17. Blitzschlag

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Als ich endlich mit meinen nackten Füßen den Waldboden berühre, streife ich mir die Regenjacke vom Leib und wickele sie mir um die Hüften.

Ich muss den Regen unbedingt auf meiner Haut spüren. Wieso habe ich sie eigentlich mitgenommen? Ein Grollen durchreißt die Atmosphäre und mit den Wolken fühlt es sich beinahe so an, als wäre die Sonne schon untergegangen.

Sie ist aber bestimmt gerade dabei am Horizont zu verschwinden, weshalb auch die Wolken in einer seltsamen Farbe erscheinen.

Zwar kann ich die Sonne nicht sehen und dadurch auch nicht die Uhrzeit feststellen, doch ich spüre dieses Flackern in meinem Bauch. Wie eine kleine Flamme, die sich entzündet und mir somit verrät, dass es bald nur noch größer werden wird.

Eigentlich sollte ich mich jetzt in Sicherheit bringen. Stattdessen laufe ich immer tiefer in den Wald. Meine Füße sinken in das nasse Moos, während meine Beine in fließend weichen Bewegungen, vom normalen Schritttempo, immer weiter in einen schleichenden Tanz wechseln.

Immer wieder durchzucken donnernde Blitze den Himmel und lassen den ganzen Boden unter mir erbeben. Eine laute Vibration. Alles pulsiert, zusammen mit dem Blut in meinen Adern. Der komplette Wald ist in ein schummeriges Licht getaucht.

Ich weiß noch nicht, wo mich meine Füße hintragen, bis ich schließlich merke, dass ich bei der Lichtung angekommen bin, auf welcher ich vor ein paar Tagen getanzt hatte.

Durch diese habe ich einen wunderbaren Blick auf den dunklen Himmel über mir, welcher immer wieder von kleinen Blitze erleuchtet wird. Eigentlich ganz und gar kein Platz, an welchem man sich bei Gewitter aufhalten sollte.

Wie war der Spruch nochmal, wenn man bei Gewitter im Wald ist? Man soll: „Eichen weichen und Buchen suchen!" Doch hier stehen gleich von beider Sorte, welche um die Lichtung verteilt. Ebenso eine Esche und auf der anderen Seite Kiefern und Fichten.

Anscheinend sollen Eichen Blitze anziehen, während Buchen eher noch Schutz bieten können, wobei darauf natürlich auch keine Garantie liegt.

Außerdem bin ich nicht hier, um Schutz zu suchen. Ganz im Gegenteil, ich muss tanzen! Die Regenjacke rutscht mir durch ihren glatten Stoff von der Hüfte und ich hänge sie im Regen an einen dünnen Zweig am Rand der Lichtung.

Dieser prasselt immer stärker vom Himmel und massiert meine Haut. Ich will ihn überall spüren! Darum ziehe ich mein Kleid aus, sodass ich nur noch in Badesachen dastehe, welche ich ja immer noch anhabe, da ich vorhin keine Zeit hatte, mich umzuziehen.

Ich strecke enthusiastisch meine Arme aus und höre mich, zusammen mit einem tiefen Donnern aus voller Kehle schreien. Ich bin mir sicher, dass mich von hier aus keiner hören kann. 

Erstens bin ich zu tief im Wald und zweitens, donnert es beinahe durchgehend. Zudem prasselt der Regen so laut, dass auch ohne dieses der ganze Wald von einem Rauschen erfüllt wird, als die Wassermassen, tosend auf die Blätter der Bäume und des Waldbodens aufschlagen.

Ich schreie immer weiter und drehe mich dabei mit ausgestreckten Armen im Kreis. Dann beginne ich zu tanzen.

Es ist diesmal ein Tanz, ganz anderer Art. Viel wilder, geladener und irgendwie lässt sich die Gefahr, welche durch das Gewitter in der Atmosphäre schwebt, auf meine Bewegungen übertragen und in den Boden ableiten.

Ich fühle diese Spannungen zum zerbärsten in mir und baue sie mit meinen Bewegungen immer weiter auf, bis ich sie geballt in den Boden abgebe. Das geschieht, indem mein Körper, mit ausladenden Bewegungen, nochmals alle Spannungen zentriert und dann meine Hände mit Schwung auf den Boden aufschlagen.

Ich höre regelrecht das Pulsieren der Erde, während im selben Moment ein gleißend heller Blitz den Himmel durchzuckt, woraufhin keine Sekunden später auch schon das markerschütternde Donnern ertönt. Inzwischen ist es richtig dunkel und ohne die Blitze, welche immer wieder aufleuchten, könnte ich wirklich kaum noch etwas sehen.

Tanz der Dämmerung - Zwischen den Welten ~Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt