Am nächsten Morgen hatten sie ihr Lager abgebrochen und den Wald verlassen. Nun wanderten sie schon seit Stunden auf einem Feldweg gen Ensgard. Da Luis und Ben keine Gefangenen waren und sich frei bewegen konnten, hatten sie den drei Männern etwas von ihrer Last abgenommen und sich jeweils zwei schwere Säcke über die Schultern geworfen. Sie liefen mit ein paar Metern Abstand hinter ihnen.
Luis hatte in der letzten Nacht nicht besonders gut geschlafen und dem Aussehen von Ben nach zu urteilen, war es ihm genauso ergangen.
Luis plagten die Gedanken an seine Familie. Er fragte sich wie es Diane und Theo ging. Hilda weinte bestimmt sehr viel. Er wusste, dass sie sich fürchterliche Sorgen um ihn machten und er wünschte, dass er die Möglichkeit hätte ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen.
Andererseits hatte er viel über Baldrien nachgedacht und über Eskil, Askan und Erik. Nachdem er die Geschichte von Thewes gehört hatte, vertraute er ihnen. In seinen Augen waren sie Helden. Sie bekämpften Amon und Ragnar und beschützten die Schwachen und Wehrlosen. Er wünschte, er könnte ihnen irgendwie helfen. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
„Wir sollten ihnen erzählen, was im Waisenhaus passiert ist", sagte Luis und blickte neben sich zu Ben, der eine Hand an die Stirn hielt, um seine Augen vor der Sonne abzuschirmen.
„Ja. Ich denke auch", stimmte Ben ihm zu.
„Vielleicht können wir ihnen damit helfen" antwortete Luis. Er wankte etwas unter dem Gewicht des schweren Gepäcks und fiel ein wenig zurück. Ben passte sich seiner Geschwindigkeit an.
Sie schwiegen wieder.
Die Sonne schien warm und beruhigend auf Luis' Haut. Vögel zwitscherten zwischen den Bäumen und das Gras strahlte in einem hellen, lebendigen Grün. Er dachte an den Garten zu Hause in Falkenstein. Nach dem Tod seines Vaters, hatten Luis, Diane und Theo den Garten verschönert. Es hatte sie damals von ihrer Trauer abgelenkt und der Garten war wirklich schön geworden. Für seinen Vater Stellan hatte Luis damals einen Apfelbaum gepflanzt.
„Ich habe Angst, dass wir niemals wieder nach Hause zurückkehren", gab Luis zu und kickte mit dem Fuß einen kleinen Stein zur Seite.
„Ja", sagte Ben. „Ich auch". Seine Augen leuchteten in dem hellen Grün, das Luis so gut kannte und er sah die Sorge darin. „Ich habe viel über meine Mutter nachgedacht", fuhr Ben fort. „Ich habe Angst, dass sie aufwacht und denkt, dass ich abgehauen bin, so wie mein Vater".
Luis schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. „Das würde sie niemals denken. Sie weiß, wie viel sie dir bedeutet".
Ben griff nach Luis Hand und drückte sie leicht, bevor er sie wieder losließ. „Danke", sagte er.
„Wir müssen diesen Gustel wiederfinden", sagte Luis. „Askan und die anderen helfen uns bestimmt dabei und wenn wir ihn gefunden haben, schickt er uns wieder zurück nach Hause".
Ben nickte, doch Luis konnte die Zweifel sehen, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelten. Sie schwiegen wieder, so lange bis die Sonne irgendwann fast hinter dem Horizont verschwunden war und Askan, Eskil und Erik vorschlugen, eine Pause zu machen.
„Hinter den Bäumen da hinten sind die Stadttore von Ensgard!", verkündete Askan fröhlich und deutete mit dem Finger auf eine Gruppe von Bäumen.
Eskil und Erik setzten sich ein wenig abseits des Weges auf den Boden und bereiteten das Essen vor.
„Gib mal her", sagte Eskil und zeigte auf den Sack, den Luis getragen hatte. Er reichte ihm den schweren Sack ächzend. Eskil nahm ihn mit solch einer Leichtigkeit entgegen, dass Luis, wenn er den Sack nicht zuvor selbst getragen hätte, angenommen hätte, dass er nichts wog.
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Chroniken der Hexer I
FantasiaLuis Freymann ist eigentlich ein ganz normaler Junge, der mit seiner Mutter Diane und seinem Großvater Theo in dem ruhigen Ort Falkenstein lebt. An seinem dreizehnten Geburtstag begibt er sich gemeinsam mit seinem besten Freund Ben in das alte und v...