»Der alte Fisch!«, kreischte ein halb nackter Geck und wies mit dem Finger auf Godfrey, kaum da dieser den Saal betrat. Der Bursche hatte sich Zeichen auf den Leib gemalt mit brauner Farbe, in der der Graf Bratensauce vermutete. An dem Spottnamen störte er sich nicht. Sollen sie ihren Spaß haben. Bald genug wird der ihnen vergehen.
Binnen weniger Tage hatten Almar und sein Gefolge den Thronsaal in ein Freudenhaus verwandelt, hatten Möbel aus der königlichen Residenz zusammengeklaubt; Sessel, Liegen, Decken, Teppiche herbeigeholt und sogar ein Bett vor die Stufen zum Thron gezerrt. Kissen lagen überall verstreut, sodass man darüber steigen musste – und über jene, die darauf faulenzten. In den Kaminen wüteten Feuer, deren Wärme die Halle trotz ihrer Größe und der aufgestoßenen Fenster erdrückte. Die Halbschalen von Silber und Gold waren entzündet und Räucherstäbchen hineingesteckt worden, die der Luft eine derbe Würze verliehen. Hinein mischten sich die Ausdünstungen der Männer und einiger Dirnen, die man aus den Gassen Lirells geholt hatte, ebenso wie der klebrig faulige Geruch verschütteten Weins und verschmähter Lebensmittel. Trotz all dessen aber war noch immer auch der Gestank des geronnenen Blutes zu gewahren.
Godfrey trat über einige Kissen hinweg, doch dann versperrte ihm das Gelage den weiteren Weg. Oberhalb der Stufen lungerte Almar auf einer Decke aus Brokat, die er über den Sitz der Könige geworfen hatte. Zu des Prinzen Füßen saß Elric, sein jüngster Vetter mütterlicherseits, ein Knabe von fünfzehn Jahren mit fuchsrotem Haar und einer breiten, fleischigen Nase in einem pausbackigen Gesicht. Mit einer Hand hielt er ein Buch erhoben und las die Heldensage darin theatralisch vor, was ihm eine Gruppe schwärmerischer Zuhörer verschafft hatte. Auch Almar, der aus einem gewaltigen, goldenen Pokal trank, aus dem ihm der Wein an den Mundwinkeln vorbeirann und auf das Hemd tropfte, jauchzte und seufzte mit den Übrigen.
Als Godfrey sich verneigte, hob der Prinz ihm zum Gruße den Kelch entgegen – ein gewohnter Anblick.
»Ah, Hantigar! Setzt Euch! Trinkt mit uns!«, rief der Bursche auf dem Thron, der ihm nicht gehörte. Seine Zunge hatte Schwierigkeiten, die Silben zu formen.
Dankend lehnte der Graf ab. »Verzeiht, mein Prinz. Ich habe noch viel Arbeit vor mir und benötige einen klaren Kopf.«
Almar antwortete mit einer wegwerfenden Geste, dann kippte er sich weitere Schlucke halb in den Rachen, halb daneben. Der Prinz hatte ihn zu sich bestellt, also wartete Godfrey, bis er angesprochen wurde. Es dauerte eine Weile, in der der Kelch neu befüllt wurde. Almar kratzte sich an der Wange. Den Thronsaal hatte er sich zu eigen gemacht, ebenso wie die Gemächer Marcius'. Er war frisch rasiert und gebadet, doch einige Haare hatten sich aus den neu geflochtenen Strähnen an den Schläfen gelöst und ragten vom Haupt ab. Seine Lippen waren rot vom Wein und das fleckige Hemd hing ihm lose um die Schultern.
Endlich wandte er das Wort an den Grafen: »Gibt es Neuigkeiten über den ... Verschollenen?« Jäh schossen seine Blicke im Saal umher, zwischen dem Pöbel, der ihn umgab, den Rittern, die einige Schritt entfernt standen, und den Soldaten, die die Zugänge flankierten. Nichts aber ließ seine Aufmerksamkeit verharren, und so schaute er schließlich wieder auf Godfrey hinab.
»Meine Männer haben die Burg–«, begann der, da riefen mehrere Zuhörer wie aufgeschreckte Hühner: »Burg!«.
Kurz geriet Godfrey ins Straucheln, doch er fing sich schnell: »– ein weiteres Mal sorgfältig durchsucht. Ich ließ jeden Arbeiter und Bediensteten, der zurückkehrte, befragen und werde damit fortfahren. Bisher hat niemand etwas Bemerkenswertes berichtet. Zudem habe ich Männer in die Stadt geschickt, die sich beim Volk–«
»Volk!«, rief das Pack und lachte.
»– umhören sollen. Vielleicht hat jemand etwas gesehen oder vernommen. Sogar ein bloßes Gerücht mag eventuell ausreichen, um uns die richtige Richtung zu weisen. Aber ich fürchte, dass eine gründliche Durchsuchung der Stadt einzig Fragen aufwerfen würde ...«
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Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)
FantasyDie letzte Schlacht ist geschlagen, der König tot. Doch manchmal beginnt der Kampf erst, wenn der Krieg verloren ist. Und so kehrt Clemendine, die unbändige Tochter eines Herzogs, heim, um mit ihrer "Armee der Zerbrochenen" zu beschützen, was die Si...