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Nur war Carla nicht der Grund, warum Dexter so getobt hat und die Kontrolle über sich und seinen Körper verlor. Eifersucht, verletzter Stolz und vergiftete Gedanken hießen die wahren Übeltäter. Drew hat dafür bezahlen müssen. Einen Preis, den nicht er verschuldet hatte. Dexter wurde nie dafür zur Rechenschaft gezogen. Bei unserem Spaziergang im Regen erzählte Drew, dass Dexter ihre gemeinsame Wohnung verließ und sich nie wieder gemeldet hat. Ein Zettel mit acht Worten war alles, was blieb. 'Es tut mir leid. Ich liebe dich. Dex.' Wäre ich an Drews Stelle gewesen, hätte ich ihn gesucht und gefunden und zur Rede gestellt. Das ist keine Art eine Beziehung zu beenden. Drew jedoch, wollte dieses Kapitel seines Lebens einfach hinter sich lassen. Und dieser Schmerz den Drew so eindrucksvoll beschrieb, seine Tränen und die Trauer in seinen Augen treffen mich gerade schlagartig.

"Alles okay Baby?", raunt Drew in mein Ohr und ich schlucke trocken. Er löst seinen Griff, gibt meine Hand wieder frei und legt seinen Arm um meine Taille. Etwas passiert hier gerade. Etwas wichtiges, aber ich kann es nicht benennen. Mir fehlen die Worte. Ich habe das Gefühl den Boden zu verlieren, mich zu verlieren. Es fühlt sich seltsam an, erdrückend. "Möchtest du dich hinlegen? Du bist etwas blass", fragt Drew leise.
"Nein. Es geht wieder", antworte ich und befreie mich aus seinem Griff.

Zielstrebig mache ich zwei Schritte nach vorne, lasse meine Tasche, die ich noch immer in der Hand halte, direkt vor Coles Füßen fallen und ziehe Carla in eine feste Umarmung. Ich kenne sie nicht. Und doch veranlasst ihr freundliches Lächeln und ihr sonniges Gemüt mich dazu, sie wie eine alte Freundin zu begrüßen. Etwas zögerlich erwidert sie meine Umarmung und erst danach begrüße ich Cole mit einem Handschlag und leichtem Kopfnicken. Eine stumme Übereinkunft, dass diese Art der Begrüßung vollkommen ausreichend ist.

"Warum hast du eine Tasche dabei?", fragt Cole und ich schaue ihn überrascht an. Die Tasche. Jordan bat mich ein paar Dinge für einen Kurztrip mitzunehmen. Jetzt weiß ich auch warum. Das Hotel liegt außerhalb der Stadt und ich vermute, dass kaum jemand der hier anwesenden Gäste noch in der Lage sein wird nach Hause zu fahren. So sind Hochzeiten. Es wird viel gegessen und noch mehr getrunken. Ausgelassen gefeiert, getanzt und schief gesungen.
"Offenbar weiß mein bester Freund mehr über das Leben meines Mannes als ich", antworte ich ausweichend. "Cole, kannst du bitte Lewis Tasche auf mein Zimmer bringen?", fragt Drew und wirft seinen Zimmerschlüssel in Coles Richtung. Dieser fängt galant den kleinen goldenen Schlüssel mit einer Hand und verabschiedet sich feucht von seiner rothaarigen Freundin.

"Weiter gehts." Drew legt seine Hand wieder auf meinen unteren Rücken und drückt mich leicht in die Richtung des zweiten Sessels. Ein Mann mittleren Alters erhebt sich und streckt mir seine Hand entgegen. Ein weiterer Hurst. Eindeutig. Die Gesichtszüge verraten die Verwandtschaft zu Mark, aber die markanten Merkmale, das schwarze Haar und die blauen Augen stammen eindeutig nicht von ihm. Seine Haare sind haselnussbraun und die Augen mustern mich in solch einem stechenden grün, dass mir leicht schwindelig wird als ich die flackernden dunklen Punkte in seinen Iriden betrachte. Er mag mich nicht.

"Lewis", sage ich lächelnd und strecke ihm meine Hand entgegen. "Thomas Hurst. Ich bin Drews Onkel und sein Boss", antwortet er und drückt kurz meine Hand. Starke von langjähriger harter Arbeit raue Hände streifen kurz die meine. Eine flüchtige Berührung, den Anstand wahren. Mehr ist es nicht.
"Schön sie kennenzulernen Sir. Drew hat schon viel von ihnen erzählt", sage ich und ernte ein verschmitztes Kichern. Hinter Thomas steht plötzlich Mark und flüstert seinem vermutlichen Vater etwas ins Ohr. "Drew auch von dir", erwidert Thomas und Mark kriegt sich vor Lachen kaum noch ein.

Drews Hand liegt noch immer auf meinem Rücken und er streichelt leicht über meine Wirbelsäule. Ich fühle mich zunehmend unwohler und bin mir sicher, dass es nicht besser wird, sobald ich den Festsaal betrete. Drew scheint es zu bemerken, er schenkt mir so viel Unterstützung wie möglich. Seine Lippen liegen nah an meinem Ohr und ich spüre die Wärme seines Körpers, der sich leicht gegen den meinen lehnt. Nur so viel um mir zu zeigen, dass er da ist. Es beruhigt mich.

"Lasst Lewis in Ruhe. Er hat euch nichts getan", entgegnet Drew und zieht mich besitzergreifend in seine Arme. Jetzt bin ich wieder unentspannt. Drew ist aufgeregt, sein Herz schlägt ein paar Takte schneller als normal.
"Komm, ich stell dich meiner Schwester vor. Und dem Rest meiner Familie." Und schon wieder stolpere ich hinter Drew her. Er zieht mich durch die Eingangshalle direkt auf die große Flügeltür des Festsaales zu. Die Musik wird immer lauter und ein Pärchen kommt uns entgegen. Eindringlich werden wir gemustert und ich spüre verachtende Blicke auf mir.

"Warte Drew", sage ich harsch und ziehe meine Hand aus seiner.
"Was?", fragt er überrascht und ich atme kurz durch.
"Was hast du deiner Familie über mich erzählt das sie mich so sehr hassen?", platze ich einfach mit der Frage heraus, die seit meiner Ankunft hier schwer auf mir lastet.
"Nichts", entgegnet Drew. Er lügt. Das Buch, welches sich Mimik nennt, liegt aufgeklappt vor mir. Die Wörter springen mir nur so entgegen. Lüge.

"Du lügst", sage ich. Drew fährt sich nervös durch die Haare, ich schüttele schnaubend den Kopf.
"Verarsch mich nicht Hurst. Ich mache das hier für Bennett und Jordan. Weil sie mich her geschleift haben. Nicht weil ich scharf darauf bin mich den abschätzigen Blicken deiner buckeligen Verwandtschaft zu stellen. Und auf den Tratsch habe ich auch keine Lust. 'Oh schau, das ist Drews Mann... Der One-Night-Stand... Nein sag bloß, in Vegas...? Wie skandalös... so verrucht mit dem Eyeliner und der Smoking gehört sicherlich nicht ihm... Ich habe gehört er ist Künstler... Schriftsteller... Er verdient sein Geld mit Büchern...', äffe ich die mir unbekannten Personen nach. Mein Verstand spielt mir Streiche, legt mir Worte in den Mund, die ich nicht wieder zurücknehmen kann.

Unerwartet heftig packt Drew mich am Kragen, schiebt mich rückwärts in eine kleine Nische und drückt mich mit dem Rücken gegen die Wand. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Der Aufprall meines Körpers hinterlässt ein dumpfes Geräusch, der Rücken schmerzt und ächzend entweicht die Luft aus meinen Lungen. Halt suchend kralle ich meine Finger in die Wand, der raue Putz schmerzt an der empfindsamen Haut meiner Fingerkuppen.
"Sag so etwas nicht Lewis", presst Drew zornig hervor.

Lost memory - suddenly marrried -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt