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Unser Spaziergang im Regen ist bereits zwei Wochen her. Ein harmloses Teenager-Party-Spiel entpuppte sich als emotionale Reise in die Vergangenheit. Und hätte ich geahnt, welch dunkles Geheimnis hinter Drews Narbe steckt, hätte ich diese Frage niemals gestellt. Seine Tränen haben mich tief berührt und auch die Art wie er darüber sprach. Drew ist jung, klug, willensstark, ein guter Zuhörer und wunderbarer Gesprächspartner. Es war nicht gelogen was ich ihm dort im Park umgeben von Regentropfen und dunklen Wolken sagte. Meine Mum hätte ihn geliebt.

Seit diesem Tag hat sich unser Zusammenleben verändert. Jeden Abend kommt Drew müde und erschöpft nach Hause. Er steht im Flur und entledigt sich seiner von der Arbeit schmutzigen Kleidung. Jeden Abend beobachte ich ihn dabei, wie er nur in Boxershorts bekleidet den Wohnbereich betritt und nach einem kurzen 'Hallo Lewis' direkt ins Bad verschwindet. Jeden Abend höre ich das Wasser rauschen und dann gehe ich in die Küche und kümmere mich um die Zubereitung unseres Abendessens. Ich muss nicht auf Fleisch verzichten, nur gewisse Dinge beachten. Aber das ist kein Problem und ich mache es ganz gerne.

Jeden Abend kommt Drew nach einer wohltuenden Dusche in die Küche und schmiegt sich dicht an meinen Rücken. Jeden Abend blickt er über meine Schulter und brummt wohlig über den herrlichen Duft nach frischem Gemüse und Kräutern aus aller Welt. Die Vibration seines tiefen Basses trifft auf meinen Körper und jagt mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Die ersten Male hatte ich das Gefühl mein Herz bleibt stehen, so überrascht war ich über seine Erscheinung und meine körperliche Reaktion.

Es ist unser Ding geworden, irgendwie. Drew taucht plötzlich und unerwartet hinter mir auf, raunt Worte in mein Ohr oder sagt einfach nichts und ich spüre nur seinen warmen Atem an meinem Hals. Und jeden Abend essen wir zusammen und reden über unseren Tag. Also eigentlich redet Drew, ich höre zu. Meine Tage verlaufen immer gleich. Sie sind monoton, beständig. Aber für mich ist es wichtig so zu leben. Ich bin ein Freigeist und leicht chaotisch, wie man unschwer an meinem Büro erkennen kann. Die Stapel der Bücher werden immer größer und schon lange sind aus Hügeln Berge geworden.

Nach dem gemeinsamen Abendessen gehe ich in mein Büro und arbeite noch eine Weile oder erledige Papierkram. Steuererklärung zum Beispiel. Langwierig, aber notwendig. Drew liest oder telefoniert mit seinen Geschwistern. Erledigt den Abwasch und kümmert sich um seine schmutzige Arbeitskleidung. Irgendwie, und ich weiß überhaupt nicht genau wann, hat er angefangen auch meine Wäsche zu waschen. Jedes Mal bedanke ich mich und sage gleichzeitig, dass er nicht mein Hausangestellter und somit nicht für meine Wäsche verantwortlich ist. Nach einem kleinen verschmitzten Lächeln und einem Zwinkern macht Drew einfach weiter und wieder liegt am nächsten Tag die vormals schmutzige Wäsche zusammengelegt und wohlriechend in meinem Kleiderschrank.

Jeden Abend. Seit zwei Wochen. Bis auf gestern Abend. Drew kam spät nach Hause. Er war bereits geduscht und umgezogen, begrüßte mich nicht mit seinem 'Hallo Lewis' und dem feinen Lächeln um seine Mundwinkel. Stattdessen kam er hundemüde nach Hause und fiel ohne ein Wort der Begrüßung bäuchlings auf das Sofa. Bald darauf vernahm ich ein leises Schnarchen und das ich mit der kleinen Leselampe und einem neuen Buch in der Hand auf dem Sofa direkt neben ihm saß, schien Drew so gar nicht zu stören. Verdutzt beobachtete ich ihn eine Weile und strich ihm zärtlich durch die Haare. Wieder vertieft in meine Lektüre vergaß ich alles andere und konzentrierte mich nur auf meine Finger in Drews Haaren und den verlorenen Erinnerungen von Glenn.

Irgendwann regte Drew sich neben mir und sprang panisch vom Sofa auf. Verschlafen und verwirrt wischte er sich mit den Händen über das Gesicht und raufte sich die Haare als er sah, dass ich auf dem Sofa saß und ihn eingehend beobachtete. Ich schaltete das Licht aus und stand vom Sofa auf. Ohne ein Wort zu sagen, griff ich nach Drews Hand und er verschränkte sofort unsere Finger ineinander. Weiterhin schweigend gingen wir die Treppe hoch, die defekte Stufe knarzte und wenig später standen wir in meinem Schlafzimmer.

Lost memory - suddenly marrried -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt