5 - Die Trommeln

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Man hatte ihr ein Bett bereitet vor den Stufen zum Thron – aus einer schweren Rosshaarmatratze, einem dicken Federbett und zwei Dutzend Kissen – alles aus den Wohngemächern der königlichen Familie hergeschleppt. Wann immer Janna sich aus all dem zu befreien versuchte, eilte eine ihrer Zofen herbei und hüllte sie aufs Neue ein. Dann wurden ihr heißes Honigwasser oder Brühe gebracht und ihr wieder und wieder gesagt, sie müsse sich schonen, sie müsse sich schützen. Die Kühle im weiten Thronsaal, in dem die beiden Kaminfeuer gegen die Leere ankämpften, schien jeder andere zu spüren, außer ihr.

Janna schwitzte. Der Schweiß klebte an ihrem Leib und sie konnte sich selbst riechen. Doch auch, bloß um sich zu waschen, wollte niemand ihr erlauben, sich zu erheben.

Sie war die Gemahlin des Königs – eines toten Königs –, trug sein Kind unter dem Herzen, und dennoch hörte niemand auf sie. Ja, sie war gestürzt, hatte ein wenig geblutet, hatte gefiebert und in schlechten Träumen nach ihrem Bruder gerufen, nach ihrer Mutter, nach Marcius. Doch das war nun Tage her. Es ging ihr besser – obschon niemand das hören wollte. Obschon niemand ihr glaubte.

Unter dem Federbett halb erstickend, beobachtete sie die Menschen im Thronsaal, das Kommen und Gehen von Gardisten, von Dienern und Beamten – und wie es immer weniger wurden, umso länger die Trommeln schlugen.

Ein Brief ihres Bruders hatte den Hof am Tage nach der Schlacht vor den Toren Lirells erreicht, hatte vom Tod des Königs gekündet, von den zerschlagenen Truppen, vom Ende des Widerstands des Nordens gegen den rechtmäßigen Herrscher: Almar aus dem Hause Helisses.

Er verlangte, dass man ihm die Tore öffnete, auf dass er Einzug halten könne in seine Stadt und Burg, die ihm von Götterwille her zustanden. Waffenträger sollten ihre Waffen niederlegen, Bedienstete ihre Posten verlassen, und niemandem, der ihm so den Weg bereitete, wollte er grollen, dass sie sich zuvor zu seinen Feinden bekannt hatten. Gnade wollte er walten lassen und sie alle in seinem neuen Königreiche willkommen heißen.

Die Königsfamilie indes müsse bleiben, hatte er geschrieben, und Janna zählte sich zu dieser, gleichgültig, ob Marcius König war oder Almar. Die Beamten des Hofes, die Mägde und Knechte, die Diener und Gardisten waren seitdem aus der Burg entschwunden. Erst waren es einige wenige gewesen, denen die Feigheit im blassen Gesicht stand, als sie sich davonschlichen. Doch dann war der Himmel verdunkelt worden von den schwarzen Rauchwolken der Feuer, die auf den Hügeln über der Stadt die Gefallenen der Schlacht verbrannten. Zwei Tage hingen sie über den Mauern Lirells, ehe Almar seine Trommler vor die Tore sandte, und ihr Lärm – das tiefe, monotone Grollen – hatte fürderhin die Gemäuer befallen und ausgefüllt. Da war die Furcht wie ein scharfer Luftzug durch die Gänge und Höfe der Burg gezischt.

Jetzt waren es nur noch vereinzelte Schritte, die durch den Thronsaal eilten, und dennoch erschien es Janna, als würden es noch immer von Stunde zu Stunde weniger. Einige Diener der königlichen Familie waren geblieben, die Throngarde und eine Handvoll Schreiberlinge, die ihrem Herrn, dem Reichskanzler Pare Obeth, an den Rockzipfeln hingen wie graue Küken. Und er war es, der die wenigen, die noch nicht davongerannt waren, umher scheuchte, wann immer ihm ein Einfall kam – wenn neue Speisen aus den Küchen gebracht werden mussten, wenn jemand Janna ein weiteres Kissen bringen sollte, oder die Feuer noch ärger zu schüren waren.

Darius hingegen saß auf einer der Bänke, auf der sonst die höchsten Adligen den Zeremonien hier im Thronsaal zugesehen hatten, den Kopf in den Händen und seine Schläfen reibend.

Janna fragte sich, ob auch er das Beben des Bodens spürte. Draußen vor Rogers Tor stand das Heer ihres Bruders, Tausende Schützen und Speerträger, Hunderte Ritter. Sie hatten nicht einmal Belagerungswaffen gebracht, hatten keinen Rammbock vorgerollt, um das gewaltige Portal zu zerbrechen. Alles, was sie benötigten, waren Trommeln, und die ließen das Erdreich erzittern, bis das Vibrieren hierher drang und durch die glatten Dielen des Thronsaals fuhr.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt