Lost Boy

552 38 19
                                    

TW: addiction, drug abuse

"The famous boy who never grows old, Peter Pan is boastful and carefree; self-centred and oblivious; forgetful and fearless. In short, he is everything that you would expect the essence of childhood to be. And he is everything we miss about being a child."

Es war ein wichtiger Tag. Obwohl Julian kaum geschlafen hatte, spürte er wie Anspannung sich in der Sekunde in ihm breit machte, in der die Sonne über Dortmund aufging. Sie erleuchtete die Dächer der Stadt, die Julian aus der Ferne sehen konnte und sie malte den Himmel orange. Die Stadt, die er so hasste, war auf einmal wunderschön.
Für Julian war das ein besonderer Anblick. Seine Umwelt erschien ihm zuletzt so monoton und grau, dass die Farben um ihn herum strahlend wirkten.
Ein bekanntes Gefühl begleitete ihn seit gestern. Hatte ihn wachgehalten. Er fühlte das Zittern wieder. Die Kopfschmerzen. Er fühlte, wie die Wirkung der Tabletten seinen Körper verließ. Wie alles in ihm danach schrie, sie wieder einzunehmen. Er tat es nicht.

Die ganze Nacht hatte Julian wachgelegen. Auf der linken Seite seines Bettes, und hatte die rechte angestarrt. Ohne die Hilfe der Tabletten konnte er nicht schlafen. Aber er wollte sie nicht nehmen. Nicht heute. Heute war zu wichtig. Heute war der letzte Tag, an dem er den Anruf erhalten könnte. Den Anruf, der seine Eintrittskarte für die Nationalmannschaft wäre. Seine Eintrittskarte in seinen ganz persönlichen Albtraum. Denn sollte der Anruf kommen, würde er Kai wiedersehen.

Das war der zweite Grund, warum Julian die Tabletten nicht genommen hatte. Er hatte Angst gehabt zu schlafen. Er wollte nicht mehr von Kai träumen. Er hasste sich selbst, für die Gedanken, die seine Träume anregten, aber gegen sie konnte er nichts machen. Gegen die Träume selbst schon. Er konnte aufhören zu träumen. Aufhören zu schlafen. Aufhören seinen Gedanken den Freiraum zu geben, um sich zu entfalten.

Also lag er da. Alleine in seinem Bett mit dem Blick aus dem Fenster auf den Sonnenaufgang und mit der Hand auf der rechten Betthälfte. Unterbewusst strich er über den glatten Teil seiner hellblauen Bettdecke, der diese bedeckte. Und während er das tat und seine müden Augen in die Sonne starrten, wurde in seinem verschlafenen Zustand eine Erinnerung geweckt. Eine Erinnerung, die das fehlende Puzzelteil zu dem war, an das ein junger Mann in London noch Tage zuvor gedacht hatte.

Er lag neben ihm. Auf der rechten Hälfte seines Bettes. Jetzt sah er so friedlich aus. Seine Augen waren geschlossen und er hielt eines von Julians Kissen umklammert. Fast, als würde er sich auch im Schlaf vor etwas oder jemandem schützen wollen. Julian betrachtete den Jüngeren. Er wusste nicht, was passiert war. Gestern, als Kai geklingelt hatte, war alles so schnell gegangen, dass Julian keine Zeit gehabt hatte, alles zu hinterfragen. Kai hatte auch nicht gewirkt, als wäre er in der Lage gewesen, Julians Fragen zu beantworten. Er hatte überhaupt nicht wie er selbst gewirkt. Julian erinnerte sich an den Blick in seinen Augen. Einen Blick, den er so schnell wohl nicht wieder vergessen würde. Es war eine Mischung aus Angst und Schuld gewesen. Scham und Schmerz. Er hatte gewusst, dass etwas passiert war. Das stand außer Frage. Kai hatte geblutet. Die Verletzung an seinem Kopf hatte so ausgesehen, als hätte dieser einen schweren Aufprall erlitten. Julian hatte ebenfalls Schnitte darum herum erkennen können. Als wäre Kais Kopf gegen Glas geschlagen.
Julian hatte keine Zeit gehabt seine Vermutung zu äußern. Kai hatte Probleme gehabt aufrecht stehen zu bleiben und Julian hatte ihn stützen müssen. Er hatte dabei instinktiv nach Kais Hand gegriffen. Später, als er Kais Wunde versorgt hatte, hatte Kai seine Hand weiterhin festgehalten. Er war abwesend immer wieder mit seinem Daumen über Julians Handoberflächliche gefahren und hatte Julian dabei angesehen, als wollte er ihm etwas sagen und zugleich nie wieder mit ihm über all das reden.
Jetzt lagen sie nebeneinander. Im Licht der aufgehenden Sonne. Julian strich über die hellblaue Bettdecke auf Kais Seite des Bettes. Sie war aufgewühlt. Kai hatte sich in ihr eingewickelt und es schien fast, als hätte er nicht vor, Julians Bett jemals wieder zu verlassen. Und vielleicht, nur vielleicht, wollte Julian auch gar nicht, dass die rechte Seite seines Bettes jemals wieder leer war.

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt