TW: slight mention of drug withdrawal
„You have to be able to recognize your truths in the daylight before you can find them in the dark."
- Immortality Or Something Like ItJulians POV
Julian hatte sich auf der Fahrt zurück nach Dortmund viele Szenarien ausgemalt, wie die nächste Zeit für ihn aussehen würde. Keines davon war positiv gewesen. Weil sie sich alle ohne Kai abspielten. Ohne seinen einzigen Halt. Er war der Meinung gewesen, alle Eventualitäten mit einberechnet zu haben. Aus diesem Grund überraschte es ihn selbst am meisten, dass keines der Szenarien der Wirklichkeit entsprach.
Der langen Fahrt zurück nach Dortmund in demselben Auto, in dem er als Nachzügler zu dem DFB gebracht worden war, folgte ein langer Abend. In Dortmund wurde Julian von vielen Mitarbeitern des BVB empfangen. Ärzte, Trainer, Psychologen. Sie waren alle da. Ausgewählte Mitarbeiter, die vorher über die Lage informiert worden waren. Mitarbeiter, die diskret arbeiten würden. Das wurde ihm immer und immer wieder versichert. Die Situation war so ironisch, dass Julian fast gelacht hätte. Monatelang hatte er sich versteckt, aus Angst vor einem Rauswurf, verzweifelt versucht seine Probleme zu verbergen, weil er nicht gewusst hätte, wie er das seinen Eltern hätte erklären sollen, seinen Freunden, allen um ihn herum, wenn der BVB seinen Vertrag aufgelöst hätte.
Julian hatte Angst vor der Welt gehabt, davor, dass er zu schwach war ihr standzuhalten und alle es sehen würden.
Jetzt war er endlich zerbrochen und anstatt ihn weiter brechen zu lassen, schien sein Umfeld ihm plötzlich helfen zu wollen.
Wie schon am Vormittag, bei dem Gespräch mit den Trainern der Nationalmannschaft, hatte Julian die Erleichterung gefühlt, endlich ehrlich sein zu können. Ehrlich sein zu dürfen.
Es gab Gespräche. Viele Gespräche. Über unerlaubten Missbrauch von Medikamenten während Spiel- und Trainingszeiten, Diebstahl und ein fahrlässiges Umgehen mit der eigenen Gesundheit. Julian ließ diese über sich ergehen. Er war sich seiner Schuld bewusst. Schon lange. Er wollte sich nicht länger davor verstecken, die Verantwortung dafür zu tragen. Es war an der Zeit, dass er zu seinen Fehlern stand. Er sah die Verantwortlichen direkt an. Hörte ihnen zu. Verstand jedes einzelne Wort.
Dann veränderten sich die Gesprächsthemen. Es ging um psychische Probleme, mögliche Therapien und um die Schuld, die der Verein trug. Auf Julians fragenden Blick hin, guckten seine Gesprächspartner beschämt. Es hätte Hinweise gegeben. Mitspieler, die sich Sorgen gemacht hatten und diese den Trainern mitgeteilt hatten. Mats, Emre und Marco. Aber niemand hatte gehandelt. Und dann entschuldigten sich Julians Trainer bei ihm. Im Namen des ganzen Vereins entschuldigten sie sich für eine unzureichende psychische Betreuung und einen gefährlichen Mangel an Einschätzungsvermögen. Julian war sprachlos.
Die Trainer und die Geschäftsleitung hatten verschiedene weiterführende Optionen diskutiert und waren zu einem Entschluss gekommen, den sie ihm nun mitteilten.
Sie wollten Julian zunächst unter dem Vorwand einer Verletzung beurlauben. In dieser Zeit sollte eine Therapie stattfinden. Wenn, und nur wenn, sich in der Therapie Erfolge zeigen, wollten sie Julian wieder in die Mannschaft integrieren und spielen lassen. Der Verein würde die Kosten für die Therapie tragen und Julian musste den Wert der gestohlenen Medikamente finanziell ersetzten. Sein Vertrag würde wie geplant weiterlaufen und nicht aufgelöst werden. Zusätzlich musste er vertraglich bestätigen, mit niemandem über die Therapie zu sprechen und sich in der vorgesehenen Zeit von seinen Mitspielern zu distanzieren.Julian unterschrieb den Vertrag. Mit leicht zitternden Hand schrieb er seinen Namen auf das so bedeutungsvolle Dokument. Dunkle Tinte auf dem hochwertigen Papier. Damit war es bestätigt. Neben seinen Mitspielern durfte er auch zu anderen Personen keinen Kontakt haben. Seine Familie war die einzige Ausnahme. Kai nicht. Kai war keine Ausnahme. Obwohl Kai so etwas wie Familie für ihn war. Mehr als das. Viel mehr als das. Aber das wusste niemand. Und es durfte niemand wissen. Und deshalb besiegelte Julian mit seiner Unterschrift einen vorläufigen Kontaktabbruch zu der einzigen Person, mit der er jetzt reden wollte.
Während des Gesprächs war in Dortmund die Sonne untergegangen. Es war spät. Julian war müde.
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I just wanna feel again ~ Bravertz
Fanfictionfüh·len /fǘhlen/ schwaches Verb mit dem Tastsinn, den Nerven wahrnehmen; körperlich spüren "einen Schmerz, die Wärme der Sonne fühlen" Tastend prüfen, feststellen "[jemandem] den Puls fühlen" seelisch empfinden "etwas instinktiv fühlen" Tastend nac...