46. Schon wieder der kleine Quälgeist

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Ben öffnete die Augen. Es vergingen ein paar Sekunden ehe er bemerkte, dass er in seinem eigenen Bett zu Hause in Falkenstein lag. Er setzte sich auf und runzelte fragend die Stirn.

Wie war er hierhergekommen?

War etwa alles nur ein Traum gewesen und es hatte Baldrien niemals gegeben?

„Hallo!", hörte er die zarte Stimme eines kleinen Mädchens. Ben drehte sich zu dem Mädchen um, das genau in der Mitte seines Zimmers auf dem Boden saß. Er verdrehte die Augen. Es war das Mädchen aus dem letzten Traum, den er gehabt hatte. Das Mädchen, welches ihn ständig Misses Beaufort genannt hatte. Wie bei ihrer letzten Begegnung waren ihre Haare schwarz, wild und ungekämmt. Diesmal trug sie ein blaues Kleid.

„Du schon wieder", knurrte er. „Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?".

„Meinst du etwa, mir macht es Spaß hier zu sein in diesem...", sie verzog angeekelt das Gesicht „...Wohnraum?". Das letzte Wort hatte sie so deutlich betont als hätte sie damit sagen wollen, dass genau diese Bezeichnung absolut nicht zu Bens Zimmer passte.

Ben erhob sich und blickte wütend auf das Mädchen herab.

„Dann verschwinde von hier!", rief er aus, während sie nach einem seiner Sportsocken griff und ihn mit zwei Fingern vom Boden aufklaubte. Sie roch vorsichtig daran, gab ein lautes Würgegeräusch von sich und warf die Socke so abrupt durch den Raum, dass sie auf Bens Kopf landete.

Das Mädchen kicherte.

Ben griff nach der Socke und ließ sie zurück auf den Boden fallen.

„Was willst du von mir?", fragte er und versuchte seine Stimme diesmal etwas freundlicher klingen zu lassen.

„Ich finde, dass du hier ruhig mal ein wenig sauber machen könntest", erwiderte das Mädchen stattdessen naserümpfend.

Ben stöhnte laut auf. Er würde von ihr keine vernünftige Antwort bekommen. Er hoffte, dass sie es irgendwann aufgeben würde ihn in seinen Träumen zu verfolgen. Sie schien sein persönlicher kleiner Quälgeist zu sein.

„Wie heißt du?", fragte er in dem Versuch, wenigstens eine vernünftige Antwort von ihr zu hören.

„Vika", antwortete das Mädchen zu Bens Erstaunen ernsthaft.

„Okay. Also Vika...", setzte Ben an und überlegte, wie er das was er vorhatte zu sagen, am nettesten formulieren konnte. „... Würde es dir etwas ausmachen, mich einfach in Ruhe zu lassen? Es gibt doch bestimmt auch andere Menschen, die du in ihren Träumen besuchen kannst, oder?". Ben hätte beinahe „Heimsuchen" gesagt.

Vika schüttelte energisch den Kopf.

„Ich mag es hier", antwortete sie bestimmt. Sie stellte sich auf ihre Beine und streckte die Hand nach Ben an. „Komm. Ich möchte dir etwas zeigen".

Ben zögerte. Er wusste, dass dies alles nur ein Traum war. Er hatte in der Vergangenheit schon häufiger Träume gehabt, die sich so real angefühlt hatten. Er zögerte trotzdem.

„Komm schon", bettelte Vika. „Es ist wirklich wichtig!".

Ben gab nach und griff nach ihrer Hand.

Vika machte ein zufriedenes Gesicht und ging auf die verschlossene Zimmertür zu. Ben folgte ihr. Sie griff nach der Klinke, drückte sie herunter und öffnete die Tür.

„Hab keine Angst", beruhigte ihn das Mädchen und trat durch die Tür.

„Ich habe keine Angst", knurrte Ben genervt, während er ebenfalls durch die Tür trat.

Stille.

Ben blinzelte ein paar Mal mit den Augen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er wusste nicht an welchem Ort sie waren, doch es war kalt. Sehr kalt und still.

„Wo sind wir?", fragte Ben. Vika blickte zu ihm herauf.

„Wir sind in dem Totenreich Ishalhat", erklärte sie.

Ben hatte noch niemals davon gehört, aber das Wort „Totenreich" jagte ihm einen Schauer über den Rücken, denn genau danach sah dieser Ort aus.

„Es ist deine Verletzung. Deswegen bist du hier", erklärte Vika und deutete dabei mit ihrer freien Hand auf Bens Arm.

Ben blickte auf die Verbrennung hinab und runzelte die Stirn.

„Ich werde also sterben?", fragte er.

Vika lächelte leicht und schüttelte den Kopf. Sie hob ihre freie Hand erneut und deutete mit dem Finger auf die Silhouette einer Person, die sich ihnen näherte.

Ben kniff die Augen ein wenig zusammen, in der Hoffnung die Person in der Dunkelheit des Totenreichs erkennen zu können. Er keuchte erschrocken auf, als er den vertrauten braunen Haarschopf und die schmächtige Statur seines besten Freundes erkannte.

„Luis!", rief er aus.

Chroniken der Hexer IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt