ihr ausstrahlen und auf mich übergehen, mich übergießen wie warmer Sommerregen. Als wäre Ellie meine persönliche Sonne.

"Du bist unglaublich", murmele ich und öffne meine Augen. Sie löst sich von mir und als sich unsere Blicke treffen, merke ich eine Spur von etwas, das mir gar nicht gefällt. Reue?

"Noah", wiederholt sie. Ihre Stimme ist nach wie vor sanft, aber das Zögern ist in Distanz gewechselt. "Noah, ich glaube, das ist keine gute Idee."

Langsam werde ich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Ich habe gerade David betrogen. Ich habe einen Freund, der mich liebt, und trotzdem habe ich gerade seine Schwester geküsst.

Ich habe Ellie geküsst. Und diesmal richtig.

Ellie

Ich glaube, Noah ist nicht einmal bewusst, wie ihr Gesicht innerhalb einer knappen Minute durch alle Emotionen wechselt. Ich wusste, dass das keine gute Idee ist. "Soll ich dich nach Hause fahren?", frage ich sie. Sie nickt, ohne mich dabei anzusehen.

Wir bleiben noch ein paar Minuten unter der Fassade stehen, solange, bis der Schauer abgeklungen ist, dann rennen wir durch den Restregen zurück zum Wohnheim, vor dem mein Auto steht. Während der Rückfahrt schaue ich immer mal zur Beifahrerseite rüber, aber Noah hat den Ellbogen an der Scheibe abgestützt und schaut die ganze Fahrt über aus dem Fenster.

"Ist es okay, wenn ich dich hier rauslasse?", frage ich sie und halte an der Kreuzung, an der sich unsere Wege nach dem Einbruch in die Schule getrennt haben. Sie nickt und will schon aus dem Auto gleiten.

"Noah-", fange ich an und sie schaut zu mir zurück; für einen Moment sind ihre Augen erhellt. "Bleibt das hier... unter uns?", frage ich sie, "Für's erste?"

Ich bin kein Fan von Geheimnissen, aber ich habe das Gefühl, wir wissen beide nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollen. Hey David, ich habe deine Freundin geküsst. Oder genauer gesagt, sie mich... Vielleicht ist es am besten, wenn wir die Sache erstmal sacken lassen. Einen Moment lang denke ich, Noah antwortet nicht mehr, aber dann nickt sie.

"Danke", sagt sie dann, "also, für's Fahren". Dann hat sie auch schon die Autotür hinter sich zugeschlagen und nur wenige Momente später ist sie aus meinem Sichtfeld verschwunden wie ein Katze, die aus dem Scheinwerferlicht flieht.

***

"Ellie, was ist los?", Iri hat sich weit über den Tisch gebeugt, als befürchtete sie, etwas zu verpassen. Gleich, signalisiere ich ihr. Wir warten noch auf Nelly, die noch in der Musikhochschule feststeckt. Ich habe ein Notfallmeeting zusammengerufen und vielleicht habe ich mich ein bisschen falsch ausgedrückt, was die Prekarität der Lage angeht, denn als Nelly nach etwas mehr als zehn Minuten unsere Freundesgruppe auf dem Campus entdeckt hat, fällt sie mir erleichtert um den Hals. "Oh Gott, du lebst noch!"

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt