Grace

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TW: metioning of death and near death experiences

"When the soul leaves the body, it can take a long time or it can happen very quickly. No matter how, it is painful. It is painful for the one who is dying, and it is painful for those who are left behind. The separation of the soul from the body, that is the ending of life."

Sterben. Sterben war nicht so, wie Julian es sich vorgestellt hatte. Es war nicht leicht und ging auch nicht schnell. Einen kurzen Moment nur fühlte er sich leicht, sorglos, so als würde er fliegen. Es wurde immer heller um ihn herum. Die Dunkelheit verschwand und ein Licht erschien. Er konnte es sehen. Es war ein Stück von ihm entfernt und es kam ihm so vor, als würde er sich darauf zu bewegen. Nicht sein Körper. Den hatte er in Schmerzen zurückgelassen. Es war, als würde seine Seele, getrennt von dem Rest, auf das helle Leuchten zufliegen. Er würde erlöst werden von allem Schmerz den er in sich trug. Es würde vorbei sein, bald.

Doch da war eine Stimme. Julian konnte sie nicht richtig zuordnen, konnte nicht verstehen, was sie sagte. Je mehr er versuchte, der Stimme zuzuhören, desto weiter weg erschien ihm das Licht. Die Laute, die die Stimme verursachte klangen verzweifelt. Leidend. Julian tat es weh diese Stimme zu hören. Er hatte Mitleid mit der Person, zu der sie gehörte. Er wollte dieser Person helfen. Sie trösten, weil sie so verzweifelt klang. Nach kurzem Zögern, wandte er sich ab von dem Licht. Sah sich suchend um. Er konnte nichts erkennen. Alles war wieder dunkel. Das Licht, von dem er sich abgewandt hatte, war verschwunden. Die Stimme allerdings war lauter geworden. Julian konzentrierte sich und meinte einzelne Worte verstehen zu können. "Julian..." Julian erschrak bei dem Klang seines Namens. Die Stimme rief ihn. Sie klang dabei so verzweifelt, dass es ihm das Herz zeriss. Gleichzeitig spürte er etwas. Seinen Körper. Nur ganz schwach kehrte das Gefühl zurück. Er konnte es nur erahnen. Aber da war etwas. Eine Wärme. Sie ging von seinem linken Arm aus. Da traf Julian die Erkenntnis. Es war Kai. Die Stimme war Kai. Die Wärme war Kai. Kai rief ihn.

Mit einem Mal wurde alles um ihn herum sichtbarer. Die Dunkelheit verschwand und Julian sah das Fußballfeld. Er sah sich. Es war komisch, es fühlte sich so an, als würde er von oben auf das Geschehen hinab blicken. Er sah seinen Körper auf dem Rasen liegen. Um ihn herum knieten Menschen. Kai war an seiner Seite und hielt sich verzweifelt an seinem linken Arm fest. Er rief immer wieder seinen Namen. Die Sanitäter, die angerannt kamen, schubsten Kai leicht zur Seite. Dieser wehrte sich, wollte seinen Platz an Julians Seite nicht verlassen. Einer der Sanitäter versuchte Kai zu beruhigen, während die anderen Julians Trikot aufschnitten und den Defibrillator herausholten. Die anderen Spieler stellten sich daraufhin im Kreis um das Geschehen auf und verhinderten somit, dass das ganze gefilmt werden konnte. Einige weinten. Emre starrte mit glasigen Augen geradeaus und seine Brust bebte. Doch Julians Blick war nur auf Kai gerichtet. Dieser war nun in sich zusammen gesunken und beobachtete verzweifelt wie sein bester Freund wiederbelebt wurde. Dieser Ausdruck in Kais Augen schmerzte Julian, denn Kai sah so aus, als hätte er gerade alles verloren und Julian wollte nicht, dass Kai verlor, niemals. Er wollte ihn glücklich sehen. Immer.

"Keine Atmung" die Sanitäter sahen sich besorgt an. Julian beobachtete sie wie sie ihm immer und immer wieder Stromstöße versetzten. Es schien nichts zu bringen. Er sah Kai und die pure Verzweiflung in seinen Augen. Er wollte das nicht. Er wollte nicht sterben. Noch nicht. Er wollte leben. Für Kai.

Und Julian atmete. Obwohl es wehtat. Obwohl es das Schwerste war, was er je gemacht hatte. Langsam. Bedacht. Er atmete und alles wurde wieder verschwommen und dunkel. Nach einiger Zeit fühlte er den Rasen unter sich. Hörte Stimmen. Erleichterte Stimmen. "Wir haben wieder eine Atmung" rief einer der Sanitäter. "Herr Brandt können Sie mich hören?" fragte ein anderer. "Jule?" Das war Kais Stimme. Sie war leise, klang erstickt und ängstlich. Er spürte die Wärme in seinem linken Arm wieder. Mit Mühe öffnete er schwach die Augen. Nur einen Spalt breit. "Kai..." flüsterte er. Dann wurde er wieder bewusstlos. Aber dieses Mal blieb er an Kais Seite.

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt