30 - Das Lied der Manderney

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Einmal mehr erwachte sie früh in der Stunde des Steigens. Soeben wagte sich die erste, beinahe nichtige Erhellung durch die Plane des Zeltes, und dennoch stöhnte Clemendine.

Sie schloss die Augen, beteuerte, wieder einschlafen zu können, doch obgleich sie müde war, fühlte sie die Unruhe in ihre Glieder fahren, ähnlich der Kälte und der Feuchte, die im Winter in die Knochen drangen, wann immer man zu lange stillblieb. Ein Fluch folgte. Sie drehte sich auf die eine Seite, dann auf die andere; rollte hin und her, zog an der Decke, zupfte an dem Lammfell, strich ihre Locken fort, wo sie sich unter ihrer Wange oder in ihrem Nacken sammelten und zu dem nun so unbequemen Lager noch beitrugen.

Es ist mir gleichgültig, wie früh es ist oder wie spät! Und wenn es Tagmitte wäre, was kümmert es mich!, beteuerte sie, kniff die Augen zu und versuchte, sich auf die Schwärze zu konzentrieren – aber diese war längst nicht mehr vollkommen. So wenig Licht auch noch den Morgen erhellte, es drang doch durch ihre Lider.

Ich bin die blöd'ste Motte der Welt! Ich fliege nicht nur in dunkler, kalter Nacht zur Falle hin, ich lass mich sogar aus meinem Bett ködern!

Sie knurrte, rollte nochmals hin und her, aber fand keine bequeme Stelle mehr. Bald strampelte sie die Decke von sich und streckte die Beine in die Höhe. Ihre Zehen berührten beinahe die Zeltplane. Sie wusste nicht, warum sie das tat – in diesem Moment erschien es einfach sinnvoll.

Sinnvoll... Sinn. Sinn, Zinn, hin. Drin. Bin. ... Ich bleib hier drin, mein Hirn ist hin, weil ich so müde bin.

Clemendine grinste über den Reim, zog die Nase hoch, und wiederholte ihn dann, wobei sie die Arme hochreckte und die Finger auf und zu schnappen ließ, was einen leisen Takt erzeugte.

»Bist du bald fertig?«, fragte Dalvin neben ihr, als seine zähe Geduld aufgebraucht war. Er rollte fort und bedeckte die Augen mit dem Unterarm. Schon schien er wieder zu schlafen.

Cle warf ihm eine Grimasse zu, dann kniff sie ihm ins Ohrläppchen, aber er tat ihr nicht einmal den Gefallen, mehr als nur ein klein wenig zu zucken. Ein weiteres Grollen aus ihrer Kehle folgte, doch schließlich machte sie sich mit einem Seufzen hinaus aus dem Zelt.

Das frühe Licht des Kriegsschildes hing noch als glühende Schwaben hinter den von Dampf und Rauch angegrauten Fensterscheiben der Küchenschenke, als Clemendine eintrat. Schnell gesellte sie sich zu einigen ihrer Männer, die von der nächtlichen Wache gekommen waren, um sich vor dem Ruhen noch zu stärken, und die ihr Besten gaben, Müdigkeit und Kummer immerhin einstweilen zu vergessen. Sie lobten sogar die Speisen, die man ihnen vom Abend stehengelassen hatte, und den Wein, obwohl die Krüge halb leer waren und Stunden schon hier gestanden hatten.

Clemendine stimmte ein in ihr Lachen, prostete ihren wilden Behauptungen über vergangene Heldentaten und eroberte Maiden zu, sang den Refrain mit, als Wyne ihnen ein Ständchen trällerte, und doch ... fühlte sich all dies seltsam fremd und fern an. Vielleicht schlafe ich ja doch noch und nur ein Teil von mir ist aufgestanden und hergekommen? Sie kniff sich in den Handrücken und spürte den Schmerz. Als neues Gelächter durch die Schenke hallte, da gewahrte sie, dass sie längst nicht mehr zugehört hatte. Dennoch lächelte sie und nickte, denn so schien es gerade angebracht – so machten es ihre Männer vor. Nun aber sah sie die Müdigkeit hinter den Gesichtern ihrer Scherben. Wie mit Schminke aufgetagen versuchten sie sich daran, Zuversicht und Frohsinn vorzugaukeln.

Aber ich kenne sie zu gut. Sie kennen einander zu gut. Wir alle wissen, dass dies nur Tarnung ist.

Sich erhebend, gab sie einen Scherz zum Besten, der so schnell und unwichtig von ihren Lippen blätterte, dass sie ihn schon im nächsten Augenblick vergessen hatte. Lachen und Grunzen begleiteten sie dennoch, als sie hinaustrat. Als sich in dessen die Tür in ihrem Rücken geschlossen hatte, da war kaum mehr etwas davon zu hören.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt