44. Tränen geleckt

106 17 227
                                    

Plötzlich spüre ich zwei warme Hände an meinen Armen und ich weiß, dass er sich vor mir hingehockt hat und mich ansieht, obwohl ich meine Augen geschlossen halte. 

Ich will nicht, dass er mich so sieht. Ich will überhaupt nicht, dass irgendjemand mich so sieht! Ich drehe meinen Kopf zur Seite und hoffe, dass er einfach wieder geht, doch das tut er nicht. 

Stattdessen merke ich nach einem kurzen Zögern, wie ich schließlich in eine vorsichtige Umarmung gezogen werde.

Perplex halte ich meinen Atem an, und spüre nur seine Körperwärme an mir, welche dabei beruhigend auf mich überfließt.

Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich jetzt am liebsten alleine bin, doch plötzlich merke ich, wie gut es tut, einfach in den Arm genommen zu werden, sodass ich nach einem kurzen Moment schließlich meine steife Haltung aufgebe und ohne nachzudenken, mein Gesicht an seine starke Schulter schmiege.

Sein unverwechselbarer Geruch strömt auf mich ein und hüllt mich in ein seltsam tröstliches Gefühl.

Während ich zitternd und schluchzend in seinen Armen liege, merke ich auch, wie tief ich dabei seinen Geruch in mich einsauge, als könne dieser mir Halt schenken und auch um all diese verschiedenen, geheimnisvollen Komponenten seiner Persönlichkeit in mir aufzunehmen.

Mit der einen Hand streift er mir tröstlich über den Rücken, allerdings so, dass er mich dabei kaum wirklich berührt und hinterlässt dadurch mit seinem Daumen flatternde Schauder auf meiner Haut, welche immer stärker zu werden drohen.

Plötzlich fühle ich mich an den Moment zurückversetzt, als ich schon einmal in seinen Armen lag. Damals war es allerdings nicht freiwillig, sondern wegen dieser vermaledeiten Treppe.

Erschrocken reiße ich meine Augen auf und merke schlagartig, wie mein Herz beginnt schneller in meiner Brust zu pochen. 

Ich spüre die Hitze in meinem Körper, als mir bewusst wird, in wessen Armen ich gerade liege und mich anschmiege.

Ich versteife mich augenblicklich, traue mich aber auch nicht ihn wegzudrücken, da er mich dieses Mal schließlich wirklich umarmt, um mich einfach zu trösten.

Er scheint es jedoch trotzdem zu merken, denn er löst sich schließlich von mir und sieht mir dann forschend ins Gesicht. 

Schnell blinzele ich meine Tränen weg und schlucke den dicken Kloß ein wenig herunter, auch wenn das nicht so ganz klappt.

Für einen Moment starre ich ihn einfach an, ohne zu wissen, was ich sagen könnte, bis er schließlich das Schweigen bricht. 

„Komm, du kannst zu mir reinkommen. Hier draußen ist es kalt und regnet!" Er wartet kurz, ob ich reagiere, doch ich bin nicht imstande auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

...Reinkommen? ...Regen? Das alles ist mir im Moment so vollkommen sinnlos und weit weg. Als ich nichts tue, steht er schließlich auf und zieht mich dabei mit sich nach oben. 

Überrascht taumele ich und lande dann wieder in seinen Armen, als hätte ich das in meinem Leben nicht schon oft genug getan.

Anstatt mich loszulassen, nimmt er meinen einen Arm und legt ihn sich über seine Schulter, während er meinen Körper seitlich an seinen drückt, sodass er mich stützen kann und so mit mir über die Straße durch den Regen zur anderen Seite läuft.

Es geht alles so schnell, oder vielleicht funktioniert mein Gehirn auch einfach so unglaublich langsam, dass ich gar nichts anderes machen kann, als die Dinge einfach geschehen zu lassen. 

Demzufolge finde ich mich kurz darauf tatsächlich vor der Tür, eines dieser pompösen Gebäude wieder und sehe Kuno abwesend dabei zu, wie er mit einer Hand diese öffnet, während er mich mit der anderen immer noch umschlungen hält.

Tanz der Dämmerung - Zwischen den Welten ~Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt