Drei Tage waren vergangen, seit Askan, Erik und Luis aus Ensgard geflohen waren. Sie hatten die Nacht nach den Angriffen der Ishdur und Blutwölfe in dem kleinen Waldstück vor dem Stadttor verbracht. Am nächsten Morgen hatte Askan ihnen eine Mitfahrgelegenheit in Form eines Pferdekarren besorgt, auf dem vorne ein zahnloser, alter Bauer gesessen hatte, der froh über die Bezahlung gewesen war und auch keine weiteren Fragen gestellt hatte, als er den blutüberströmten Erik gesehen hatte, den Luis und Askan gemeinsam hinten auf den Karren gehievt hatten. Dann waren sie bis zum Sonnenuntergang gereist.
Askan hatte auf der Fahrt geschwiegen und Luis hatte es nicht gewagt ihn anzusprechen. Auch wenn er viele Fragen hatte, die ihm auf der Zunge brannten. Nachdem der Bauer angehalten und Luis und Askan Erik gemeinsam von dem Karren geholt hatten, hatte Askan nur kurz erklärt, dass sie nun in Wagenheim waren.
Wagenheim war kein schöner Ort.
Die Menschen waren ruppig und unfreundlich und an jeder Ecke prügelten sich ständig zwei aneinandergeratene Männer oder Frauen.
Die Straßen waren dreckig und stanken, überall liefen Straßenhunde herum, die nach Essen bettelten und dann, wenn Luis ihnen ein Stück Brot zuwarf, darum kämpften, während ihnen der Geifer am Maul klebte. Luis konnte nicht verstehen, warum Askan unbedingt nach Wagenheim hatte fahren wollen. In Baldrien gab es mit Sicherheit schönere Orte als dieses stinkende Loch und Erik hätte mit Sicherheit auch an anderen Orten geheilt werden können.
Askan hatte am ersten Abend ein Zimmer für sie gemietet, in einem Gasthaus, mit dem Namen „Zum kleinen Falken", welches sich, wie sich herausgestellt hatte, im Besitz einer alten Freundin von Askan befand. Das Gasthaus gefiel Luis, im Vergleich zum Rest von Wagenheim, sehr gut. Er bekam dreimal täglich eine ordentliche Mahlzeit und fühlte sich zum ersten Mal, seit er in Baldrien war gesättigt. Die Betten waren gemütlich und er hatte sich endlich gründlich waschen können und saubere Kleidung bekommen. Luis fühlte sich deshalb ein wenig schuldig, weil er nicht wusste, wie es Ben ergangen war und weil er das Gefühl hatte, nur untätig herumzusitzen und sich gewaschen und sauber den Bauch vollzuschlagen, während sich sein Freund vielleicht in großer Gefahr befand. Askan hatte ihm zwar versichert, dass er auf der Suche nach Ben nicht weit kommen würde, doch Luis konnte die Schuldgefühle nicht abschütteln. Zwei Tagen waren nun vergangen, seit sie in Wagenheim angekommen waren und Luis fühlte sich elend. Askan war die meiste Zeit verschwunden, da Erik am ersten Abend von der Besitzerin des Gasthauses, Margie und ihrem Mann Jorgen in ein geheimes Hinterzimmer gebracht worden war, zu dem Luis keinen Zutritt hatte.
An dem Morgen des dritten Tages saß Luis allein zum Frühstück auf einer Sitzbank in einer kleinen Nische. Er beobachtete die Leute, die es sich in der Gaststube, die der einzige beheizte Raum des Gasthauses war, gemütlich gemacht hatten. Es waren hauptsächlich Trinker. Die Gaststube war nur spärlich beleuchtet, da die Fenster zu klein waren, um viel Tageslicht hereinzulassen. Das schwere, dunkle Holz der Tische und Stühle, nahm dem Raum den letzten Rest von Helligkeit, doch Luis mochte es. Dadurch fühlte er sich unbeobachtet. Er war sich ziemlich sicher, dass keiner der anwesenden Trinker in den letzten Tagen Notiz von ihm genommen hatte.
„Was kann ich dir bringen, Schätzchen?", fragte Margie, die gerade an Luis Tisch erschienen war und ihn aus seinen Überlegungen riss.
„Nur etwas Brot und Butter, bitte", antwortete Luis. Margie nickte kurz und machte Anstalten zu gehen, als Luis, etwas lauter als er beabsichtigt hatte, nach Erik fragte.
Margie beugte sich zu ihm herunter und senkte ihre Stimme auf einen Flüsterton. „Sei vorsichtig, Junge!", flüsterte sie. „Du kannst in Baldrien niemals wissen, wer dir gerade zuhört!". Danach drehte sie sich um und verschwand hinter der Theke. Luis war sich nicht sicher, ob er Margie mochte. Sie war eine große, schwarzhaarige Frau mit harten Gesichtszügen. Ihr Mann Jorgen war dick und glatzköpfig und einige Zentimeter kleiner als seine Frau. Luis mochte es nicht, dass er von den Beiden wie ein kleines Kind behandelt wurde.
Sie redeten nicht viel mit ihm.
Niemand redete mit ihm.
Am meisten war er enttäuscht von Askan. Luis hatte angenommen, dass Askan und er in den letzten Tagen so etwas wie Freunde geworden waren.
Nach ein paar Minuten kam Margie zurück und stellte Luis das bestellte Brot und die Butter kommentarlos vor ihn auf den Tisch.
Luis murmelte ein „Dankeschön" und blickte Margie hinterher, bis sie wieder hinter der Theke verschwunden war.
Er griff nach dem Brot, bestrich es mit der Butter und biss lustlos hinein.
Er seufzte.
Wie hatte all das nur geschehen können? Vor ein paar Tagen noch, war Luis ein unbeschwerter Junge gewesen, der mit seinem besten Freund nichts weiter als ein kleines Abenteuer hatte erleben wollen.
Nun steckte er tatsächlich in einem Abenteuer fest, das mehr als gefährlich war und am Ende Ben oder ihm das Leben kosten könnte.
Luis wünschte sich in diesem Moment sehnlichst, dass sein Großvater bei ihm wäre. Theo hätte gewusst was zu tun wäre.
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Chroniken der Hexer I
FantasyLuis Freymann ist eigentlich ein ganz normaler Junge, der mit seiner Mutter Diane und seinem Großvater Theo in dem ruhigen Ort Falkenstein lebt. An seinem dreizehnten Geburtstag begibt er sich gemeinsam mit seinem besten Freund Ben in das alte und v...