4. Mauern und Ängste

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Im Bad schließe ich schnell die Tür hinter mir und lehne mich von innen dagegen.

Ich merke, wie mein Atem flach geht, sodass nicht genügend Sauerstoff zu mir durchdringt. Mein Körper zittert. Wahrscheinlich durch den Adrenalinschub in meinen Adern.

Streit vertrage ich wirklich nicht sehr gut. Besonders zu solch einer Tageszeit und in meinem übermüdeten Zustand. 

Das schlimme ist, ich verstehe mich ja noch nicht einmal selber. Wieso zieht es mich immer so sehr in die Natur? Kann ich nicht einfach wie jeder normale Mensch sein? Und warum lasse ich meine Mutter nicht an mich ran? 

Allein die Vorstellung löst bloße Beklemmungen in mir aus. Ganz einfach, sie tut es andersherum ja auch nicht. Erst jetzt merke ich, dass sich etwas Nasses auf meiner Wange befindet. 

Eine Träne hat mein Auge verlassen und tastet sich nun langsam weiter über meine Wange, ehe sie meinen Mundwinkel erreicht, wo sie sich schließlich auflöst. Ein fein süßliches Aroma breitet sich auf meiner Zunge aus. 

Es ist ein so angenehmes Gefühl, die aufgestauten Tränen endlich freizulassen. Leider ist es nach dieser einen aber auch schon wieder vorbei. 

Als ich in die Dusche steige, fließt das warme Wasser angenehm meinen Körper hinab. Es fühlt sich an, als würde ein Großteil des Streits damit einfach weggespült. 

Zum Waschen verwende ich immer feine Erde, da diese mir kein unangenehmes Brennen auf der Haut verursacht. Als ich fertig bin, löse ich meinen lockeren Haarknoten, sodass die, an den Enden, lockenden Haarspitzen, sachte an meiner Taille kitzeln. 

Mit der Bürste entwirre ich den wilden Wasserfall von kleinen Knoten und Chaos auf meinem Kopf, ehe ich mich in ein Handtuch einwickle, um mich zurück ins Zimmer zu begeben.

Ich ziehe mir ein luftiges Sommerkleid an, da es heute wohl wieder ziemlich warm werden dürfte.

Fertig angezogen spähe ich durch meinen Türspalt in die Wohnküche und stelle erleichtert fest, dass meine Mutter nicht mehr dort sitzt. Das leise Plätschern aus dem Bad verrät mir ihren Aufenthaltsort.

Mein Vater wird wahrscheinlich bis zur Letztmöglichen Sekunde im Bett verweilen, ehe er sich seinen fünf Minuten Zeitung lesen und einer Tasse Kaffee widmet und sich dann zu seiner Arbeit als Restaurator aufmacht. Ich frage mich, wie er es immer wieder schafft rechtzeitig um 07:00 Uhr auf der Matte zu stehen. 

Da ich schnellstmöglich von hier weg will, greife ich rasch nach meiner Tasche und befülle sie mit Äpfeln und einer Flasche Wasser. 

Mein Handy muss wohl oder übel auch mit, da ich keine Lust auf noch mehr Streit habe. Die Schuhe tue ich in einem separaten Beutel ebenfalls zu den anderen Dingen, denn außerhalb der Schule laufe ich eigentlich immer barfuß.

„Morgen", ertönt plötzlich die raue verschlafene Stimme meines Bruders hinter mir. Er steht angelehnt am Türrahmen seines Zimmers. 

Seine dunkelblonden Haare lassen noch die Begegnung mit dem Kissen erkennen, indem sie Großteils genau in der Form verharrt sind, wie sie vor ein paar Augenblicken noch positioniert waren. 

Sie erinnern an einen Tummelplatz von boxenden Hasen in einer Wiese. Ich muss grinsen. 

„Dir auch"

„Gehst Du etwas schon los?" 

Er sieht so aus, als bezweifle er, ob ich noch alle Nadeln an der Tanne habe und mustert mich verständnislos, mit hochgezogenen Augenbrauen. 

Er hat dieselben bläulich-grauen Augen unseres Vaters. Mütterlicherseits sind allerdings noch ein paar braun-blaue Sprenkel hinzugekommen. Ich frage mich immer wieder, aus welcher Linie ich meine Augenfarbe habe. Dieses Blau, mit dem sonnigen Kreis, um die Pupille.

Tanz der Dämmerung - Zwischen den Welten ~Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt