„Würdest du mir einen großen Gefallen tun und dich wieder zurückverwandeln?! Wenn du in dieser Gestalt bist, kann man ja kein vernünftiges Wort mit dir wechseln!", sagte Utz genervt. Der Wolf antwortete ihm mit einem lauten Knurren.
„Nun mach schon!", rief Utz. „Wir müssen den Eingang zu Ishalhat finden".
Der Wolf verdrehte seine großen gelben Augen und verschwand mit einem Satz hinter einen riesigen Busch.
Utz wartete.
„Hast du meine Klamotten dabei?", ertönte ein paar Minuten später eine raue Männerstimme aus ebendiesem Busch. Statt einer Antwort holte Utz einen kleinen Kleiderbündel unter seinem Umhang hervor und warf ihn hinter den Busch.
„Oh ja! Schon viel besser!", hörte Utz den Mann kurz danach sagen. Der Mann kam hinter dem Busch hervor.
Er hatte einen Vollbart, lange Haare und eine große Narbe im Gesicht, die sich von seinem linken Auge herunter bis zu seiner Oberlippe zog. Er war riesengroß und muskulös.
„Solltest du dich nicht auch besser zurückverwandeln, Askan?", fragte der Mann nun belustigt.
Utz blickte erschrocken an sich hinab.
„Hoppala!", rief er. „Ich habe mich schon so an den kleinen Körper gewöhnt".
Er grinste breit und klatschte zwei Mal in seine Hände. Sofort wuchs der kleine Körper und wurde breiter.
Das Gesicht und die Haare des Jungen veränderten sich. Statt seiner, stand dort nun ein großer, schlanker Mann. Er hatte kurze, rabenschwarze Haare und große dunkle Augen. Er trug ein einfaches Hemd ohne Ärmel.
Als er den anderen Mann breit angrinste breiteten sich auf seinem Gesicht tiefe Lachfalten aus, die bis hinauf zu seinen Augen reichten.
„Erik, mein Freund!", sagte er nun. „Es ist angenehmer, wenn du wieder in menschlicher Gestalt bist. In dieser Wolfsgestalt stinkst du wie ein dreckiger Köter!". Der andere Mann, Erik, gab ein leises Knurren von sich.
„Wenigstens schlage ich keine kleinen Kinder bewusstlos", antwortete er, nahm Askan die Laterne aus der Hand und lief weiter.
Askan folgte ihm.
„Wovon redest du?", fragte er. „Warte... Meinst du Utz?... Fürchterlicher Name! Für diesen Namen hätte man seine Eltern bewusstlos schlagen müssen! Ich kannte mal eine Hexe, nette Dame. Sie lebte hier in Hangar. Ich glaube sie hatte eine Kröte, die Utz hieß".
Erik schnaubte.
„Lenk' jetzt nicht vom Thema ab! Du hättest dich doch auch einfach in irgendeinen alten Bauern verwandeln können. Mit dieser Tarnung hätte dich niemand erkannt".
Askan neigte den Kopf ein wenig zur Seite und kniff die Augen zusammen.
„Oder hieß sie Wutz?... oder Lutz?... Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern!". Erik warf ihm einen wütenden Blick zu. Askan hob beschwichtigend die Hände und lächelte.
„Es tut mir leid, Erik! Dieser kleine Tölpel stand ganz allein draußen herum. Da musste ich die Gelegenheit ergreifen. Außerdem solltest du mir etwas mehr Dankbarkeit erweisen. Ich musste den alten Bauern bespaßen, während du mit deiner hübschen kleinen Schwester einen Tee trinken konntest!".
Erik streckte die Hand aus und schlug ein paar Äste beiseite.
„Rede nicht so von ihm. Er ist immerhin mein Vater!".
Askan schnaubte.
„Ja und was für ein Vater! Rennt in der Gegend herum und erzählt allen von dem großen bösen Werwolf, der seinen Sohn Herold ermordet hat!".
Erik schwieg. Askan stöhnte.
„Na, fein! Vielleicht ist er auch gar nicht so übel! Immerhin entsprechen manche seiner Geschichten auch der Wahrheit. Kennst du die Geschichte von dem Hexenmeister, der alle Drachensteine deines Vaters mit einem verhexten Taschenspielertrick abnahm?", fragte er.
Erik nickte. „Lass mich raten!", sagte er knurrend. „Diese Geschichte ist wahr und du warst dieser Hexenmeister?".
Askan lächelte breit und machte eine tiefe Verbeugung. „Stets zu Diensten!".
Erik lachte. „Du benutzt also deine großen Fähigkeiten, um kleinen armen Bauern ihre hart verdienten Drachensteine aus der Tasche zu ziehen?".
Askan schwieg.
Erik blieb stehen.
„Wir sind gleich da! Appolonia gab mir ihr Wort. Sie wird sich darum kümmern, dass wir ungestört bleiben!".
Sie traten auf eine kleine Lichtung, die noch immer zu Wilhelms Grundstück gehörte. Askan deutete mit dem Finger auf eine große Trauerweide, deren Stamm dick robust war. „Das muss der Eingang zu Ishalhat sein!", flüsterte er.
Erik nickte zustimmend. „Was machen wir nun?", fragte er.
Askan zuckte mit den Schultern. „Es bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen", antwortete er.
Die beiden Männer seufzten laut und ließen sich auf den Boden sinken. Die Minuten verstrichen und nichts geschah. Plötzlich hörten sie das Knacken von Ästen und Schritte, die näher kamen.
„Das muss Wilhelm sein!", sagte Askan, der sofort aufgesprungen war. Erik nickte zustimmend.
Auch er war aufgesprungen.
Askan hob die Laterne empor, deren Licht nun den dichten Wald beschien. Sie warteten.
Nach einer Weile trat ein Mann auf die Lichtung, der eindeutig nicht Wilhelm war. Er war riesengroß, hatte muskelbepackte Arme und ein dunkelhäutiges, brutales Gesicht. Seine Haare waren kurzgeschoren. Ihm folgte ein weiterer Mann mit unnatürlich hellen Augen. Er hatte ein weißes Gesicht. Hinter ihm erschien eine kleine, zierliche Frau mit verfilzten braunen Haaren und großen Augen, in der gleichen Farbe. Sie trug einen alten Stofffetzen und sah sehr mitgenommen aus.
Zuletzt trat ein hübscher Junge auf die Lichtung von vielleicht dreizehn Jahren. Er hatte eine dunkle Haut und leuchtend grüne Augen. Seine dunklen Locken standen wirr von seinem Kopf ab.
Theo, der diesen Traum träumte, erkannte ihn sofort. „Ben!", rief er aus.
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Chroniken der Hexer I
FantasíaLuis Freymann ist eigentlich ein ganz normaler Junge, der mit seiner Mutter Diane und seinem Großvater Theo in dem ruhigen Ort Falkenstein lebt. An seinem dreizehnten Geburtstag begibt er sich gemeinsam mit seinem besten Freund Ben in das alte und v...