24 - Ein Treffen im Felde

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Er wusch sich mit eiskaltem Wasser, das er mit einer Keller aus einem Eimer schöpfte. Es klirrte auf seiner Haut, fuhr ihm tief ins Mark, aber ließ ihn sich wacher fühlen. Die vergangene Nacht sollte ihre Letzte in dem Tannenhain gewesen sein und wie jede zuvor war sie eine Klamme und Elende gewesen – die am Morgen lange in den Knochen steckte und wenig Erholung schenkte.

Während er sich das kurze, dünne Haar trocknete, kam ein Soldat heran. Wulfrey zog ein Hemd über, warf sich das Handtuch über die Schulter und folgte dem Mann zwischen den ausladenden, düsteren Bäumen hindurch hinab zu einem Pfad, der halb vom Unkraut überwuchert war. Dort fiel der Greis, den die Wachhabenden aufgehalten hatten, vor ihm auf die Knie. Der Alte war dürr, hatte kaum einen Zahn im Maul, doch, machte einen weitaus weniger klapprigen Eindruck als der Karren, den er hinter sich her gezerrt hatte. Auf der Ladefläche saß ein Junge von vielleicht sieben Jahren, umringt von zerschlissenen Körben und dreckigen Säcken. Er hatte eine Hasenscharte und seinen winzigen Schädel bedeckten bloß Stoppeln.

Wulfrey wandte sich vom verschreckten Blick des Kindes ab und dem Mann zu, der mit erhobenen Händen vor ihm kauerte, wie zum Gebet.

»Bitte!«, flehte der. »Bitte! Ich hab' nichts getan, mein Herr«, wiederholte er, während der Soldat erklärte, von wo der Alte gekommen war. Danach ließ Wulfrey den Fremden sprechen, dessen Stimme nicht weniger zittrig war als seine Erscheinung. Einmal versuchte er, auf die Füße zu kommen, doch er geriet ins Straucheln und stürzte wieder auf die Knie. Deutlich standen in des Mannes blassen Augen Furcht und Schrecken.

»Ich muss nach Taffet, mein Herr. Heim nach Taffet. Mit meinem Enkel«, schwankend wies ein krummer Finger auf den Weg gen Osten, dann auf den Knaben auf dem Karren, der sich fest mit den eigenen Armen umklammerte. Der Erzählung nach hatte der Alte eine verstorbene Tochter, die Mutter des Jungen, den Flammen eines Tempels übergeben und befand sich nun auf der Reise zurück in sein Heim. So weit stimmte seine Aussage: Der Weg, auf dem man ihn aufgegriffen hatte, führte gen Taffet, doch war es nicht die Hauptstraße.

Mit dem Abschluss seiner Erklärung senkte der Greis den Kopf. Seine bisher klaren Worte wandelten sich in Schluchzen und Flehen, und Wulfrey wandte sich von ihm ab. Er fuhr sich mit den Fingern durch das noch feuchte Haar. Kühl griff der seichte Wind nach seiner Kopfhaut.

»Das Sicherste wäre es, dich und deinen Enkel zu erschlagen«, sprach er mit ruhiger Stimme. Ein heller Schrei entfloh der Kehle des Jungen, dann begann er, zu heulen, wobei sich die Hasenscharte verzerrte und sein Gesicht zu einer Fratze wurde. Der Mann warf sich erneut vor Wulfrey auf den Boden, die Stirn in den Dreck drückend.

»Bitte, mein Herr!«, stammelte er, undeutlich und zittrig. Er tastete mit den Fingerspitzen nach den Stiefeln des Grafensohnes und der trat einen Schritt zurück.

»Tut meinem Jungen nichts. Bitte!«, jammerte der Greis. Das Schluchzen des Kindes ließ Vögel aus den nahen Bäumen in den Himmel flüchten.

Dem Soldaten stand derweil die Abscheu vor dem verzweifelten Mann und dem heulenden Knaben ins Gesicht geschrieben, doch Wulfrey fragte sich, welche Miene er zeigen würde, wären ihre Schicksale vertauscht. Der Mut verließ die Höhnenden stets rasant, kaum da sie sich am anderen Ende des Schwertes fanden.

So oder so, er hatte eine Wahl getroffen, schon ehe er den Greis durch seine Worte in Schrecken versetzt hatte. Mit einer Hand packte er ihn am Arm und zerrte ihn auf die Füße. Der Mann wog so wenig, es wäre ein Leichtes gewesen, ihn entzweizubrechen. Doch Wulfrey stellte ihn bloß hin, dann ließ er los. »Hör zu«, sprach er, seine Stimme deutlich und klar. Der Alte zog die Nase hoch, aber wagte keine andere Regung.

»Du wirst nach Hause gehen und dein Leben fortführen. Dein Junge wird hier bleiben. Es wird ihm wohlergehen. Ich schicke ihn dir, sobald ich sicher bin, dass du nicht gelogen hast. Gesund und munter. Solltest du aber lügen, oder sollte ich dich nochmal hier in der Nähe sehen, dann werde ich dir deinen Enkel in Stücken aushändigen. Verstehst du das?«

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt