36. Eine alte Freundin

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Erik schlenderte über den Platz. Er konnte nicht behaupten, dass er die Nohorar vermisst hatte, aber er fühlte sich bei ihnen doch einigermaßen wohl und sicher. Ihm war nur allzu bewusst wie angespannt er in den letzten Tagen gewesen war. Die ständigen Kämpfe und Verletzungen hatten ihm ziemlich stark zugesetzt. Er sehnte sich nach Ruhe und Entspannung.

An einer der vielen Feuerstellen entdeckte er eine alte Bekannte.

Er lächelte.

Er hatte gehofft sie hier zu finden.

Er trat näher.

„Sieh mal einer an!", verkündete Romina fröhlich und stand von dem Platz auf, an dem sie gesessen hatte. „Aus welchem Käfig haben sie dich denn herausgelassen?".

Erik lachte knurrend. Er trat auf sie zu und schloss sie fest in die Arme.

„Wie geht es dir?", fragte er.

„Ich kann nicht klagen", antwortete sie. „Und du? Spielst du immer noch das Schoßhündchen für Askan?".

Sie knuffte ihn leicht in die Seite.

„Das musst du gerade sagen!", gab er zurück. „Spionierst du für die Nohorar noch immer Amons Leute aus?".

Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist ein erträgliches Geschäft. Aber bitte setz dich doch zu mir!".

Sie deutete auf einen Platz an der Feuerstelle der noch frei war.

Erik setzte sich.

Romina war eine alte Freundin. Sie war der erste Askit gewesen, den Erik damals nach seiner ersten Verwandlung in den Wäldern von Hangar getroffen hatte. Er war damals ein junger wilder Wolf von vierzehn Jahren gewesen.

Seine Familie hatte er verlassen und jeden Tag um sein Überleben gekämpft. Ganz auf sich allein gestellt.

Dann hatte er Romina getroffen, die selbst noch sehr jung, dafür aber nicht allein gewesen war. Sie hatte kurz nach ihrer ersten Verwandlung in eine Katze, ihre Freundin Levina kennengelernt, die ihr alles beigebracht hatte, was sie wusste. Sie waren ein Paar.

Romina wiederum hatte Erik alles beigebracht, was sie wusste und Erik war ihr dafür auf ewig dankbar.

Er wusste nicht, was aus ihm geworden wäre, wenn er damals weiter auf sich allein gestellt gewesen wäre. Kurz danach hatte er Askan kennengelernt, der ihm Thewes vorgestellt hatte und der erste Mensch gewesen war, der ihm ein zu Hause geboten hatte.

Askan war sein bester Freund.

Erik würde sein Leben für ihn geben.

„Was hat dich in den Wald der Ruhelosen verschlagen?", fragte Romina interessiert. Über der Feuerstelle hing ein totes Huhn, das vor sich hin briet.

Erik zuckte mit den Schultern und starrte auf das Huhn.

Romina lachte auf.

„Immer noch so verfressen wie damals, was?".

„Ich weiß nicht genau, warum wir hier sind", erklärte Erik, ohne weiter auf Rominas Bemerkung einzugehen.

Romina seufzte.

„Also hält Askan dich auch nach all den Jahren noch aus allem raus".

Erik ging nicht darauf ein.

Er wusste, dass Askan ein Geheimniskrämer war und nicht gerne über seine Pläne und Beweggründe sprach. Andererseits hatte Askan sich auch immer aus seinen Belangen rausgehalten, wofür Erik wiederum ihm sehr dankbar war.

Er wollte von Askan ablenken.

„Wie geht es Levina?", fragte er.

Romina ließ den Kopf sinken, sodass ihr die feuerroten Haare über die Schultern fielen und ihr Gesicht verdeckten.

„Sie ist tot", antwortete sie.

„Was ist passiert?", fragte Erik. Er hatte Levina gemocht. Mit ihr hatte man immer viel Spaß gehabt und sie war in der dunklen, trostlosen Welt von Baldrien eine lebensfrohe, stets gut gelaunte Zeitgenossin gewesen.

Romina blickte nun wieder auf.

Ihre grünen Augen waren mit Tränen gefüllt.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Sie ist aufgeflogen. Wir waren vor zwei Monaten in Ensgard, als plötzlich einem der Offiziere aufgefallen ist, dass ihnen jeden Tag derselbe Hund folgte. Also haben sie Levina als Askiten enttarnt und getötet. Ich hatte Glück und konnte fliehen".

Erik legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Das tut mir leid", sagte er. „Levina war ein toller Mensch".

Romina schniefte. „Ja das war sie, Erik! Ich vermisse sie jeden Tag".

Erik starrte ins Feuer.

Der Krieg war schrecklich.

Die vielen Menschen, die seit dem Beginn des Krieges ihr Leben hatten lassen müssen, waren unzählbar geworden. Erik konnte sich nicht daran erinnern, wann der Zeitpunkt gekommen war, an dem er nichts mehr gefühlt hatte, wenn ihn die Nachricht eines neuen Toten erreichte. Er war leer und ausgelaugt.

Zu viele Jahre waren vergangen, seit er sich lebendig und frei gefühlt hatte. Er fragte sich, ob er überhaupt noch in der Lage war, jemals ein normales Leben führen zu können, selbst wenn der Krieg irgendwann vorbei war. Oder wäre er bis dahin bereits Tod? Wäre auch er einer der vielen unzähligen Menschen, die ihr lassen würden, für Thewes?

Er wusste es nicht.

„Deswegen bin ich auf der Durchreise", erklärte Romina nun. „Ich weiß nun welcher General sie enttarnt hat und werde mich an ihm rächen!". In ihrer Stimme klang Bitterkeit mit und etwas anderes, das Erik sofort erkannte. Gleichgültigkeit.

Das hatte er schon häufig erlebt.

Den General zu töten, der Levina getötet hatte, war nun Rominas höchstes Ziel. Wenn sie den General getötet hatte, würde sie sich selbst aufgeben. Das wusste Erik.

Sie hatte ihren Lebenswillen verloren und war gleichgültig geworden.

Er zuckte mit den Schultern.

„Hast du einen Namen?", fragte er. „Vielleicht kann ich dir behilflich sein?".

Romina kniff die Augen zusammen und ihr Blick glitt in die Ferne. Sie nickte.

„Es war der General von Ensgard", sagte sie und Erik, der schon ahnte welcher Name nun folgen würde, hätte sich am liebsten auf der Stelle selbst geohrfeigt.

„Sein Name ist Caio", sagte Romina und bestätigte damit Eriks schlimmste Befürchtungen.

Chroniken der Hexer IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt