10 - Märchen

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Die helle Morgensonne wärmte mein Gesicht. Nervös saß ich auf einem königlichen Stuhl und schaute aus dem leicht geöffneten Bogenfenster hinaus. Eine dünne Brise wehte durch die beige-gewebten Vorhänge und ließ sie sanft hin und her schaukeln. Mein Herz stand still. Meine Seele war ruhig wie das Ozean am Abend. Das ist nicht richtig, Persephone. Es sollte ein Sturm in dir toben.

Valencia beugte sich vor mich und strich mit dem weichen Pinsel geduldig über mein Augenlid. Interessiert beobachtete ich, wie sie den Champagner-Ton mit einem Gold und weißem Glitzer kombinierte. Sie verpasste mir noch einen Eyeliner-Strich und tuschte meine Wimpern. Für meine Lippen wählte die Stylistin einen durchsichtigen glänzenden Lipgloss.

Dann machte sich Valencia an meinen Haaren zu schaffen. Während sie meine langen roten Haare lockte und sie anschließend Strähne für Strähne hochsteckte, schloss ich meine Augen und lauschte den viel zu unbesorgten Wellen im Inneren meines Körpers. Ich hörte das Rascheln der Honigpalmen vor dem Fenster und der liebliche Gesang der Vögel.
Die Luft roch nach dem salzigen Meer, aber auch nach süßer Wildrose.

Du heiratest, Persephone! Einen Mafioso! Vergiss das nicht! WACH AUF!
Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Blitzartig öffnete ich meine Augen und sah in den Spiegel hinein, durch den ich Valencias zarten Hände betrachtete, die vorsichtig den Schleierkraut zwischen den hochgesteckten Locken einsetzten.
„Wir haben nicht mehr viel Zeit", murmelte sie und blieb dabei hockkonzentriert, „Du bist bestimmt sehr aufgeregt." Aufgeregt? Valencia klang als würde ich jeden Moment die Liebe meines Lebens heiraten. Aber das tue ich nicht. Bei diesen Gedanken sprang mein Herz beinahe aus der Brust. Also, nein. Ich bin nicht aufgeregt. Aber ich habe verdammt nochmal Angst...Angst vor der Zukunft. Es war OK Mino zu heiraten. Denn es bedeutete für mich nichts. Ich persönlich hatte nie ans heiraten gedacht. Die Karriere hatte bei mir immer höchste Priorität...bis jetzt. Jetzt war das wichtigste zu überleben. Und wenn es bedeutete einen Mafioso zu ehelichen, dann sollte es eben so kommen.

„Ich will es einfach nur hinter mich bringen", antwortete ich bitter und senkte meinen Kopf in Richtung des Schachbrett-Marmor-Bodens, das so sehr glänzte, dass ich mein Spiegelbild darin wiedererkannte. Eines Tages würde ich wieder zuhause sein. Ich würde mit Helena über die Möglichkeiten reden mit denen wir Patienten weiterhelfen könnten. Ich würde mit Nikos trainieren gehen und danach bei Xenia im Club aufkreuzen, um ihre neuen Cocktail-Kreationen zu testen. Ich würde am Bett meiner Mutter sitzen und ihr schönes Gesicht betrachten, während sie mir alte schottische Legenden erzählte. Ich würde...

„Es gab ein Problem mit deinem Kleid." Stella stürmte in das Zimmer herein und legte etwas in Stoff gewickelt auf dem Bett ab. „Deshalb leihe ich dir jetzt das Hochzeitskleid von Minos Mutter." Sie stieß angestrengt die Luft aus und faltete den Stoff auseinander. „Gott, ich hoffe er bringt mich nicht um. Ich hätte dir ja auch das Kleid meiner Mutter gegeben, doch die ist viel kleiner als du. Und nach Minos Beschreibungen solltest du in etwa die gleichen Maße wie seine Mutter haben."

Ich hatte fast vergessen, dass Mino und Stella ‚nur' Halbgeschwister sind. Auch wenn sie sich überhaupt nicht ähnlich aussahen, hatten sie den gleichen skrupellosen und emotionslosen Ausdruck in den Augen.
Stella trat vor mich und musterte Valencias Kunstwerk. Sie nickte zufrieden, ergriff mein Handgelenk und zog mich zum Bett, wo das Kleid auf mich wartete.
„Du hast fünf Minuten um das Kleid anzuziehen", befahl die Blondine und warf mir einen tödlichen Blick zu, „wenn du das Kleid irgendwie kaputt machst, töte ich dich...oder wahrscheinlich eher Mino. Du wirst schon sehen." Gefährlich und elegant zugleich, machte sie auf dem Absatz kehrt.

„Warte!", versuchte ich sie aufzuhalten. Sie blieb am Türrahmen stehen und drehte sich langsam zu mir um. „Wie hast du eigentlich meine Sporttasche gefunden?"
Stella hob die Augenbrauen und warf dabei eine ihrer blonden Strähnen nach hinten.
„Unser Spion hat sie mitgenommen...mit ein paar Akten, die Angelo von dir angelegt hatte."
Angelo hatte Akten über mich? Das ist gruselig. Warum bin ich für die Mafia so interessant?

MIA DEA - Göttin der MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt