26. Schmerzende Mauern

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Heute ist wieder der Tag, an dem ich mich in den vorletzten zwei Unterrichtsstunden auf eine bleierne Deo-Wolke neben mir gefasst machen muss. Als ich eintrete, werde ich nicht enttäuscht.

Diesmal bin ich etwas besser vorbereitet, indem ich gleich meine Tasche mit ins Klassenzimmer genommen habe, was eigentlich nicht erlaubt ist, 

doch wo ich meine Unterlagen drinnen verstauen kann, falls ich wieder schnell an die frische Luft flüchten muss, um nicht ohnmächtig zu werden.

Dann kann ich diese einfach schnappen und nach draußen rennen. Ich habe auch überlegt, diesen Unterricht einfach zu schwänzen, doch das wäre auf die Dauer, auch keine Lösung, weshalb ich es zumindest versuchen muss.

Im Klassenraum öffne ich gleich den oberen Bereich des Fensters, welcher als einziges zu öffnen geht, sodass es wenigstens, solange ein bisschen lüften kann, bis die Lehrerin kommt, welche es leider immer sofort wieder zumacht.

Vielleicht schaffe ich es wenigstens den Anfang mitzubekommen, sowie die Arbeitsblätter, sodass ich diese dann stattdessen in Ruhe im Wald durchgehen kann!

Sobald ich mich allerdings setzen muss, ist es auch schon dahin mit meinem Optimismus. Die penetrante Deo-Wolke meiner Sitznachbarin legt sich über meine Sinne, wie eh und je, sodass die Übelkeit über mich einstürzt wie eine Welle aus betäubendem Nebel.

Es endet damit, dass ich es gerade noch schaffe meine Sachen zusammenzuklauben und halbwegs aufrecht aus dem Unterricht zu stolpern. Ich habe gerade mal den Anfang mitschreiben können. 

Später werde ich Nic fragen, ob ich bei ihm abschreiben kann, damit ich mir das Thema nochmal bei Sinnen ansehen kann!

Im Flur klammere ich mich erst einmal kurz an den Fenstersims, ehe ich vorsichtig zur Treppe taumele. Wird das jetzt immer so sein? Ich schaffe es nach draußen, ohne die Treppe hinunterzufallen und ohne von irgendjemanden aufgefangen zu werden!

 Das ist doch schonmal ein Fortschritt!

Als ich die Tür aufreiße, begrüßen mich neckende Sonnenstrahlen und eine verirrte Biene fliegt vor meiner Nase.

Mein Ziel ist es für heute, dass ich mich so weit wieder erhole, dass ich nachher, in der letzten Unterrichtsstunde, wieder zurückkehren kann, da ich dieses Fach letzte Woche auch schon versäumt habe.

Nachdem ich mich meiner Schuhe entledigt habe, laufe ich durch das Tor, um die Mauer, um in den kraftspendenden Wald zu gelangen. 

Ich gehe leise, fast tonlos über den Boden und ich merke wie meine Sohlen, durch die trockene Wiese hindurch, zumindest ein paar singende Energieionen in sich aufnehmen. Im Wald wird es gleich noch viel intensiver sein.

Ich will schon das schützende Dickicht durchdringen, als ich plötzlich eine Gestalt noch etwas weiter die Mauer entlang stehen sehe.

Er steht mit dem Rücken zu mir, sodass er direkt auf die Mauer starrt. Ich erkenne ihn sofort. Sein dunkles wuscheliges Haar... Ist er etwa immer zu dieser Stunde vom Unterricht befreit? Oder schwänzt er? 

Soweit ich weiß hat Simo mal erwähnt, dass Kuno und er sich beim Sport immer konkurrieren und weil ersterer gerade Sport hat, nehme ich an, dass dieser Kuno es demzufolge jetzt ebenfalls hätte.

So wie er dasteht, wirkt er irgendwie noch angespannter als sonst. Ich bin mir fast sicher, dass er mich noch nicht bemerkt hat, weil, wenn er die ganze Zeit schon in dieser Position dasteht, dann hatte er mich nicht sehen können und er scheint regelrecht krampfhaft eingefroren zu sein.

Seine Schultern sind angespannt und sein rechter Arm in einem komischen Winkel mit der Hand gegen die Mauer gebeugt, als würde er Druck ausüben.

Oder ist es seine Faust? Etwa die mit der Verletzung? Ohne weiter darüber nachzudenken, tragen mich meine Füße in seine Richtung, doch er bemerkt mich noch immer nicht und scheint, wie in einem Käfig, aus Schmerz gefangen und verkrampft zu sein.

Tanz der Dämmerung - Zwischen den Welten ~Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt