13 - Der Knabe im Turm

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Eine Lanze aus Licht stach durch die Wolken hernieder. Marcius hob ihr das Gesicht entgegen und schloss die Augen. Kurz genoss er die Wärme, die der Kriegsschild hinabsandte. Medard Vercelle scherzte. Sie alle lachten.

Aber dann saß Marcius auf und auch der Herzog stieg auf sein Pferd. Sie ritten davon. Der Hof ward leer und leblos. Nur der Streifen blieb – eine beinahe nichtige Erhellung an einem düsteren Tag.

Eine Lanze aus Licht stach durch die Welt. Wann immer er die Augen öffnete, war sie ein wenig gewandert. Staubkörner glitzerten. Wie lange er die Lider wieder schloss, vermochte er nie zu sagen. Es konnten Momente sein, oder Tage.

In der Feuerschale des Humpens hatte sich eine Pfütze aus Asche und Regen gesammelt. Im Tageslicht erschien sie wie flüssiges Silber, doch dann zogen die Rauchwolken vom Schlachtfeld über die Stadt und verdüsterten den Himmel. Nur der Streif blieb, so fein, so dünn, eine kaum zu erahnende Erhellung im Augenwinkel. Er glaubte, hindurch zu schweben.

Eine Lanze aus Licht stach durch die Schindeln der Decke. Sie war der Finger des Lichtkriegers, der vordrang bis in seine Träume, um ihm den wahren Takt der Zeit zu lehren, doch er verstand nicht.

Ifilia rannte durch die Flure der königlichen Residenz. Ihre Locken und ihr Kleid erzeugten ein Geräusch, als schlugen Dutzende Vögel mit den Flügeln.

Einmal war der göttliche Fingerabdruck so nah, hätte er nur die Hand ausgestreckt, er hätte ihn ergreifen können – den Punkt aus weißem Licht, wo der Finger den dreckigen Holzboden berührte. Aber was hätte er damit anfangen sollen? Hätte er ihn aufheben können, wie eine Münze? Er regte sich nicht und die Gelegenheit verging.

Rote Linien rannen durch Fugen im Holz.

Linien aus Tinte zeichneten Straßen, Wälder, Hügel und Flüsse auf eine Karte.

Hauchfeine Fäden verbanden sich zu Netzen, die silbern schimmerten und sich seicht in der Luft regten.

Loth Aeldsay betrachtete die Figuren, die auf der Landkarte ihre Truppen darstellten. Tote Mäuse, verwesende Vögelchen, Bündel aus Staub und Stroh und Gewölle. Der Herzog sagte etwas, doch nichts war zu hören. Er wischte all den Unrat mit der Hand fort und dann war er selbst nicht mehr da.

Stattdessen Mauern und alter, angegrauter Dielenboden.

Er begriff, dass er wach war. Der Fingerabdruck des Gottes ruhte nun nicht mehr auf den Dielen, sondern stand blass auf den grauen Steinen einer Wand.

Schwerfällig wandte er den Blick, schwerfällig drehte er sich auf den Bauch.

Sich auf die Hände stützend, stemmte er sich hoch, um auf die Knie zu kommen. Doch der Boden, obwohl hart und spröde unter seinen Fingern, schlang sich um ihn, dann gab er ihn frei und ließ ihn fallen. Die Wände bogen sich, stürzten über ihm zusammen, wie eine Welle. Das Rauschen ihres Wassers schwoll an, bis es den Raum erfüllte; die Welt erfüllte; ihn ausfüllte. Bald gab es nichts mehr, abgesehen von diesem Lärm, gleißender Weiße und dem pulsierenden Schmerz in seinem Kopf. Zittrig und nach Luft ringend, fand er zu sich. Für eine Weile kämpfte er gegen die Ohnmacht, die hinter seinen Augenlidern lauerte, doch endlich schwand das Rauschen wie schmelzendes Eis und sein Blut sank zurück zum gewohnten Fluss. Er blieb liegen, bis es so ruhig war, dass er das stete, einsame Schlagen seines Herzens hörte.

Er fühlte sich fiebrig und verschwitzt. Um sich tastend, fand er eine Decke: Schwerer Stoff, der doch zu dünn war, als dass er dem harten Untergrund eine Weichheit hätte abgewinnen können. Erneut kam er auf die Hände. Er sah auf seine Finger hinab, die lang und weiß waren. Saubere Fingernägel auf dreckigem Boden. Wie er nach unten blickte, pochte es in seiner Wange, ganz so, als klopfe zwischen Knochen und Haut ein eigenes Herz. Jeder Schlag war ein hoher Schmerz, der ein gleißendes Geäst über das Blickfeld des Auges darüber aussandte. Wie ein Hieb, der die Bronze einer Glocke zum Dröhnen brachte. Als es ihm gelang, sich aufzurichten, nahm das Leid ab, und verging doch nicht völlig.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt