2 - Der alte Fisch

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Der bunte Vogel hatte sich um ein Vielfaches seiner geringen Größe aufgeplustert. Mit stolzgeschwellter Brust schritt er entlang einer nur ihm selbst bewussten Linie hin und her. Die seidenen Tücher, die ihn zierten, und die langen Ärmel seiner Roben flatterten hintendrein. Erreichte er einen Eckpunkt seines Weges, so stemmte er die Fäuste in die Hüften und spähte dem Schlachtfeld entgegen, ehe er sich umwandte, um seinen Marsch aufs Neue zu beginnen.

Von dem Kommen und Gehen von Laufburschen und Soldaten, die den mit Landkarten, Plänen und Dokumenten beladenen Tisch vor dem gelben Zelt aufsuchten, nahm er dabei wenig Notiz; nickte höchstens gelegentlich auf die Verneigungen der Männer hin mit gönnerhafter Miene.

Godfrey Hantigar, Graf von Atton, hingegen störte sich nicht an dem Lustwandeln des Herzogs. Barus Vogels Auf und Ab hätte ebenso das Stolzieren einer Möwe auf einem Zeltfirst sein können.

Eben nahm ein weiterer Soldat seine Befehle von dem Grafen entgegen, schlug sich dann mit der Faust auf die Brust, verneigte sich und schien gar einen Moment lang nach Worten zu suchen. Godfrey reichte ihm die Hand, und der junge Bursche, in dessen Gesicht sich noch Dreck und Blutspritzer der gewonnenen Schlacht die Waage hielten, bleckte im Kampf um die eigene Fassung die Zähne.

»Danke, Graf Hantigar«, wrang er sich schließlich zittrige Worte ab. »Danke.« Dann eilte er davon und Herzog Barus Vogel nickte auch ihm hinterher wie ein zufriedener Großvater.

Indessen der Herzog seinen Lauf abermals aufnahm, ließ sich Godfrey auf einen Hocker sinken. Gesang drang vom Heerlager herüber, das sich hinter dem gelben Zelt und den umstehenden Unterkünften von Prinz Almars wichtigsten Getreuen anschloss. Der Abend senkte sich über die vom Küstenwind gefüllten Segeltücher und die tanzenden Flaggen der südlichen Armee – Almars Krone des Herrscherhauses Helisses auf blauen Wellen, Herzog Vogels Taube, Godfreys goldener Hecht, die drei weißen Hunde Arnald Malchads und der Wasserdrache von Vigon vor dem Meere.

Sie lagerten auf der höchsten Erhebung jener Hügel, die sich von der Küste aus unter Dünenwäldern, brachen Feldern und manch halb verlassenen Dorf bis hierher reckten. Nur vage gewahrte man durch den Dunst der tief hängenden Wolken und das Zwielicht hindurch die gewaltigen Festungsmauern der Hauptstadt Lirell, und die weite See dahinter ward vollständig von der Diesigkeit verschluckt. Wo das Land abschloss und der Himmel begann, ließ sich nicht erkennen. Ebenso gut konnte die Welt dort enden, und in gewisser Weise tat sie es. Lirell war ihr Ziel gewesen, und nun waren sie hier und der Feind geschlagen.

Ging es nach Godfrey indes, so konnte die Nacht nicht früh genug aufziehen und den Ausblick auf all das schlucken. Zuvörderst aber jenen auf das Schlachtfeld, das sich auf den seichten Hängen gen die Hauptstadt erstreckte. Am Nachmittag hatte sich der entsetzliche Lärm des Krieges allmählich in das Brüllen, Flehen und Weinen eines Chors hunderter Kehlen gewandelt, doch mittlerweile war auch dieses Klagelied verstummt. Nur noch vereinzelte Schreie hallten herüber. Die Stille dazwischen hatte die Krähen angelockt – jene mit Federn, die sich als schwarze Schatten aus den grauen Wolkenmassen hinabstürzten, und jene in Menschengestalt, die sich nach den letzten Habseligkeiten der Toten und Sterbenden sehnten.

»Ihr stolziert herum, als hättet ihr eigenhändig einhundert Feinde erschlagen!«, gellte jäh das Lachen des Prinzen heran, doch Herzog Vogel errötete nicht einmal ob der Spöttelei. Er warf den Oberkörper in einer Verneigung nach vorn und der Schwung hätte ihm beinahe einige der Tücher über den kahlen Schädel gefegt.

»Ach, mein Prinz«, erklärte der Alte, sich wieder aufrichtend und mit weiter Geste gen das Schlachtfeld ausholend, »ich bewundere bloß das Ausmaß Eures Triumphs.«

Almars Zähne blitzten im ausgehenden Licht des Abends, doch er gesellte sich nicht zu dem Herzog, um den Ausblick zu genießen. Er hatte gebadet und sich neu eingekleidet, obwohl er mit seinen engsten Beratern der Schlacht ferngeblieben war. Abgesehen von etwas Staub und dem Schweiß des Ritts konnte er sich keinen Makel abgewaschen haben, den die wahrhaftigen Krieger des Tages als Auszeichnung trugen. Sein tumbes Gesinde aus Speichelleckern fiel ihm nachfolgend in den Kreis der fürstlichen Zelte ein und brachte all die Habseligkeiten zurück, die der Prinz für sein Bad benötigt hatte. Sie hatten sich als weitaus willfähriger erwiesen als die eigentliche Dienerschaft, die der Prinz dem Haushalt seines Onkels entliehen hatte.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt