29 - Normalität

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Ellie

"Wenn man vom Teufel spricht." Ich drehe mein Handy um, damit die anderen das Display sehen können. "Das werde ich dir nie verzeihen", steht da in kleinen, schwarzen Buchstaben und direkt darüber der Adressat der Nachricht: David.

"Ou." Iri zieht scharf die Luft ein. "Hat sich da jemand verplappert oder hast du noch was anderes getan, was dein Bruder dir nicht verzeihen könnte?"

"Ich hab keine Ahnung." Ich zucke mit den Schultern. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich das jetzt kläre, bevor die Situation eskalieren kann. "Ich glaub, das ist mein Zeichen, zu gehen, Leute." Die Gesichter meiner Freunde sehen enttäuscht, aber nicht überrascht aus. Ich glaube, das beschreibt ganz gut die Grundhaltung, die sie in letzter Zeit zu mir haben. Ich umarme sie der Reihe nach, als würde es die Sache wieder gutmachen.

"Sorry", entschuldige ich mich zum gefühlt tausendsten Mal heute. "Danke für die Strähne, Iri." Ich streiche mir meine Haare auf eine Seite, damit man das Lila darunter aufblitzen sieht. In meiner Nase hängt immer noch der beißende Geruch des Wasserstoffperoxids, das Iri benutzt hat, um mein Haar vorher aufzuhellen.

"Ist okay", antwortet Iri schlicht. Ich kann nicht heraushören, ob sie es ernst meint. Als ich die Wohnungstür hinter mir zuschlagen höre, fange ich an, zu rennen.

***

David ist genau da, wo ich ihn erwartet habe: Ich sehe sein Auto schon in der Einfahrt, als ich neben ihm einparke. Als ich das Haus betrete, höre ich jedoch Geräusche, die aus meinem Zimmer kommen. Die Tür steht einen Spalt offen und ich trete ein, ohne abzuwarten.

"Hey, Dav- oh." Er dreht sich sofort um, als er mich hört, und ich sehe, dass er ein Poster in der Hand hält. Das Poster, NOAH KÜSST GERNE MÄDCHEN, mit ihrem und meinem Gesicht ganz nah beieinander.

"Was soll dieser kranke Scheiß?" David dreht das Poster zu mir herum, als würde ich es nicht genau kennen. "Ist das irgendwie so eine perverse Obsession, die du mit meinen Freundinnen hast?" Seine Stimme bebt. Mir fällt auf, dass er Freundinnen gesagt hat, Plural, obwohl wir eigentlich nur über Noah sprechen. Aber ich weiß, dass Ina mitgemeint ist, auch, wenn sie und David nie zusammen waren.

"David, ich kann das erklären." Ich antworte ihm so ruhig wie möglich und lasse das Poster dabei nicht aus den Augen. Es ist ein Geschenk von Noah, das ich sorgsam verstaut habe. Er muss mein ganzes Zimmer durchwühlt haben, um es zu finden, aber jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um ihm das vorzuwerfen.

"Du hast sie echt nicht mehr alle." Er spuckt die Worte aus und sein Blick ist voller Verachtung. Er lässt das Poster los und ich sehe dabei zu, wie es sich auf dem Boden wieder zusammenrollt. "Weißt du, sie zu küssen ist eine Sache – immer noch nicht okay, aber du bist meine Schwester, sie ist ein Mädchen, keine Ahnung, worauf ihr Lesben so steht. Vielleicht hat es dich ja angemacht, jemanden zu küssen, den du nicht küssen darfst." Seine Augen funkeln vor Wut und ich muss mich zusammenreißen, ihn nicht anzuschreien. Er weiß ganz genau, wie ungerecht das ist, was er sagt. Wie krass homophob noch dazu, auch wenn ich weiß, dass er mich nur provozieren will. Stattdessen lasse ich ihn ausreden. "Küssen ist eine Sache", wiederholt er mit anschwellender Stimme, "Aber ihr dann weiszumachen – sie zu manipulieren, ihr einzureden, dass sie dich liebt – ich...ich hätte vieles von dir erwartet, aber nicht das. Das ist krank."

Hat er gerade gesagt, dass Noah mich liebt? Ich lasse mir nichts anmerken. "David, ich rede ihr gar nichts ein." Ich trete einen Schritt auf ihn zu und er weicht zurück, als sei ich ansteckend. "Ich habe Noah zu nichts gezwungen. Wir verstehen uns einfach gut und..."

"Und dann hat sie sich in dich verliebt, obwohl sie nicht auf Frauen steht?", prescht er dazwischen und schnaubt. "Ja, das klingt natürlich sehr wahrscheinlich."

Noah &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt