33 - Pyrische Flammen

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Hitze wusch über sie hinweg und fegte ihr die Locken aus dem Gesicht.

Die Welt ging in Flammen auf.

Den Vorhang der Dunkelheit zerreißend, schoss ein Gleißen in den Himmel hinauf und machte die Nacht für einige Wimpernschläge zum Tage. Lärm brandete in Wellen auf Clemendine ein, so gewaltig, dass es an ihre Haut riss. Die Wogen wollten sie von den Füßen stoßen.

Heulende Geschosse aus brennendem Holz und gesprengtem Stein jagten in die Höhe, machten kehrt und schlugen auf den Hof hernieder. Sie durchbrachen Dächer, zerbarsten hölzerne Bauten, stürzten einen Aufgang der Wehrgänge in die Tiefe. Gegen seine Flanken schmetternd, brachten sie den Donjon zum Dröhnen. Splitter, Staub und Schreie füllten die Luft.

Nein!, keifte Cles Verstand, als könne das simple Wort das Geschehende aufhalten. Nein! Nein!, alles erschien ihr völlig absurd. Sie wollte den Kopf schütteln, doch sie konnte sich nicht regen, auch wenn die Explosion, der Lärm und die Hitze der Flammen auf ihrer Haut brannten. Das Entsetzen sprudelte durch ihre Venen bis das Blut in ihren Schläfen donnerte und ihr den Blick vernebelte. Eben noch hatte sie von Jaricks furchtbarem Eintopf gekostet, nun lag die Schale zerbrochen zu ihren Füßen. Was auch immer geschah, sollte – konnte nicht sein!

Dann mischte sich in all den Lärm ein grauenvolles Klagen, das von dort herüber gellte, wo das äußere Torhaus lichterloh brannte, gleich einer gigantischen Fackel vor dem schwarzen Firmament. Wie Clemendine noch versuchte, den Anblick zu fassen, brachen plötzlich die äußeren Mauern fort – eine zweite Haut, die sich schälte und zu Boden stürzte. Eine weitere Woge von Hitze und Licht blühte in der Nacht auf und langte um sich – flammende Arme, die nach allem griffen in ihrem Zorn. Für Augenblicke wurden im tanzenden Gold die Holzwinden sichtbart und die armdicken Taue und Ketten, die im entblößten Inneren des Turms die Zugbrücke sicherten – bis der grässliche Laut erstarb, einem verebbenden Todesschrei gleich, und auch die Winde zerbarst. Die Zugbrücke, geschlossen und gefesselt seit Jahren, verlor ihren Halt.

Nein!, flehte Clemendine ohne Stimme – oder zumindest konnte sie ihre eigenen Worte nicht hören.

Nein! Nein! Nein!

Sie stand noch immer reglos, starrte; versuchte, zu begreifen, unsicher ob Äonen vergangen waren oder bloß Wimpernschläge, als sie den Klang eines Horns vernahm. Fern und leise und kaum hörbar im Chaos, dem Prasseln der Flammen, die sich die Wehrgänge entlang fraßen, und dem Bersten vom Holz. Dann erschallte der Klang erneut, deutlicher und näher. Es war jene Art Ruf, unter dem sich der Feind versammelte. Er jagte die Starre und das Entsetzen aus ihr heraus, durchschwamm sie mit Hitze und ließ sie ihr Schwert ziehen. Das ›Wie?‹ wurde egal, das ›Was geht vor?‹ einerlei. Sie wurde die Hand, die die Waffe führte. Das Licht der Flammen spiegelte sich darin, in ihren Augen, in ihrem Haar. Die Herrin der Scherben schrie ihre Armee zum Kampf herbei. Kaum da sich der erste Angreifer durch das von Feuer umringte Tor wagte, brannte Clemendine bereits lichterloh.

Als sich Stille und Dunkelheit ins Gegenteil verkehrten, scheuten die Pferde und stöhnten die Männer. Nicht bloß das Torhaus zersprang zu gewaltigen Funken aus Licht, sondern die halbe Burg, der gesamte Nachthimmel. Mit einem Schlag war es taghell. Hitze und Lärm walzten über die Reiter hinweg als eine grausame Woge, die sich mühte, sie aus den Sätteln zu stoßen. Einen Moment lang konnte Wulfrey nicht reagieren. Er sah zu den Zungen der Flammen hinauf, die so weit den Kerzen des Nachtwanderers entgegenwetzten, dass sie sich vereinten. Dieses Feuer, das als Erstes so jäh, so bestialisch aus dem Nichts ausschlug, war nicht rot, sondern eisblau.

Augenblicke lang blieb der grelle Schein oberhalb des Torhauses stehen, von dem aus die Explosion Trümmer weit über die Mauern hinaus auch in ihre Richtung spuckte. Dann verglomm er zu dem üblichen goldenen Zucken, dessen Schatten sich deutlich in der Nacht hinter den Zinnen und vor dem Donjon abzeichneten. Die Zugbrücke riss sich aus ihrer Geiselhaft. Ungebremst schmetterte sie zu Boden und selbst aus der Ferne und mit noch geblendeten Augen konnte Wulfrey sehen, wie durch den Aufprall Dreck und Steine in die Luft geschleudert wurden.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt