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"Ich fahre zurück in meine Wohnung. Danke für die Klamotten. Bye Lewis", sagt Drew traurig und bevor ich noch irgendetwas sagen kann, höre ich die Haustür lautstark zuschlagen.
"War er das?", höre ich Jordan sagen. "Warum war er hier?", ertönt die Gegenfrage von Bennett. Ich starre noch immer auf die Tür zum Flur und versuche das von mir Gesagte Revue passieren zu lassen.

"Viel wichtiger ist die Frage, wie lange er da schon stand. Die Enttäuschung in Drews Stimme war nicht zu überhören. Ja die Situation ist nicht alltäglich. Oder gar einfach. Aber es ist jetzt wie es ist und wir müssen darüber reden. Ohne das einer von uns beiden panisch den Raum verlässt", sage ich an meine beiden Freunde gewandt und sehe zustimmendes Nicken.

"Ein Mitbewohner auf Zeit. Mehr ist er nicht, oder?", frage ich mehr zu mir als zu meinen Freunden und erwarte keine Antwort.
"Ruf ihn an und dann klärt das. Wir lassen dich jetzt allein. Melde dich, wenn du uns brauchst." Beide umarmen mich zum Abschied und sind so schnell wieder verschwunden, wie sie hier aufgekreuzt sind.

Mit dem Telefon in der Hand lege ich mich auf das Sofa und kann mich doch nicht dazu durchringen Drew anzurufen. Er hat mein Haus verlassen. Er scheut die Konfrontation mit mir. Er redet nicht über die Situation. Schwer wie Blei fühlt sich das schwarze Gerät auf meiner Brust an. Das plötzlich einsetzende vibrieren lässt mich zusammenzucken. Das dumpfe Brummen ist laut in der Stille um mich herum. Die Buchstaben seines Namen leuchten grell auf dem schwarzen Hintergrund.

D. Hurst

Ich verhalte mich wie ein trotziges Kind. Auch ich bin geflüchtet. Zweimal. In Vegas, am Tag nach unserer Hochzeit und vorhin, in meinem Schlafzimmer. Das stetige Vibrieren meines Telefon hinterlässt ein Kribbeln auf meinem Körper. Ich weiß das wir miteinander reden müssen. Ganz dringend sogar. Bei dem Gedanken daran verwandelt sich das Kribbeln zu einem dumpfen Gefühl im Magen. Seufzend nehme ich den Anruf entgegen und höre Drew schwer atmen. Das Geräusch von vorbeifahrenden Autos, wildes Hupen und dann Stille. Ein gleichmäßiges Tuten dringt aus dem Hörer. Hat er aufgelegt? Ungläubig starre ich auf das schwarze Display. Das erneute vibrieren lässt mich wieder kurz zusammenzucken.

Seit wann bin ich so schreckhaft? Wieder schaue ich auf die leuchtenden Buchstaben vor schwarzem Hintergrund. Aber es ist nicht Drew der mich anruft. Es ist Terence.
"Sutton." Mit seriöser Stimme starte ich das Gespräch.
"Lou. Du hast dich falsch gemeldet", ruft Terence lautstark in sein Telefon. Ich bin verwirrt. Wieso? Was meint er? Dann fällt es mir plötzlich wieder ein.

"Lewis Hurst am Apparat. Womit kann ich dienen?", sage ich gespielt fröhlich und ich bin mir sicher, dass Terence sich gerade ein feistes Lachen verdrückt.
"Schon besser. Habt ihr alles geregelt? Wann ist der Umzug?", fragt er und wieder seufze ich.
"Lewis was ist los?" Terence hat mich mal wieder durchschaut. Es wundert mich schon lange nicht mehr. Er kennt mich einfach.

"Das Gespräch ist nicht so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Und Drew wohl auch nicht. Er ist gegangen. Ich war nicht gerade einfühlsam", antworte ich ehrlich und beginne ihm die Ereignisse der letzten Stunden zu erzählen. Währenddessen sagt Terence nicht ein einziges Wort. Er schweigt noch immer als ich meine Ausführung beendet habe und kurz ploppt der Gedanke auf, dass Terence bereits aufgelegt hat oder sogar eingeschlafen ist. Aber dem ist nicht so. Laut und fest ertönt plötzlich seine Stimme am anderen Ende der Leitung. Er verpasst mir die Standpauke meines Lebens und ich bereue es gerade, ihm wirklich alles erzählt zu haben.

"Du rufst ihn jetzt an. Du bittest um ein Treffen. Du entschuldigst dich bei ihm für deine arschige Art. Du hilfst ihm seinen Kram zu packen. Du organisierst seinen Umzug. Du bist ab sofort nett zu ihm", donnert Terence und ich komme mir ein bisschen wie auf dem Exerzierplatz vor. Terence ist der Kommandant, der die Befehle erteilt und ich nur der kriechende Wurm, welcher diese stur ausführt.

"Ay ay mein Captain", sage ich verlegen und höre das Geräusch von einem Schlag auf einen hölzernen Gegenstand. Ich bin mir sicher, dass seine Handinnenfläche gerade Bekanntschaft mit der Platte des großen Schreibtisches in seinem Büro gemacht hat.
"Lewis! Ihr habt beide eine Auflage vom Gericht zu erfüllen. Benehme dich nicht so kindisch. Drew ist ein netter junger Mann. Sieh es als Wohngemeinschaft an. Vielleicht werdet ihr Freunde." Etwas in Terence Worten macht mich stutzig. Aber ich kann das Gefühl, dass er mir etwas verschweigt, nicht einordnen.

"Willst du mir irgendwas sagen?", frage ich nach und bekomme genau die Antwort, mit der ich auch gerechnet habe.
"Ja. Entschuldige dich bei Drew." Ich lasse das so unkommentiert stehen. Auch wenn ich das starke Gefühl habe, dass es nicht das ist, was er mir verschweigt.

"Ich melde mich die Tage bei dir. Und danke für deine Hilfe Terence", antworte ich und beende schnell das Gespräch. Nicht das ihm noch mehr Dinge einfallen, die er mir an den Kopf werfen kann.
Nervös laufe ich zwischen Küche und Wohnbereich hin und her. Das Telefon gleitet von der linken in die rechte Hand und wieder zurück. In meinem Kopf bilden sich tausend Fragen und die Antworten darauf, verstecken sich in den hintersten Schubladen meines Unterbewusstseins. Das ist tief und es wird eine Weile dauern, bis diese ans Tageslicht befördert werden.

Einem Impuls folgend gehe ich in das Gästebad. Ich versuche mich abzulenken und dieses Telefonat noch ein Weilchen hinauszuzögern. Das Bad aufräumen und die Maschine mit unseren biergetränkten Klamotten anstellen ist mir jetzt eine willkommenere Tätigkeit, als mit Drew dieses Gespräch zu führen. Im Bad angekommen blinzele ich ein paar Mal und schaue mich ungläubig um.

Die Glasverkleidung der Dusche ist befreit von den Rückständen des Spitzwassers. Keine Tropfen, keine Schlieren. Ich habe freie, ungehinderte Sicht auf das Innere der Duschkabine. Der Boden ist frei von gebrauchten Handtüchern. Sie liegen im Wäschekorb und die Trommel der Waschmaschine dreht fröhlich ihre Runden. Ein angenehmer Duft nach Sandelholz liegt in der Luft und ich erinnere mich daran, dass Drew bei unserem Kennenlernen nicht genug davon bekam. Immer wieder saugte er an meiner Haut und wollte so viel wie möglich davon aufnehmen. Diese Erinnerung ist schwach, aber sie lässt eine Gänsehaut auf meinem Körper wachsen.

Beklommen wähle ich Drews Nummer, presse das Telefon fest gegen mein Ohr und lausche dem Klang des Signals, der Bitte um ein Gespräch. Erleichtert atme ich aus als das bekannte Knacken ertönt und Drews tiefe Stimme mich gefangen nimmt.
"Was willst du?" Keine Begrüßung. Kein freundliches Wort.
"Hallo Drew. Ich möchte mit dir reden. Können wir uns treffen?", frage ich und schicke ein Stoßgebet in den Himmel, dass er zustimmt.


Lost memory - suddenly marrried -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt