Die glatten Sohlen seiner Stiefel lärmten auf den Stufen.
Klack, klack, klack
Er rannte und rannte, so schnell es ihm möglich war. Abwärts! Klack, klack. Längst musste er unter die Erdoberfläche gelangt sein, so weit schon war er hinabgeflohen. Stets der engen Rechtskurve nach, in der eine Stufe auf die nächste folgte – kein Treppenabsatz, keine Tür – kein Ende.
Klack, klack, klack
Um nicht zu stolpern, streifte er mit der Linken entlang der Außenmauer. All die Hände, die sich vor seiner dort abgestützt hatten, hatten eine Blässe in die Wand gezeichnet. Seine Rechte glitt um die schmale Säule aus aufgetürmten Steinen – sie waren rundgeschlagen. Alle gleich breit, gleich hoch. Einer über dem anderen reichten sie schier endlos hinauf und hinab.
Er rannte, bis seine Lunge schmerzte. Bis er keinen Atem mehr hatte. Aber er blieb nicht stehen, um Luft zu holen. Er rastete nicht. Die Angst brannte ihm in der Kehle. Jeder Herzschlag fuhr ihm als Dolchstoß durch die Brust, doch er konnte nicht anhalten. Er musste hinab finden. Hinaus! Jemand folgte ihm. Jemand oder etwas. Nur was? Was, das wusste er nicht zu sagen.
Auf den harten Stufen, die er hinter sich – über sich – ließ, hörte er die Schritte des Verfolgers. Kein Klacken, sondern ein tiefes, dumpfes Dröhnen, das durch das Schneckenhaus der Wendeltreppe getragen wurde, zurückgeworfen und vervielfältigt von den engen Wänden. Der Lärm holte ihn ein, brandete um ihn und stürzte weiter abwärts. Er rannte noch schneller, schneller, bis die Stufen unter ihm hinwegflogen.
Der Verfolger aber eilte sich nicht. Er oder es war langsam, trat gemessen und ohne Hast hinter ihm her – beinahe andächtig. Und gewiss: Wer oder was auch immer es war, lachte leise vor sich hin.
Klack, klack, klack
Er rannte und rannte und rannte – durch die fensterlose Ewigkeit der Treppe, bis plötzlich keine Stufe folgte. Zwei hätten noch Platz gehabt, doch statt ihrer fand er ebenen Boden. Ohne Chance, anzuhalten, prallte er gegen die Wand und entdeckte dann die Tür zu seiner Rechten. Sie war gefertigt aus weiß lackiertem Holz. In ihre Mitte war ein kleines Fenster mit schwarzem Eisengitter eingelassen. Dahinter erstreckte sich eine schattige Halle in die Ferne.
Der Verfolger aber kam weiter ohne jegliche Hast hinab – ohne jegliches Bedenken, dass seine Beute einen Fluchtweg gefunden haben mochte. Der Hall eines Schrittes nach dem Nächsten echote die Windung herab, schob sich vorbei, zwängte sich zwischen den Gitterstäben hindurch und verlor sich in der Weite jenseits der Tür.
Er musste fort von hier – augenblicklich! Was auch immer ihn verfolgte, wenn es ihn nur erblickte, wenn er es nur erblickte: Es würde sein Ende sein! Ja, sogar das Ende aller Tage. Das Blut kochte in seinen Adern wie Hornissen in einem brennenden Nest. Sein Körper zitterte ob der Atemlosigkeit und dem unablässigen, in Schrecken versetzten Hämmern seines Herzens. Er wollte nach der Klinke fassen, doch da war keine. Er schlug gegen die Tür, schob sie, trat danach, warf sich dagegen. Aber sie rührte sich nicht. Also versenkte er die Fingernägel in den Spalten zwischen Türblatt und Rahmen. Er zerrte daran, bis ihm die Nägel von den Fingern rissen, bis seine Fingerkuppen bluteten und abrutschten. Er schlug gegen das Holz, schrie in die Halle hinein, doch seine Stimme schien gar nicht seine Kehle zu verlassen. Es blieb still, abgesehen von den näherkommenden Schritten. Sie waren jetzt fast bei ihm. Bald würde der Verfolger um die letzte Biegung treten, ihn erblicken, und er war sicher, dass er schlagartig den Verstand verlieren würde.
Mit einem Ruck schrak er auf. Wie gewohnt tastete er nach dem Kopfende des Bettes, in das Rosen geschnitzt waren, doch er fand nur Leere. Nichts war dort, weder die Rosen noch Holz noch ein Kopfende. Sein Herz schlug ihm bis in die Kehle, mit solcher Gewalt, dass es in seinen Ohren krachte und knackte. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper. Sein Kopf schmerzte und er rang nach Atem. Er wusste nicht, wo er sich befand. In der Dunkelheit konnte er nichts ausmachen. Er streckte die Hand aus nach Lucius, aber fand auch ihn nicht. Hatte sein Bruder in dieser Nacht, wie so häufig, bei Tante Regia geschlafen?
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Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)
FantasyDie letzte Schlacht ist geschlagen, der König tot. Doch manchmal beginnt der Kampf erst, wenn der Krieg verloren ist. Und so kehrt Clemendine, die unbändige Tochter eines Herzogs, heim, um mit ihrer "Armee der Zerbrochenen" zu beschützen, was die Si...