57

128 25 0
                                    

Terence kaufte das Haus in Blue Heaven am Tag meiner Geburt. Das war vor achtundzwanzig Jahren und es hat seine Wirkung und den Charme bis heute nicht verloren. Direkt am Strand mit einem privaten Zugang war es immer unser Kleinod um der Hektik und dem lauten schnellen Leben in der Großstadt zu entschwinden. Mum verbrachte jeden Sommer ein paar Tage mit mir in diesem Haus. Terence war jedes Jahr mit dabei. Ich erinnere mich daran, dass sie beide im warmen Sand saßen und Terence meine Mum beschützend im Arm hielt. Wie sie leise miteinander redeten und Terence immer wieder die Haare aus ihrem Gesicht strich die der Wind versuchte in alle Richtungen zu wehen.

Mein Vater blieb immer in New York. Es waren Tage, in denen Mum allein mir gehörte. Ich brauchte sie nicht mit meinem Vater oder der Arbeit teilen. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehörte mir und es war immer eine schöne und erholsame Zeit. Für uns beide. Dad und Terence waren nie dicke Freunde. Einmal erzählte Terence mir, dass mein Vater auf dem College glaubte, dass er und Mum ein Paar wären. Diese Vorstellung fand ich so absurd, dass ich lauthals begann zu lachen. Terence fand das weniger lustig und erzählte eine Geschichte von einem jungen Mann, der gerade erst angefangen hatte, öffentlich zu seiner Homosexualität zu stehen. Und ebendieser Mann verliebte sich in das homophobe Hinterwäldlerarschloch, den besten Freund meines Vaters. Daniel Foley. Auch mit den Jahren und wechselnden Partnern an Terences Seite wurde es nicht besser. Dass mein Vater einfach so verschwand und seinen einzigen gerade auf dem College angenommenen Sohn mit seiner todkranken Mutter allein ließ, hatte er ihm nie verziehen. Genauso wenig wie ich. Und jedes Jahr, am Todestag meiner Mum, betrinken wir uns nicht nur hemmungslos. Wir stellen uns jedes Jahr an die Wasserkante und schreien unseren gesamten Frust und all den Hass auf Leroy Sutton den Wellen auf der tosenden See entgegen.

So wird es auch dieses Jahr sein. Und wie jedes Jahr empfängt uns das Haus mit seiner wohligen Wärme und dem Geruch nach gebratenem Lamm und einem im Kamin knisternden gelb-orangefarbenen Feuer. Dieses Haus steht die meiste Zeit des Jahres über leer. Mary-Ann, eine herzensgute Seele und überaus gute Köchin kümmert sich in Terences Abwesenheit darum, dass regelmäßig eine frische Meeresbrise durch die Zimmer weht und der Staub der Zeit nicht an den Möbeln haften bleibt. Das gesamte Haus ist in unschuldigem Weiß und bodenständigem Braun gehalten. Liebevoll aufeinander abgestimmte Details, die gleichen Möbelstücke in den Schlafzimmern und Fotografien vom Leuchtturm am Hafen oder der tosenden See runden das harmonische heimelige Bild ab.

"Guten Abend Mr Rivera. Das Essen ist bereits fertig", begrüßt Mary-Ann uns freudestrahlend. Und da sie nicht meine Angestellte ist und ich sie sehr gerne mag, scheue ich mich nicht davor sie jedes Mal in eine feste Umarmung zu ziehen und ihr für die Mühen, die sie sich macht zu danken. So auch heute und wie jedes Mal sieht sie mich mit roten Wangen verlegen an und gibt mir einen scherzhaften liebevollen Klaps auf den Arm.
"Ach Mr Sutton. Sie sind ein Charmeur und Schwerenöter."
"Hurst", sage ich und sehe mit einem unterdrückten Grinsen dabei zu wie die Mimik von Mary-Ann sich verändert. Von verwundert zu überlegend und letztlich angekommen bei erkennend.
"Sie haben geheiratet?", ruft sie euphorisch und reißt ihre Arme jubelnd nach oben. Stumm nicke ich und freue mich darüber, dass sie sich so sehr für mich freut. Doch plötzlich verändert sich ihr Gesichtsausdruck und sie sieht sich nervös im Raum um.
"Oh. Ich habe nur für zwei gekocht. Und auch nur für zwei gedeckt. Das tut mir leid. Ich wusste das nicht. Mr Rivera hat nicht erwähnt, dass sie zu dritt kommen und ich..."

"Alles gut meine Liebe", unterbreche ich ihren entschuldigenden Redefluss und lege sanft eine Hand auf ihren Arm.
"Ich bin allein gekommen. Drew ist in New York. Und es ist wie immer alles perfekt. Der Baum sieht wunderschön aus und das Essen duftet herrlich", sage ich und Terence nickt zustimmend.
"Eisblau und Silber. So wie wir es besprochen haben. Vielen Dank. Für alles", sagt Terence.
"Gerne. Vielleicht im nächsten Jahr? Oder im Sommer, wenn die Temperaturen angenehmer sind?" Ihre großen braunen Kulleraugen strahlen mich an und ein ums andere Mal bedauere ich es sehr, dass dieses herzensgute freundliche Wesen noch nicht den richtigen Partner gefunden hat.
"Wir werden sehen was sich ergibt", antworte ich lächelnd. Die vielen Fragen, welche über dem braunen Schopf von Mary-Ann schweben mischen sich gedanklich mit meinen Antworten und beide kichern wir als uns bewusst wird, dass wir wohl das gleiche dachten.

"Sie wollen unbedingt wissen, wie wir uns kennengelernt haben, oder?"
"Ja", sagt sie und nickt wild mit dem Kopf. "Und wie die Hochzeit war."
Das wüsste ich auch gerne. Aber noch immer ist in meinem Kopf Leere, wenn ich versuche die Geschehnisse dieser Nacht aufzurufen.
"Es ist eine längere Geschichte. Drew ist unerwartet in mein Leben getreten", sage ich und Mary-Ann starrt mich ungläubig mit ihren großen Kulleraugen und offenem Mund an.
"Die Geschichte möchte ich gerne einmal hören", sagt sie und verschwindet lächelnd in der Küche. Ich bin mir sicher, dass in ihrem Kopf gerade ein eigens für sie produzierter Film abläuft. Mit Drew und mir in den Hauptrollen und ihrer Version von dem was in Vegas geschah.

Wie jedes Jahr ist das Essen ist ein Traum. Das Lamm ist wunderbar zart und rosa gebraten. Die grünen Bohnen knackig, ummantelt von würzigem Speck und der feine Buttergeschmack zerfließt auf der Zunge. Eine aromatische Soße, dunkel und kraftvoll. Das Aroma von Rosmarin kitzelt auf meiner Zunge und regt die Rezeptoren in meinem Kopf an. Zusammen ergeben die einzelnen Komponenten ein abgerundetes Bild und perfektes Weihnachtsessen. Zumindest für Terence und mich. Drew erzählte mir vor nicht allzu langer Zeit, dass in seiner Familie immer ein klassisches Essen serviert wird. Truthahn gefüllt mit Apfel-Maronen-Zwiebel-Füllung, dazu Kartoffelbrei und Süßkartoffelauflauf. Für Drew als Vegetarier Ofengemüse und Maisbrot dazu. Abgerundet von einem herrlich duftenden warmen Apple-Pie, den auch Mary-Ann jedes Jahr für uns backt. Meine Mum liebte Lammbraten. Es ist unsere Tradition und so ist sie ein Stück weit immer mit dabei.

Die Süße der Trauben des Rotweines, das vollmundige kräftig nussige Aroma, ein Hauch von Kirsche und der Geschmack von Drews weingetränkten Lippen. Immer wieder denke ich an Drew und seine Worte. Terence gibt mir den Freiraum der Stille. Er scheint zu bemerken, dass mich etwas beschäftigt. Denn eigentlich schweigen wir nie beim Essen. Stattdessen beginnt zu dieser Zeit jedes Jahr der Teil des Abends, den wir stets zu zweit und vergraben in Erinnerungen verbringen.

"Was beschäftigt dich Lewis", fragt Terence, nachdem wir das Essen beendet und wie jedes Jahr unsere Plätze vor dem Kamin eingenommen haben. Terence sitzt in einem großen weichen lederbezogenen Sessel mit hoher Lehne und gepolsterten Armstützen. Ein Glas Wodka in der Hand und das flackernde Licht der Flammen legt Schatten auf sein Gesicht, die ihn weiser, aber nicht älter erscheinen lassen.
"Drew", sage ich und greife nach der Flasche um die sinnesbetäubende klare Flüssigkeit in mein Glas zu geben. Laut polternd landet die nun leere Flasche auf dem Glastisch neben mir und das Geräusch lässt mich leicht zusammenzucken.

"... das Glas fiel auf den Boden und zersprang in tausend Teile..." Drews Worte von damals kommen unvorhergesehen und lassen mich laut seufzen. Noch heute schmerzen seine Worte, wenn ich daran denke. Und noch heute habe ich den lieblichen Geschmack von seinen Lippen auf meinen im Mund, wenn ich daran denke und meine Zunge gegen meinen Gaumen drücke. Dann schmecke ich das Aroma des Weines und Drew und die Glückseligkeit des ersten Kusses.
"Wie läuft es? Fickt ihr einfach, oder redet ihr auch mal über euch?", fragt Terence frei heraus und ohne Scham. Denn das sind wir nicht. Waren wir nie. Es gab keine Distanz zwischen uns, nur ehrliche und offene Worte. Immer. Schonungslos, aber nie verletzend.

"Wir ficken. Wenn du es genau wissen willst. Drew und ich haben beschlossen etwas Lockeres zu starten. Das habe ich dir erzählt."
"Und das geht jetzt wie lange?", fragt Terence.
"Fünf Monate. Plus minus ein paar Tage."
"Und wie lange wollt ihr das noch durchziehen? Bis zur Scheidung und dann einfach so weiter machen wie bisher?", fragt er weiter und der Spott in seiner Stimme springt mich förmlich an und saugt sich krampfhaft an meinem Herzen fest. Terences Meinung ist mir wichtig. Genauso wie die von Jordan und Bennett.

"Natürlich nicht", beantwortet er seine Frage kurzerhand selbst.
"Du weißt nicht, wie es weiter gehen soll, oder?"
"Drew hat mir ein Ultimatum gestellt", erwidere ich und lasse seine Frage unbeantwortet. Der Alkohol hat sich bereits großflächig in meinem Körper verteilt und der Nebel der Schwerelosigkeit breitet seine Decke über mich aus.
"Drew liebt mich", höre ich mich sagen. Terence brummt und das Knacken des brennenden Holzes erfüllt als einziges Geräusch den Raum. Gedämpft dringt das Geräusch der tobenden Wellen an mein Ohr.
"Das ist nicht zu übersehen", flüstert Terence. "Drew ist ein Traum von einem Mann. Und ich verstehe dich nicht. Ich bin ehrlich. Ich bin neidisch. Auf dich. Auf das was du mit Drew hast. Die Zukunft die ich deutlich sehe. Aber du nicht."


Lost memory - suddenly marrried -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt