3 - Die werdende Königin

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Allmählich rutschte die Hand des Jungen aus ihrem Griff. Schon konnte sie nur noch die obersten Glieder seiner klammen Finger halten. Oder war es ihre Haut, die schwitzte? Seit Anbeginn der Schwangerschaft waren ihre Hände ständig feucht.

Die Weite des Tempels lag in abendlichen Schatten. Nur die Feuer unter den Sicheln von Silber und Gold spendeten ein wankendes Licht, das sich außerhalb der kleinen Gruppe Versammelter schnell verlor. Die Priester, beide in Weiß gekleidet, warfen Pulver in die Flammen, während sie ihre Gebete sprachen. Sogleich schlugen Funken aus. Glühende Zungen leckten in die Höhe. Zischend verfärbten sich kurz die Feuer und drängten die Düsternis ein wenig zurück. Doch bald schon breitete sie sich wieder aus. Der Rauch, den die Pulver mit sich brachten, quoll rasch gen den runden Schlot in der Decke oberhalb des Altars, die Dämpfe indes verbreiteten sich hier unten und ließen die Augen brennen.

Gewöhnlich richteten die Priester am ersten Abend jeder Woche einen Götterdienst aus, zu dem sich König und Edle und Ritter einfanden, aber auch die Amtsträger und Arbeiter des Hofes, so sie in ihren Diensten abkömmlich waren. Dann drängten sich die Menschen zu den Türen herein und die Scharen umringten entlang der Wände den Altar und die königliche Familie und höchsten Adligen, die in die Mitte des Tempels vortreten durften. Heute jedoch blieb die weite Halle annähernd leer. Einige wenige Gestalten – hier ein Stallknecht, da eine Magd; eine Riege Schreiberlinge; vereinzelte Gardisten – hatten sich hereingewagt, aber blieben in den Schatten, als wollten sie sich darin verbergen. Die wohlgeborenen Herrschaften hingegen, die hätten vor den Altar treten sollen, hatten Lirell den Rücken gekehrt, kaum dass sich die Kunde der auf die Hauptstadt vorrückenden Feinde verbreitet hatte. Botschafter und Kaufleute hatten ihre Schiffe bestiegen und den Hafen verlassen. Räte und Kanzler und Amtsinhaber versteckten sich hinter ihrer Arbeit, während sie unablässig nach den Straßen und den Toren spähten, und auf jedweden Laut horchten – stets auf dem Sprung, die Flucht anzutreten. Begegnete man ihnen in den Fluren oder in den Höfen der Burg, so legten sie ihr Lächeln an, als wäre es eine Maske, doch diese war so hauchdünn, dass man leicht hindurchschauen konnte. Niemandem war nach Lachen zumute, niemand suchte Gesellschaft. Jeder lauschte und wartete.

Dennoch hatte Prinz Darius die Familie gebeten, an diesem Abend im Tempel zu erscheinen. »Wir wollen die Götter um ihre Güte und ihren Schutz für unsere Truppen und für Marcius bitten.«

Aufgrund ihrer geringen Zahl aber musste nun jeder die Arme weit ausstrecken, um den Nachbarn die Hände zu reichen. Lucius jedoch gab sich keine Mühe, den Kreis geschlossen zu halten. Schwer ließ er den Arm hängen, als warte er nur darauf, dass Janna ihn losließ oder seine Finger ihrem Griff entglitten. Regia, die altjüngferliche Schwester König Hegius', hielt den anderen Arm ihres kleinen Neffen am Handgelenk gepackt.

Gern wäre Janna mutig genug gewesen, sich vor Beginn des Götterdienstes ihren Weg durch die Wartenden zu bahnen, um nun auf der anderen Seite des Altars zu sein.

»Verzeiht«, hätte sie gesprochen und gelächelt, das Haupt erhoben. »Tretet beiseite, denn des Königs Gemahlin möchte sich zu jenen gesellen, die ihr Freund und lieb sind.« Sie hätte die Hand der Prinzessin Ifilia ergriffen, klein und warm – und manchmal hätte das Mädchen ihre Finger gedrückt – oder die der Prinzessin Daria. Dort drüben hätte sie sich nun wohl gefühlt, geborgen, willkommen – ja, geliebt. Doch sie hatte es nicht gewagt, so viel Aufsehen zu erregen, und stattdessen die Hand des mürrischen Lucius ergriffen und die der feindlichen Ursine – warm, trocken und unverbindlich. Ein Holzklotz hätte sich ebenso angefühlt. Es gab keine Freundschaft zwischen ihnen.

Neidisch ist sie bloß, sagte sich Janna im Stillen. Nachdem Marcius' erste Gemahlin Issa verstorben war, hatte Ursine gehofft, ihr Darius werde seinem Bruder als Erbe nachfolgen. Sie glaubte ihn schon auf dem Thron und sich daneben. Ich habe ihr das genommen.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt