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Trotz all dem Schmerz war ich auch unglaublich wütend. Mein Vater ließ mich nicht in Ruhe. Seine täglichen Anrufe versetzten mich jedes Mal aufs Neue in einen Zustand rasender Wut. Alte Wunden rissen auf und neue kamen hinzu. Ich fragte mich, warum ausgerechnet jetzt? Lag es nur an Drew und seinem Anruf? Oder steckte da noch etwas anderes hinter? Zehn lange schmerzvolle Jahre hatte er sich nicht gemeldet. Zehn Jahre in denen mein Zorn stetig wuchs. Ich unterdrückte es, versuchte diese Gefühle soweit es geht von mir fernzuhalten. Es war ihm egal, dass ich in meinen jungen Jahren hilflos dabei zusehen musste, wie meine Mutter immer schwächer wurde. Wie die bösartigen Zellen sich in ihrem Körper einnisteten und sie von innen heraus zerfraßen. Ihm war bewusst, dass ich sie soweit es geht auf ihrer letzten Reise begleiten würde. Ebenso, dass mein Herz dabei unentwegt schreien und meine Seele zerreißen wird. Er nahm in Kauf, dass ich meiner Mutter allein und ohne Halt meines Vaters beim Sterben zusehen musste. Mein Vater wusste, dass ich sie niemals allein gelassen hätte. Dafür liebte ich meine Mutter viel zu sehr. Und dieses Wissen, macht mich so unglaublich wütend. Ich will seine Entschuldigung nicht hören. Es bedeutet mir nichts.

Mit dem Ausbrechen meiner unterdrückten Wut auf Leroy Sutton rückte auch der Schmerz über Drews Worte in den Hintergrund. Nach einer Woche gab ich es auf Drew zu schreiben oder mit einem Anruf dazu zu bekommen, noch einmal mit mir zu reden. Die Funkstille zwischen uns ist für mich kaum auszuhalten. Noch immer schreit mein Herz ununterbrochen seinen Namen. Noch immer bin ich aber auch ungemein wütend auf Drew. Ich stürzte mich in die Arbeit, schlief wenn es hochkam, vier Stunden in der Nacht und wachte mit tränenüberströmten Gesicht auf. Der immer wiederkehrende Traum brachte mich fast um den Verstand. Es tat so unglaublich weh und nichts war mehr so wie es mal war. Ich quäle mich jeden Tag und jede Nacht. Die Tage ohne Drew sind schlimm. Aber die Nächte sind die Hölle.

So begann ich an Tag sieben nach dem Ende meiner Ehe ein Ritual, welches die Beständigkeit in mein Leben zurückholen sollte. Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken was war und was hätte sein können. Zu tief saß der Schmerz, ebenso der Groll.
Jede Nacht schrecke ich nach vier Stunden Schlaf verschwitzt und schwer atmend aus meinem persönlichen Albtraum auf. Nach einem kurzen Durchatmen und der Erkenntnis, dass Drew noch immer nicht da ist, begebe ich mich ins Bad. Drews Sachen stehen alle noch an ihrem Platz, genauso wie vor seinem Weggang. Man könnte meinen er ist nur kurz zum Brötchen holen gegangen oder im Urlaub auf Hawaii. Aber das dem nicht so ist wird spätestens dann deutlich, wenn ich meinen Kopf auf das Kissen bette um mich in den Schlaf zu weinen. Jede Nacht seit sechs Wochen. Ich erledige meine Morgenroutine im Bad und betrete danach die Küche. Jeden Morgen der gleiche Ablauf, eine präzise Reihenfolge die nicht verändert wird. Ich sehe dem Wasser dabei zu, wie es sich mit dem köstlich aromatischen Pulver fein würziger kolumbianischer Kaffeebohnen verbindet. Dampfend steigt das belebende Aroma des Kaffees in meine Nase und ich inhaliere den verführerischen Duft. Bekleidet mit einer schwarzen Jogginghose und einem marineblauen kuscheligen Hoodie, welcher den Geruch von Drew schon längst verloren hat und einer Tasse dampfenden schwarzen Goldes in der Hand sitze ich auf der Terrasse und begrüße den neuen Tag.

Drew machte es sich nicht nur zur Aufgabe eine wunderschöne Pergola für die Frau meines Redakteurs zu bauen. Er nahm sich auch vor, das morsche Holz meiner Terrasse auszutauschen. So kam es, dass ich eines Morgens statt meiner verdienten Nachtruhe zu frönen, einem muskelbepackten Drew und seinen nicht weniger gut bepackten Bruder dabei zusah, wie sie lange dunkle Holzdielen durch das Haus trugen und die alten in mühevoller schweißtreibender Kleinarbeit entfernten. Die Sonne brannte bereits auf ihre Körper hinab und die Shirts der beiden Männer klebten durch den Schweiß der harten Arbeit an ihren Leibern. Ich stand mit offenem Mund in der Terrassentür und meine Müdigkeit war schlagartig verflogen. Nach einer Runde Kaffee für uns drei begab ich mich mit einem Buch und meinem Laptop bewaffnet in den Garten. Die beiden Brüder verbrachten den sonnigen Tag damit eine neue Terrasse zu bauen und ich, sie ungeniert dabei zu beobachten. Es dauerte nicht lange und Drew entledigte sich seines Shirts. Ich schluckte schwer und kaum das Cole an diesem Abend mein Haus verlassen hatte, fiel ich über Drew her und er vögelte mir den letzten Rest Verstand heraus. Es war das erste Mal, dass wir es nicht ins Schlafzimmer schafften und ich am nächsten Morgen blaue Flecken am Rücken und den Knien hatte.

Lost memory - suddenly marrried -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt