29 - Antworten

23 2 0
                                    

Die Töne der Haut, der Haare, des gesamten Antlitzes brodelten, platzten auf und verzerrten die Gesichter zu jenen Grimassen von Ungeheuer in Albträumen. In wenigen Augenblicken fraß sich das Feuer durch die Leinwand. Tropfen der Farbe lösten sich und rannen in die Glut, wo sie zu schwarzen Klumpen verbrannten, die von den übrigen Kohlen nicht zu unterscheiden waren. Mehrere Wochen hatte der Künstler an den Gemälden gearbeitet, aber im Nu waren sie zerstört. Selbst ein beherzter Griff in die Flammen hätte sie nicht gerettet, nachdem das Feuer einmal Halt gefasst hatte.

Es waren bloß Erinnerungen, doch die Bilder drängten sich mit solcher Kraft in die Gegenwart, dass es ihr nicht gelang, sie abzuschütteln. Hilflos hatte sie beschlossen, sich ihnen hinzugeben. Sie warf eine weitere Kugel zerdrückten Papiers in den Kamin. Es behielt seine Form nur kurz, dann schon griffen die Flammen hinein. Eine purpurne Narbe erklomm die Flanken des Knäuels, zog sich von allen Seiten zu und, kaum dass sie sich vereinten, zerstob das Pergament in glimmende Funken.

Sie hatte einen großen, alten Sessel vor den Kamin geschoben im Schlafgemach ihres Vaters.

Nein, sagte sie sich. Nun ist es meines.

Dennoch hatte sie lange gezögert, ihr Hab und Gut hierherzubringen und die Kleider und wenigen Besitztümer, die ihr Vater zurückgelassen hatte, beiseitezulegen. Sie in einer Kiste zu verstauen – sie gar hinausbringen zu lassen – das hatte sie hingegen nicht gewagt. Es war töricht, das wusste.

Ich hoffe noch immer, dass er zurückkommt. Dass es ein Irrtum war. Ein Missverständnis. Und wie zur Bestätigung dieser Erkenntnis horchte sie in den Abend hinein nach einem Klopfen am Tor, obwohl solch ein Laut nie würde bis hierher dringen können. Und so blieb es still, abgesehen vom Knistern im Kamin. Sie warf ein weiteres Knäuel Pergament hinein und sah zu, wie es verzehrt wurde.

Immer schon war es ihr und Wivine ein Ungemach gewesen, sich einen Raum und ein Bett teilen zu müssen. Clemendine hatte lediglich daher ein eigenes Zimmer beziehen dürfen – jenes, das einst die aufeinanderfolgenden Ehefrauen des Herzogs bewohnt hatten – da sie für beide Schwestern unausstehlich geworden war – mit purer Absicht freilich. Nachdem sie fortgegangen war, hatten Wivine und Liosendis den Vater ersucht, Cles Eigentum sorgfältig verstauen und ihr Zimmer in Beschlag nehmen zu dürfen, doch all diese Bitten waren abgelehnt worden.

Heute musste Liosendis niemanden mehr um Erlaubnis fragen – um nichts und für nichts. Sie selbst war nun Herrin der Manderburg. Es war ihre alleinige Entscheidung und nach jeglicher Rechtmäßigkeit gebührte dieses Schlafzimmer ihr.

So eindringlich sie sich dies indes versicherte, es fiel ihr schwer, andere davon zu überzeugen – ja, sich selbst davon zu überzeugen. Und wenn sie am Abend auf dem gewaltigen, mit einem dunkelgrünen Damastbaldachin überspannten Bett aus dunklem Holz lag, schwand sogar noch der Wille, sich Mut einzureden. Der Raum erschien zu groß, und doch stürzte alles auf sie ein. Dann spähte der Baldachin argwöhnisch auf sie hinab. Die Bücher lästerten, dass sie sie nicht verstand; die Feder auf dem Schreibtisch behauptete, dass sie sie zerbrechen und mit der Tinte das Papier besudeln würde; die Teppiche versprachen, ihr ein Bein zu stellen, wann immer sie die Gelegenheit dazu fanden; und die Wandteppiche drohten, dass ihre Hirsche, Rehe und Löwen hinabsteigen und sie heimsuchen würden.

Zu Anfang jeder Nacht zog Liosendis die Vorhänge zu, aber öffnete sie bald wieder, wenn in der Dunkelheit des Zimmers die letzten Kerzen boshafte Schatten hinter Tischen und Schränken und in den Ecken heraufbeschworen. Sie verbarg sich vor ihnen unter der Bettdecke, hoffend, dass diese sie nicht erdrosselte – wissend, dass sie töricht war. Und dennoch schlief sie kaum und, wenn doch, dann schlecht.

Einmal war sie erst in der Morgendämmerung rücklings an das Kopfende gelehnt in einen mit Schreckgestalten erfüllten Traum gefallen, an dessen Inhalt sie sich nach dem Öffnen der Augen nicht mehr erinnert hatte.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt