Train Wreck

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Es war Samstag. Der Tag, den Julian am liebsten überspringen wollte, war gekommen. Er würde Kai wiedersehen. Das erste Mal seit zwei Monaten und noch dazu seine ganze alte Mannschaft. Kai würde es bemerken. Er würde bemerken, dass es Julian nicht gut ging. Das war der einzige Gedanke, der Julian beim Training am Freitag Nachmittag durch den vernebelten Kopf ging. Allein bei dem Gedanken am kommenden Tag vor Kai zu stehen und ihm in die Augen schauen zu müssen wurde Julian schlecht. Eine kleiner Teil von ihm, ein winziger Teil der sich noch anfühlte wie er selbst, freute sich andererseits auf das Aufeinandertreffen. Seit ihrem Telefonat in der letzten Woche hatte sich zwar an seinem Zustand nicht wirklich etwas verändert und er fühlte sich mehr und mehr wie fremdgesteuert und neben sich stehend, allerdings spukte Kai häufiger als gewohnt durch seine verschwommenden Gedanken. Und jedes Mal wenn er an ihn dachte überkam ihn das Gefühl, etwas zu fühlen. Es verschwand jedes Mal wieder aber der kleine Teil in Julian, der sich selbst noch nicht aufgegeben hatte sprach ihm Mut zu, dass, wenn er Kai wiedersehen würde auch seine Gefühle zurückkommen würden. Weil da etwas gewesen war, was vorher nicht da war. Weil er bei dem "kicker"-Interview beinahe etwas gesagt hätte, was ihn selbst überraschte, weil er etwas gefühlt hatte, das er nicht kannte.

Abgesehen von dieser kleinen Hoffnung, die er in sich trug wie eine einzelne brennende Flamme eines einst großen Feuers, war nicht mehr viel von Julian Brandt übrig. Es schien zwar niemand in seinem näheren Umfeld mitzubekommen, aber mit jedem Tag, der verging, verschlechterte sich sein Zustand. Jeden Tag ging er morgens wie automatisch joggen, ohne die Anstrengung zu spüren, er aß nichts, weil er seinen Hunger nicht spürte. Er ging zum Training und spielte den gleichen Ablauf immer aufs Neue ab. Beim Training verschoss er, wurde täglich langsamer und, würde es in Dortmund nicht gerade eine Menge Verletzungen geben, da war er sich sicher, würde er am Samstag auf der Bank sitzen.

Im Verein war man frustriert von ihm. Sein Trainer bat ihn fast täglich um Einzelgespräche, fragte jeden Tag aufs Neue, ob alles okay sei. Warnte ihn davor, seinen Platz in der Nationalmannschaft verlieren zu können, wenn er so weiter machte. Julian war das egal, so wie alles andere. Er hatte aufgegeben und war nicht mehr in der Lage Enttäuschung und Schmerz zu spüren.

Einzig und allein Marco hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Dadurch, dass der Kapitän selber verletzt war, hatte er seine Zeit damit verbracht, mit jedem einzelnen der neuen Spieler Zeit zu verbringen und zu versuchen, sie besser in die Mannschaft zu integrieren. Bei Julian hatte er angefangen und hatte nach einiger Zeit einen Unterschied zu dem Julian, den er zu Leverkusen-Zeiten kennengelernt hatte, festgestellt. Dieser Julian war nicht lustig und lebensfroh. Dieser Julian alberte vor wichtigen Spielen nicht herum und zeigte beim Lächeln beide Grübchen. Dieser Julian war in sich gekehrt, ruhiger und kälter. Ein Lächeln war eine Seltenheit und auch ein lustiger Spruch kam ihm nicht mehr einfach so über die Lippen. Zunächst hatte Marco gedacht, dass Julian sich nur dem Druck beugte und ehrgeizig versuchte, etwas zu beweisen. Aber nach einiger Beobachtung, war er zu dem Schluss gekommen, dass das nicht der Fall war. Irgendetwas stimmte nicht. Marco hatte Julian darauf angesprochen, doch dieser hatte nur abgewunken. Trotzdem blieb Marco ein wenig skeptisch und beschloss die nächsten Tage ein Auge auf Julian zu werfen.

Marco hatte außerdem, nachdem Julian ihn abgewimmelt hatte, seinen einzigen Joker eingesetzt und Kai geschrieben. Er hielt dies zwar selbst für etwas übertrieben, wollte aber, für den Fall, dass tatsächlich etwas passiert war, informiert sein.

Marco: Hey Kai, sag mal weißt du ob mit Jule alles okay ist? Ich mach mir iwie bisschen Sorgen...

Kai: mhm also ich weiß nicht wir haben gar keinen Kontakt gerade...aber bei unserem Telefonat letztens war er auch iwie komisch...

Marco: oh okay dachte ihr seid noch in Kontakt

Kai: ja weiß nicht hat sich iwie nicht so ergeben...leider

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt