17 - Die Zeilen seines Vaters

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Zweimal wurde er von Rufen aus dem Lager gelockt, das sie in einem Tannenhain auf einer Anhöhe nordöstlich der Festung errichtet hatten. Der Boden war weich unter seinen Stiefel, übersäht mit alten, harten Nadeln und Tannenzapfen, und schwere Wurzeln griffen nach ihm, um ihn auf seinem Weg zu behindern.

Die größte Eile hätte ihm indes bei dem ersten Ruf nichts genutzt.

»Verzeiht, mein Herr«, entschuldigte sich der Soldat, der den Grafensohn eben noch zu sich gewunken hatte. Er wies in Richtung der Manderburg, deren Tor zur Vorburg hinter einigen wenigen Häuslein verborgen lag.

»Sie kamen sehr plötzlich von Südosten her. Es war eine so kleine Gruppe und sie waren so weit fort, dass ich sie für Bauern hielt oder für Holzfäller. Erst als sie die Straße zur Burg erreicht haben, waren sie besser zu erkennen. Da habe ich gesehen, dass sie keine Karren mit Werzeugen oder Waren mit sich führten.«

Wulfrey hockte sich hin, denn unter ihm fiel der Hang steil ab und auch kniend konnte er noch weit genug über das Land schauen. Eine nur gering geformte Landschaft bildete die direkte Umgebung der Burg. Wie eine vergilbte, spröde Decke mit nur wenigen Senken und Höhen erstreckten sich Wiesen und brache Felder über Meilen in alle Richtungen. Der Felsen, der heute die Festung trug, war darin einst ein einsamer Findling gewesen – hergespült vielleicht in jenen Tagen, als die Götter einzig über wogendes Meer geherrscht hatten und Menschen nicht einmal ein Gedanke gewesen waren. Wälder, die bis hierher gereicht haben mochten, hatten die Bewohner der Burg in den Jahrhunderten abgeholzt und heute lagen die wenigen Dörflein nur noch an kleinen Obstgärten oder vereinzelten Gehölzen, die die Herzöge der Manderburg wahrscheinlich unter Schutz gestellt hatten.

Rinnsale und schmale Bächlein durchschnitten die Oberfläche. Straßen waren rar; Trampelpfade überzogen hingegen alles, als habe jemand ein Gewühl an hellen Bändern auf die Welt hinabfallen lassen; einzig die breite Realmestratt spannte sich von Norden nach Süden wie ein grauer Riemen.

Die Anfänge der Hügel erhoben sich erst außerhalb der ausladenden Senke, deren Mitte die Festung bildete, als habe jemand mit einem Mörser eine Mulde in Angloras hineingerieben und alles an groben Überbleibseln an den Rand verstoßen. Noch weiter entfernt lagen die Säume des Grauwaldes im Westen; des Föhrwaldes im Süden, hinter dem sich der Maerlinc in die Höhe hob; und der Wälder der Rovna im Osten.

Gen Letztere zeigte der Soldat nun. »Sie kamen aus dieser Richtung. Aber sie waren lange hinter der Baumreihe dort verborgen. Und sie waren sehr weit fort.«

Wulfrey akzeptierte mit einer Handbewegung die Entschuldigung. »Waren es die Zerbrochenen?«

»Ich denke, ja, mein Herr«, antwortete der Soldat. »Ich würde schätzen, dass dreißig oder vierzig waren. Alle zu Ross. Als sie endlich auf der Straße waren und ich sie besser sehen konnte, sah es aus, als trugen sie Schwerter bei sich und ein wenig Gepäck auf den Sätteln. Aber es waren keine Packpferde dabei. Und ...«

Er verstummte und Wulfrey schaute zu ihm auf. Der Soldat spähte mit zusammengekniffenen Augen nach der Burg, die in fast einer Meile Entfernung lag, als könne er so die Erinnerung zurückrufen. »Etwas glitzerte. Sie trugen etwas vor sich her, das glitzerte. Aber ich sah es nur ganz kurz. Ehe sie die Häuser erreichten, war es viel zu weit fort.«

»Aber nur vierzig?«, fragte Sir Linet, der Wulfrey gefolgt war. »Kann das stimmen?«

Der Grafensohn schob die Zungenspitze gegen die Schneidezähne und sog darüber zischend Luft ein. »Eine Vorhut vielleicht?«

Er sollte recht behalten, und das zweite Mal kam er nicht zu spät. Wieder stand Sir Linet bei ihm, aber nun war es der Ritter selbst gewesen, der nach Wulfrey gerufen hatte. Er wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der breiten Stirn. Dieses Mal war kein Fingerzeig über die Landschaft von Nöten. Von Nordwesten her näherte sich – querfeldein über die Felder und Wiesen – eine düstere Erscheinung, einer verwundeten Schlange gleich, die sich kraftlos dahinquälte. Reiter waren es größtenteils, doch als mehr und mehr der Phalanx in Sichtweite geriet, wurde klar, dass auch Gestalten zu Fuß folgten.

Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt