9. Von Zahnbürsten und Lockrufen

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„Du solltest damit echt mal zum Arzt gehen, Nell!" An ihrer Tonlage, höre ich heraus, dass sie weiß, dass dieses Thema für mich unter keinem guten Stern steht.

Zum einen, weil ich als kleines Kind für mein Leben schon genügend Zeit in einem Krankenhaus verbracht habe und zweitens, weil alle sich, jedes mal, wenn ich in meinem Leben bei einem Arzt gewesen war, anschließend nur noch weniger schlau als vorher gefühlt haben.

„Die werden mir dort nur irgendwelche Schlafmedikamente verschreiben, welche ich eh nicht vertrage". Sage ich deshalb und zwinge mich nun, mich auch etwas aufzurichten, indem ich mich auf meine Ellenbogen aufstütze, um nicht mehr ganz so müde herüber zu kommen.

„Aber... vielleicht ist es wichtig! Es könnte eine .... also etwas dahinterstecken, dass es dir so geht!", sagt sie nun und schluckt. In ihrem Tonfall höre ich wirklich tiefe Besorgnis, sodass ich seufzen muss.

„Vivien, ich habe keine Krankheit. Ich bin ja nicht grundlos müde, sondern einfach nur, weil ich nicht schlafen kann und deshalb wach bleibe!"

Ich sehe sie beruhigend an und hoffe, dass sie das auch so sieht. „Und was ist mit deinen Schwindelanfällen? Die hattest du auch schon vorher!", sagt sie nun und damit hat sie tatsächlich ein bisschen recht.

Auch wenn sie vorher viel weniger intensiv gewesen sind, als es im Moment der Fall ist.

„Das kommt von dieser dicken, chemischen Luft der Schule! Sobald ich draußen an der frischen Luft bin, ist alles wie weggeblasen!" Sage ich und hoffe, dass sie das ein wenig überzeugt.

„Aber wieso wird dann nicht mir, oder irgendwem anders schlecht?"

„Also... na ja, Menschen sind eben unterschiedlich!" Vivien beäugt mich mit einem Blick, welcher mir sagen will, dass ich mir das doch nicht wirklich selber abnehme, was ich da gerade erzähle.

Doch um ehrlich zu sein, habe ich mit dieser Version kein Problem. Jeder Mensch reagiert auf verschiedene Situationen im Alltag individuell. Das ist doch ganz normal!

„Mir wird halt von Natur aus einfach etwas schneller übel. Und in Kombination mit dem Schlafmangel, wirkt sich diese Übelkeit eben etwas stärker aus!" Ich sehe Vivien fest überzeugt von meiner eigenen Erklärung an.

„Du bist echt so ein Dickschädel!", brummt sie frustriert und schnauft. „Was denn? Bis jetzt hat es nie was gebracht, wenn ich beim Arzt gewesen bin, außer dass es mir danach noch schlechter gegangen ist als vorher!" Ich seufze bei der Erinnerung.

„Als du das letzte Mal beim Arzt warst, warst du aber auch ein kleines Baby! Jetzt liegen schon so viele Jahre dazwischen! Vielleicht..." Sie vollendet ihren Satz nicht, sondern starrt einfach geradeaus.

Sie wirkt so besorgt, weshalb ich mich jetzt auch aufsetze und ihr mit meiner Hand über die Schulter streiche.

„Glaube mir, Vivien, sonst geht es mir wirklich gut! Ich fühle mich gesund und kräftig! Wirklich! Besonders, wenn ich im Wald bin! Deshalb zieht es mich ja auch so oft dorthin. Danach ist es als hätte ich pures Leben getankt! Wie als wäre ich energetisch aufgeladen!"

Sie sieht mich eine ganze Weile lang an, ehe es scheint, als würde sie meine Entscheidung für heute akzeptieren. Dankbar lächele ich sie an und mopse mir gleichzeitig eine Erdbeere vom Teller.

„Hunger?", fragt Vivien und ich bin ihr sehr dankbar für den Themenwechsel. „Etwas", gebe ich zu. „Super, ich nämlich auch!" Sie springt vom Bett und ich folge ihr, wenn auch etwas langsamer. Den Teller nehme ich dabei wieder mit in die Küche.

Ich laufe zum Kühlschrank, um neue Dinge herauszuholen, mit welchen ich ihn wieder belegen kann.

Für Vivien und mich ist es schon total normal, dass jeder sich um sein eigenes Essen kümmert, da wir einfach andere Vorlieben haben.

Tanz der Dämmerung - Zwischen den Welten ~Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt