Am blutgetränkten Kragen hielt Almar den Reichskanzler gepackt, während sein Dolch niederging, wieder und wieder – auch noch als längst kein Leben mehr in dem Alten war. Was scherte es den Prinzen in seiner Wut, welche Dienste der Greis hätte leisten können, welche Zwecke er hätte erfüllen können?
Zu jener Stunde, da der Kriegsschild auf ein Neues über die Mauern Lirells emporstieg, da brannte, was von Pare Obeth geblieben war, auf demselben Feuer, das die sterblichen Überreste der königlichen Familie verzehrte. Zurück blieben Asche und Verwirrung.
All seine Pläne für jenen Tag, da sie die Hauptstadt eroberten, hatte Almar Dutzende Male besprechen wollen und immer wieder neu erdacht – oft gar in lächerlichen Fantasiegebilden versinkend, in denen sich das Volk jubelnd ihm zu Füßen warf oder die Hohepriester die Säume seines Gewandes küssten. Am Ende war kaum etwas dessen, was er ersonnen oder geplant hatte, tatsächlich geschehen, und als sich der Prinz endlich für die Nacht in die königlichen Gemächer zurückzog, entfuhr Godfrey ein einzelnes Seufzen der Erleichterung – knapp und leise. Wie stets hatte er seine Pläne weit aufgesponnen, hatte allen Irrsinn und alle Widersprüchlichkeiten mit seinen Netzen auffangen können. In gleich welcher Weise ihm auch Zufall oder Schicksal oder menschliche Fehlbarkeit hätten zusetzen wollen, er war dafür gewappnet, hatte eine Lösung längst parat.
Für ihn war es einerlei, ob Almar die Burg verließ, ob er zu den Priestern ritt, ob er seine Schwester eigenhändig ermordete – auf all das hatte Godfrey schnell reagieren können. Einzig den möglichen Tod des kleinen Prinzen hatte er nicht bedacht, und nun spielte es doch keine Rolle mehr.
Ebenso wenig wie der Tod Pare Obeths. Freilich, das Wissen des Kanzlers hätte dem alten Fisch die Aufnahme der Regierungsgeschäfte arg erleichtern können, doch letztlich hätte er doch sterben müssen. Er hatte zu viel gesehen, zu viel erfahren. Nun hatte Almars Zorn Godfrey die Mühen, sich des Greises zu entledigen, erspart. Was wiederum Pare Obeth an Wissen mit ins Feuer nahm, das würde sich eben der Graf an seiner statt aneignen müssen. Gemeinsam mit Barus Vogel durchsuchte er noch in der ersten Nacht das Gebäude, das – innerhalb der Burgmauern gelegen – Heim und Arbeitsplatz des Reichskanzlers gewesen war. Bis in den frühen Morgen hinein sichteten und sortierten sie Unterlagen, Briefwechsel, Listen und Tabellen, um Übersicht zu gewinnen, über die Geschicke des Königreiches, die sich säuberlich und detailreich protokolliert hier wiederfanden.
Es war auch Barus Vogel, der es auf sich nahm, die Erklärung zu verfassen, die Almar von Obeth verlangt hatte: »Prinz Almar Helisses, wahrer und einziger Erbe des Throns von Silber und Gold und von Angloras, ruft die Arbeiter, Diener, Geistlichen, Gardisten und Beamten des Hofes zurück auf ihre Posten, auf dass sie sich ihrer Aufgaben aufs Neue annehmen. Das Recht hat gewonnen, die Usurpatoren sind gestürzt, der Krieg ist gewonnen. Es neue Zeit soll beginnen, in dem der Prinz sein Volk um sich schart, um mit ihm eine glückliche Zukunft zu errichten.«
Kaum war dieses Werk vollbracht, da sank der Herzog in einen hohen Sessel und schlief augenblicklich ein. Der Schein einer nahen Kerze tanzte auf seiner Glatze.
Der Vogel war der erste Adlige gewesen, dem Almar einst sein Anliegen vorgetragen hatte, als der Prinz noch hatte nichts vorweisen können, abgesehen von seiner unumstößlichen Überzeugung vom Anrecht auf den Thron. Klein, schmal, mit engen, runden Schultern und Glatze sah der Herzog in seinen ausladenden, bunten Roben wahrlich aus wie ein seltsames Vögelchen. Häufig rang er die Hände, an denen goldene, edelsteinbesetzte Ringe steckten, oder er wippte auf den Hacken seiner lackierten Schuhe auf und nieder. Echt war an der zur Schau gestellten Unsicherheit wenig, wie Godfrey längst herausgefunden hatte. Barus Vogel war ein kluger Mann, an dem ein großartiger Schauspieler verloren gegangen war. Nicht gestellt waren alldieweil seine Abscheu vor Blut, und die Abneigung gegen harte Arbeit. Zwar war der Herzog gerne nahe am Geschehen und neugierig, insbesondere da ein nicht geringer Teil seiner Reichtümer in die Unterstützung Almars geflossen war. Doch blinzelnd, errötend und schüchtern lächelnd, vollbrachte er es, allzu großen Mühen zu entfliehen und sie auf andere abzuwälzen. Godfrey kam dies gelegen, denn indem der Vogel der Arbeit zu entgehen versuchte, reichte er dem alten Fisch Zügel um Zügel in die Hand.
DU LIEST GERADE
Die Herrin der Scherben (Die Macht des Dritten - Band 1)
FantasyDie letzte Schlacht ist geschlagen, der König tot. Doch manchmal beginnt der Kampf erst, wenn der Krieg verloren ist. Und so kehrt Clemendine, die unbändige Tochter eines Herzogs, heim, um mit ihrer "Armee der Zerbrochenen" zu beschützen, was die Si...