Panic

701 34 0
                                    

"Geht es ihm gut?" War das erste, was Julian hörte. Verwirrt öffnete er langsam die Augen und sah sich um. Er lag auf dem Boden, um ihn herum war der vertraute Eingangssbereich des Signal Iduna Parks. Er sah in die Augen vieler besorgter Gesichter, die sich zu ihm herunter beugten. Emre stand direkt neben ihm und sah verzweifelt den Sanitäter an, der auf der anderen Seite kniete. "Was hat er?" Fragte Emre nun. Der Sanitäter,  wandte sich daraufhin mit einem ernsten Gesichtsausdruck an Julian "Wie fühlst du dich?" fragte er, Emres Frage ignorierend. Julian überlegte kurz. Er war verwirrt. Was war passiert? "Was ist passiert?"fragte er deshalb. "Du bist draußen zusammengeklappt, Jule" erklärte Emre ihm. "Ich hatte echt Angst..." fügte er etwas leiser hinzu, mehr zu sich selbst redend als zu Julian.

Er war zusammengeklappt? Julian konnte sich an nichts mehr erinnern. Nur an die lauten Geräusche und an das Gefühl, dass ihm alles zu viel wurde. Ein schreckliches Gefühl, was er nie wieder erleben wollte, um keinen Preis. Er fühlte sich erschöpft und ihm war schlecht. Es fühlte sich so an, als hätte er ein komplettes Fußballspiel plus Verlängerung und Elfmeterschießen durchgespielt. Normalerweise, würde er nach so einem anstrengenden und nervenaufreibendem Spiel in der Kabine sitzen bleiben. So lange, bis niemand mehr da war. Er saß dann einfach nur da und ließ das Ergebnis des Spiels sacken, egal wie es ausging. Kai war dann immer bei ihm geblieben. Jedes einzelne Mal seit sie befreundet waren und ein wichtiges Spiel zusammen gespielt hatten. Er hatte nie nachgefragt, warum Julian immer noch so lange in der Kabine saß und den Boden anstarrte, wie ein Verrückter. Er hatte sich nie beschwert und ihn nie gehetzt. Sie saßen dann beide einfach so da, ohne etwas zu sagen. Irgendwann hatte Julian Kai dann immer fragend angesehen und dieser hatte zustimmend genickt. Dann waren sie aufgestanden und gegangen. Es war ihr persönliches Ritual nach jedem bedeutsamen Spiel und es hatte Julian immer beruhigt neben Kai zu sitzen und einfach nichts zu sagen. Das hier war zwar kein wichtiges Spiel, aber er fühlte sich genauso benommen. Er hätte einen Moment Stille mit Kai, der neben ihm saß jetzt wirklich gebraucht. Aber Kai war nicht hier, Julian war gegangen, hatte seinen besten Freund verlassen, er hatte damit so viel kaputt gemacht.

Bevor Julian weiter in der Melancholie seiner Gedanken versinken konnte, wandte sich der Sanitäter, der bis eben noch mit dem Mannschaftsarzt geredet hatte, wieder an ihn. "Fühlst du dich in der Lage aufzustehen? Wir würden dich dann hier wegbringen, damit wir ein bisschen ungestörter reden können und du dich ausruhen kannst" erklärte er mit einem Kopfnicken in Richtung Eingang, wo man noch immer die Geräusche klickender Kameras wahrnehmen konnte. Julian, dem sich bei diesem Geräusch schon wieder der Magen umdrehte, nickte nur zustimmend.

Sie brachten ihn in das Büro des Mannschaftsarztes. Den klinischen Raum und den Lederstuhl kannte Julian noch vom letzten Mal zur Genüge. Eigentlich hatte er vorgehabt, nicht so schnell wieder hier zu landen. Emre, der ihn gestützt hatte, weil Julian noch immer etwas wackelig auf den Beinen war, kratze sich nun etwas verlegen am Kopf und sah sich um. "Ich geh dann mal und lass euch alleine...ich sag auch beim Training Bescheid..." Er sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber beließ es dann dabei. Bevor er aus der Tür heraus verschwand, fiel Julian an, dass er sich noch nicht mal für Emres Hilfe bedankt hatte. "Danke, Emre...ehrlich" Emre lächelte schwach "Klar,bro...mach das nicht nochmal okay?" "Ich werds versuchen" mit einem letzten kurzen Grinsen verschwand Emre schließlich aus dem Behandlungsraum.

Der Mannschaftsarzt wandte sich nun an Julian. "Na Jule, also da hast du aber allen einen ziemlichen Schrecken eingejagt, was? Julian versuchte sich an einem schiefen Lächeln, was allerdings ziemlich kläglich ausfiel. Ihm war überhaupt nicht nach Lachen zumute. "Weißt du denn noch was passiert ist?" fragte ihn der Arzt nun. Julian überlegte kurz, er erinnerte sich nur an die Geräusche, die Hitze und das blendende Licht. Er erinnerte sich daran, kaum noch Luft bekommen zu haben, aber sonst kam es ihm so vor, als wäre er die letzte halbe Stunde in Watte gepackt worden, als hätte er alles durch einen Filter hindurch gesehen. Es war ihm alles so unwirklich vorgekommen und er konnte sich an keine Details erinnern. Genaus das erzählte er dem Arzt. Den Teil mit der verschwommenen Wahrnehmung ließ er allerdings aus, der klang in seinem Kopf schon beunruhigend genug.

Der Arzt nahm alles zur Kenntnis und machte sich nebenbei einige Notizen in Julians Krankenakte. Als Julian seine Ausführung beendet hatte, sah er ihn einen Augenblick lang prüfend an. "Scheint als hättest du eine Panikattacke gehabt, hattest du so etwas in der Art schon mal?" fragte er ihn schließlich. "Nein" antwortete Julian prompt. Ihm war es unangenehm hier zu sitzen und darüber zu reden. Es war albern. Er wollte nicht derjenige sein, der bei ein paar Kameras direkt zu viel kriegte. Das lag bestimmt alles einfach nur daran, dass er sich zu zur Zeit zu viele Gedanken über alles machte. Er musste einfach mal abschalten. Das ist allerdings gar nicht so einfach, wenn man nicht mal in der Lage ist vernünftig zu schlafen, dachte er selbstironisch. "Hast du dich in letzter Zeit vielleicht gestresst oder überfordert gefühlt?" meldete sich nun der Mannschaftsarzt wieder zu Wort und sah Julian fragend an. Julian schüttelte nur den Kopf. Er wusste, dass das gelogen war, aber er wollte nicht zugeben wie schlecht es ihm zur Zeit ging. Es auszusprechen würde es nur noch realer machen.

Es war ihm generell noch nie leicht gefallen offen über seine Gefühle zu sprechen. Klar war er ein sehr offener Mensch, der auch sehr gerne redete, aber tiefgründigere Gespräche hatte er immer gehasst und war sich total dämlich dabei vorgekommen. Nur mit Kai war das anders gewesen. Kai hatte immer genau gewusste, wenn Julian über ein Thema reden wollte, sich aber nicht traute. Dann hatte er ihn immer dazu gedrängt es doch zu tun. Er hatte ihm versprochen alles für sich zu behalten und weil Kai Julians bester Freund war, hatte er ihm vertraut. Der Mannschaftsarzt war nuneinmal nicht Kai und auch kein wirklich guter Ersatz für ihn. Mit ihm würde Julian nicht über seine Probleme reden, weil er das noch nie getan hatte.

Der Arzt schien Julian anzusehen, dass dieser nicht mehr reden wollte und seufzte. "Na gut, ich werde dir trotzdem einen Termin bei dem Sportpsychologen besorgen, sowas soll schließlich nicht nochmal passieren" Julian nickte nur. Er war müde und geschafft und fühlte sich zu mehr nicht wirklich in der Lage. Mit einem Mal wurde die Tür des Behandlungsraumes aufgerissen. Julians Kopf schnellte zur Tür und er sah Mats, der im Türrahmen stand und aussah, als wäre er vom Spielfeld im Vollsprint hierher gelaufen, was vermutlich auch der Fall war. "Schnell, Marco ist umgeknickt, es ist der Oberschenkel, schon wieder" erklärte er nun schnaufend und sah den Arzt eindringlich an. Julian verspürte sofort Panik und Mitleid in ihm aufsteigen. Marco kam gerade erst aus einer langen Verletzungsphase und war eigentlich auf dem Weg der Besserung. Julian wusste, wie sehr ihm seine Situation zugesetzt hatte und konnte sich vorstellen, wie tragisch eine erneute Verletzung jetzt war. Der Mannschaftsarzt schien den Ernst der Lage ebenfalls sofort zu verstehen und zögerte keine Sekunde länger. "Jule, du findest alleine raus?" mit diesen Worten rannte er Mats hinterher, der sich schon auf den Weg gemacht hatte.

Julian wartete noch einen kurzen Moment und stand dann auf. Er war gerade an der Tür und wollte diese schließen, als eine Ecke der Zimmers seine Aufmerksamkeit erregte, die er bis dahin gar nicht wahrgenommen hatte. Es war die Ecke, in der der Medikamentenschrank stand. Zögerlich sah sich Julian erst um und schloss die Tür dann wieder. Mit zaghaften Schritten näherte er sich dem Schrank. Er war abgeschlossen, aber der Schlüssel lag direkt daneben in einem Regal. Julian wollte nichts nehmen. Das wäre Diebstahl und das würde er niemals tun. Er wollte bloß einen Blick riskieren. Vorsichtig öffnete er die Glastür und begann die Etikette der verschiedenen Packungen zu lesen. Mit den meisten konnte er ohnehin nichts anfangen. Er wollte die Glastür gerade wieder verschließen und so tun, als wäre das alles nie geschehen, als ihm eine kleine orange farbene Packung ins Auge fiel. Auf dem weißen Etikett, welches sie umschloss stand "Benzodiazepine" und darunter in etwas kleinerer Schrift "Schlaftabletten". Ohne lange nachzudenken, steckte sich Julian die Packung in die Hosentasche seiner Trainingshose und schloss dann ruckartig die Glastür. Es war als würde eine höhere Macht ihn kontrollieren. Er warf den Schlüssel geradezu auf das Regal zurück und rannte aus der Tür hinaus auf den Flur, als würde er verfolgt werden. Er verließ das Stadion durch einen der Notausgänge und es gelang ihm tatsächlich unbemerkt zu seinem Auto zu gelangen. Noch nie in seinem Leben, war Julian so schnell nach Hause gefahren wie heute. Auch wenn er sich immer noch nicht wirklich erholt hatte und sich immer noch fühlte, wie in Watte eingepackt. Sein Herzrasen wurde nur noch verstärkt, durch die Packung Tabletten, die ihm in seiner Tasche brannte.


Heyy, sorry, dass das Kapitel erst heute kommt. Alsoo es wird jetzt langsam spannend und geht mehr in die Richtung "addiction" (nochmal TW and dieser Stelle) es wird aber nicht so heftig also keine Angst haha. Btw wie cool ist es bitte, dass Jule für die Nationalmannschaft nominiert wurde? Hat gestern auf jeden Fall meinen Tag gerettet.

Danke fürs lesen und euch allen ein schönes Wochenende noch<33

 

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt