28 - Aussprache

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Noah

"Komm rein." Ich weiß, dass es zwecklos ist, David abzuwimmeln, deshalb ziehe ich meinen Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche und öffne ihm die Tür. Ehrlich gesagt bin ich ihm diese Aussprache schuldig, wenn man bedenkt, wie das zwischen uns gelaufen ist.

David begleitet mich ins Haus und ich sehe, wie Dad, der sich gerade einen Kaffee macht, die Augenbrauen hochzieht, als er Davids vertraute Silhouette im Flur stehen sieht. Wir sind nicht mehr zusammen!, will ich ihm sagen und seine Verwirrung auflösen. Aber dann müsste ich mit ihm reden, über alles, was passiert ist, und darauf habe ich jetzt wirklich keine Lust, geschweige denn, die mentalen Kapazitäten. Ich zucke also nur mit den Schultern, so dass Dad es sehen kann, und folge David hoch in mein Zimmer. Er strebt es wie selbstverständlich an, als wäre er hier zu Hause. Ich schließe die Tür hinter uns und sehe, dass er schon auf meinem Bett sitzt.

"Also", sagt er, seine Stimme bedeutungsschwer, "Das hier war überfällig, oder?"

Für einen Moment überlege ich, ob ich mich zu ihm setzen soll, aber dann entscheide ich mich doch dagegen. Es ist seltsam, wie fremd mir David vorkommt, wie weit entfernt sich unsere vergangene Beziehung anfühlt. Es ist mehr als ein halbes Jahr her, dass er mich zum ersten Mal geküsst hat und weniger als eine Woche, dass wir uns zum letzten Mal geküsst haben, und trotzdem kann ich es mir jetzt kaum noch vorstellen, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlen.

"Warum bist du hier, David?", frage ich ihn direkt. Meine Stimme ist kühler als seine und ich kann in seinem Gesicht sehen, wie sehr ihn die Distanz darin verletzt. Ich bin nicht mehr seine Noah, genauso wie er nicht mehr mein David ist. Außerdem war er es, der mich abserviert hat – zwar aus gutem Grund, aber mindestens so eisig, wie ich es jetzt bin.

"Ich wollte mit dir reden, über das Dinner und über... uns." Er sieht kurz auf seine Hände, die in seinem Schoß gefaltet liegen, und dann wieder hoch zu mir. "Und ich wollte mich entschuldigen. Ich war dämlich zu dir, weil ich verletzt war. Ich habe Sachen gesagt, die ich bereue – Dinge getan, die ich bereue."

"Schon okay, David", sage ich. Es stimmt, ohne unseren großen Streit wäre das mit Ellie wahrscheinlich nie passiert. Gewissermaßen – auf eine sehr verkorkste Weise – muss ich ihm sogar dankbar dafür sein, dass er unsere Beziehung beendet hat. Ich setze ein mildes Lächeln auf.

"Ist es das?" David sieht mich mit großen Augen an, als würde er versuchen, etwas Bestimmtes aus meinem Blick herauszulesen. Wenn ich ihn jetzt wieder sehe, mein Gesicht nur anderthalb Meter von seinem entfernt – wenn ich seinen sanften Blick betrachte, sein freundliches Gesicht, den kleinen, goldenen Ohrring mit dem Sternanhänger –, kann ich mich wieder daran erinnern, was mich bei unserer ersten Begegnung so angezogen hat. Er hat etwas grundlegend Harmonisches in seinem Aussehen, als sei er in jedem Augenblick vollauf im Reinen mit sich selber. "Noah", sagt er jetzt, die Stimme voller Nachdruck. "Ich habe nachgedacht. Wirklich nachgedacht, und ich glaube, dass es nicht okay ist."

Was meint er, das mit Ellie und mir? Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, nicht noch einmal. Ich bereue es nicht, Ellie geküsst zu haben, als wir noch zusammen waren, höchstens, dass ich ihn damit verletzt habe. "Ich weiß, es ist nicht so gelaufen, wie wir uns das gedacht haben", sage ich stattdessen.

"Ja, genau." Seine Augen erhellen sich. "Genau das meine ich. An diesem Abend... da war ich einfach nur wütend auf dich. Es hat mich verletzt, dass du meine Schwester geküsst hast, weil ich dachte, du willst mir eins auswischen. Ehrlich gesagt wusste ich selber nicht, was ich denke. Ich glaube, es hat mir mehr ausgemacht als ich dachte, dass du nicht..." Dass ich nicht mit ihm schlafen wollte. Er spricht es nicht aus, aber das muss er auch nicht.

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt