Es hämmerte an der Zimmertür. Odela, ihre Zofe, die am Ende ihres Bettes auf einer Matte geschlafen hatte, fuhr mit einem Quietschen hoch, das Liosendis gar mehr erschreckte als die eigentliche Störung. Sie war bereits auf den Beinen, da sich die andere Frau noch aus den Laken befreite.
»Geh und sieh, wer da ist«, befahl die Herrin der Burg, indessen sie sich in einen Morgenmantel hüllte und hinter dem Wandschirm verschwand.
»Wie?«, hechelte Odela. Erneut wurde geklopft.
»Herrin Liosendis!«, rief eine Kinderstimme.
Die Zofe hatte sich gefasst, warf sich eine Decke um die Schultern und ging endlich, um zu öffnen. Nach einem Moment des Murmelns kam sie ins Zimmer zurück. »Draußen steht einer der Jungen aus dem Dorf. Einer von denen, die jetzt in der Burgwache dienen. Er sagt, er hat eine Nachricht vom Herrn Kommandanten.«
Liosendis stöhnte auf. Was auch immer Wibert wollte, es war gewiss besser, es sich selbst anzuhören, als die verwirrte Zofe zu schicken. »Lass ihn ein«, befahl sie daher, zog den Mantel enger und fuhr sich einige Mal mit einer Bürste durch das Haar.
Dann war der Knabe schon da. Er trug eine Brünne, die ihm viel zu groß war. Sie mutete an wie ein Schildkrötenpanzen, in den er sich hätte voll und ganz verkriechen können. Den Helm, der sicherlich für seinen Kopf zu weit war, hatte er abgenommen und hielt ihn jetzt in Händen, als wolle er damit Almosen erbetteln.
Das Kind verneigte sich, kämpfte gegen das Gewicht der Brünne, um wieder in die Gerade zu kommen, und rang dann für einen Moment nach Atem. »Bitte ... verzeiht, Herrin. Bitte verzeiht. Der Herr ... Kommandant schickt mich. Da ist eine Frau am Tor, ... die behauptet, sie gehöre zu ... zu Herrin Clemendines Armee. Sie möchte eingelassen werden, aber es ist schon nach Nachtmitte ... und der Kommandant weiß nicht, ob er ihr öffnen soll.«
Liosendis hatte sich einem der Fenster zugewandt, doch die Nacht lag schwer an den dicken Scheiben und sie konnte nichts ausmachen. »Sag ihm, ich komme«, antwortete sie schließlich und schickte den Burschen voraus.
Nicht lange später – aber später als es ihr lieb gewesen wäre, denn Odela war so schlaftrunken, dass sie Liosendis beim Ankleiden hatte nur wenig unterstützen können – befand sie sich auf dem Weg zum äußeren Tor der Vorburg. Ihr dunkelgrüner Mantel fing den Nachtwind ein und ließ sie so selbst noch unter dem Schutz des Stoffes frösteln. Sie kam nicht einmal bis zum inneren Tor, als ihr Clemendine, ein dürrer, hochgewachsener Knabe und eine winzige, bucklige Gestalt entgegenkamen und gen das Lager der Zerbrochenen abbogen. Wibert folgte ihnen nach, aber als er Liosendis erspähte, wandte er sich um und wollte durch das Torhaus in den Zwinger zurücklaufen.
»Herr Kommandant!«, rief sie ihn und musste es wiederholen, denn beim ersten Mal hatte sie vor Zorn die Zähne kaum auseinander bekommen.
»Oh!«, rief der Mann, riss ihr entgegen die Augen weit auf, als sehe er sie zum ersten Mal, und kam schließlich heran. Er verneigte sich.
»Ah, Herrin. Da war ein altes Weib am Tor.«
Liosendis nickte. »Sie war, in der Tat. Wieso war sie am Tor?«
»Sie wollte zur Herrin Clemendine. Ich weiß nicht, woher sie kam, aber wir haben sie schon sehr früh auf der Straße gesehen, obwohl sie so klein ist und die Nacht so dunkel. Wir haben sie gesehen.«
»Meine Frage zielte eigentlich daraufhin ab, wieso sie nun nicht mehr am Tor wartet, obwohl ich doch befohlen habe, die Tore nach Einbruch der Nacht geschlossen zu halten.«
»Ah«, er nickte einige Male deutlich, kratzte sich dann am Kinn. »Ja, die Herrin Clemendine kam und befahl, sie einzulassen.«
Sie zog die Mundwinkel zu einem Lächeln hoch, von dem sie wusste, dass es keinesfalls frohsinnig oder freundlich war. Wibert rieb sich den Nacken.
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Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)
FantasyDie letzte Schlacht ist geschlagen, der König tot. Doch manchmal beginnt der Kampf erst, wenn der Krieg verloren ist. Und so kehrt Clemendine, die unbändige Tochter eines Herzogs, heim, um mit ihrer "Armee der Zerbrochenen" zu beschützen, was die Si...