Empty Talks

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"Nobody knows the trouble I've seen...Nobody knows my sorrow [...] I just wanted to show you I could do it. That I could be brave like you"
-The Lion King

Die Sonne ging unter. Blass rosa farbene Wolken zogen sich über den blauen Himmel, und die Luft in Dortmund war mild. Ihr Atem bildete kleine Wolken vor ihnen und allein das, war beruhigend. Es war, als wäre das Schlimmste was passieren könnte, bei einem hektischen Atmen oder einem verzweifelten Schnappen nach Luft, dass eine große Wolke den Blick auf alles Schreckliche verdeckte. Eine wünschenswerte Vorstellung und ein tröstlicher Gedanke, fand Julian. Teilnahmslos joggte er hinter den anderen her. Seine Gedanken drifteten dabei ab, weit weg von allem um ihn herum, als würde ihm das gefüllte Stadion und die ganzen Menschen mit ihren negativen Meinungen über ihn, nichts mehr anhaben können.
Julian hatte lange nicht mehr geschlafen. Seit der Gedanke der Nominierung in seinem Kopf umherflog und alle Pflaster seines Heilungsprozesses abzureißen schien, hatte er kein Auge mehr zugemacht. Das machte sich bemerkbar. Er war wie in Trance. Er redete nicht, aß nicht. Eigentlich war er gar nicht da.  Gedanklich war er in London. In seinen Gedanken war alles gut. Und er dachte ständig, nur um diesen Zustand zu halten. Sobald er seine Gedanken aber verließ, sich umsah und erkannte wo er wirklich war, kamen die Zweifel zurück. Denn nach dem letzten Spiel, in dem er einen vorschnellen Schritt in die Richtung seines sehnlichsten Wunsches gemacht hatte, verspürte er den Druck, erneut zu handeln. Er hatte keine Angst mehr. Nicht wirklich. Er hatte immerhin eine Entscheidung getroffen. Das letzte Spiel hatte ihm gezeigt, dass er Kai wiedersehen wollte. Sein Körper hatte ihm das bewiesen. Und Julian hörte mittlerweile auf seinen Körper.

Allerdings musste Julian sich gezwungenermaßen auch mit etwas anderem befassen. Mit seinen Gefühlen. Am ehesten erinnerten diese ihn an eine Flut von strömenden Wasser, das zerstörerisch alles mit sich riss und an einem Punkt den, von ihm errichteten Damm, durchbrochen hatte. An diesem Punkt hatte er erkannt, was er in der Lage war zu empfinden. Was er für Kai empfinden konnte. Jetzt wirkten diese Wassermassen auf ihn unaufhaltsam. Er konnte sie nicht mehr stoppen. Er konnte den Damm nicht neu errichten.
Die Strömung würde sein Herz erreichen und in Stücke reißen in der Sekunde, in der er sich selbst eingestehen musste, dass er Kai in einer Weise verloren hatte, in der er ihn nie gehabt hatte.
Diese dunkle Vorahnung machte Julian taub. Es war, als wäre der Gedanke so faszinierend, dass er nicht aufhören konnte sich daran festzubeißen und sich in ihm zu verlieren.

Das Spiel. Sie hatten ein Spiel. Die friedliche Atmosphäre passte nicht zu der aufgeregten Stimmung im Stadion. Es war paradox anzusehen, wie sich alle auf einen Kampf um den Sieg vorbereiteten, wie Marco dem Kapitän von Greuther Fürth die Hand gab und wie der Schiedsrichter das Spiel anpfiff.
Julian hatte das Gefühl, als würde seine Abwesenheit sein Team anstecken. Sie schienen im Licht der untergehenden Sonne müde zu werden. Nicht lange nach dem Beginn des Spiels kämpfte sich ein Spieler der gegnerischen Mannschaft in ihren Strafraum und bekam damit die erste Chance einen Schritt in Richtung Sieg zu gehen. Er ging ihn nicht. Er verschoss.

Julian versuchte seine Augen weiter aufzureißen. Sie durften nicht verlieren. Er durfte nicht verlieren. Er war nur so müde. So müde. Seine Beine trugen ihn, aber sein Kopf schien sich nicht mit fortzubewegen. Natürlich dachte er Tag und Nacht an die Nationalmannschaft. Nicht nur ausschließlich wegen Kai. Es war eine große Ehre für sein eigenes Land spielen zu dürfen. Eine Nominierung würde für ihn bedeuten, dass er doch zu etwas zu gebrauchen wäre. Deshalb musste er spielen. Er musste rennen, auch wenn sein Körper nach den letzten schlaflosen Nächten nicht die Energie dafür hatte.

Das ganze Spiel war träge und vermutlich für Zuschauer nicht schön anzusehen. Es war wie Julian anfangs vermutet hatte, von der geladenen Atmosphäre auf den Tribünen, bekam er nichts mit. Als würden sie unter einer Glaskuppel spielen, abgeschnitten von dem Rest der Welt.
20 Minuten nach Spielbeginn sah Julian Rapha auf das Tor zurennen. Den Kleineren schien aus dem Nichts heraus ein Energieschub zu packen und er rannte schneller, als alle anderen Spieler um ihn herum. Julian konnte es sich nicht erklären, aber zu sehen wie schnell sein Mitspieler sprintete motivierte ihn ebenfalls, als würde er seine Müdigkeit auf einmal nicht mehr spüren rannte Julian los. Er wusste, dass Rapha ihn nicht brauchen würde um ein Tor zu schießen, aber Julian wollte dabei sein. Er wollte das Tor aus nächster Nähe sehen. Rapha sprintete die letzten Meter und schoss schräg auf das Tor.
Julian rannte trotzdem weiter. Er konnte in seinem Vollsprint nicht anhalten. Der Torwart schmiss sich auf den Boden und in dem Moment war alles wie in Zeitlupe. Julian rannte noch immer. Keiner schien ihn zu bemerken. Der Torwart hielt Raphas Schuss mit einer solchen Entschlossenheit, dass Julian der Gedanke kam, sie würden heute nicht in der Lage sein einen Ball in das gegnerische Tor zu bekommen. Der Ball prallte von dem Tor ab und Julian, der immer noch rannte hielt geistesgegenwärtig seinen Fuß in die Flugbahn des Balls.

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt