Raphaels Sicht
„He! Bezahlst du jetzt mal meine Hotels?", Jannis schnippt mit seinen Fingern vor mir herum, hastig blinzele ich und schaue wieder aufs Spielbrett. Stimmt, ich habe eine fünf gewürfelt und stehe auf einem seiner blöden Hotels. Im Grunde ist es überflüssig, dass wir Monopoly spielen – Maze und Jannis machen das Spiel immer zwischen sich aus, während Eden aus Prinzip die drei roten und die drei gelben Künstler- und Dichterstraßen kauft und Marvin eigentlich nur Chips isst und nicht versteht, warum ein Hotel in der Turm- oder Badstraße nichts wert ist. „Jep, sorry", ich verdrehe lachend die Augen und reiche Jannis seine abgezählten Geldscheine, er reicht mir begeistert Rückgeld und zählt erneut sein Papiergeld, um es umzuwechseln. Zufrieden gibt er Maze einen Stapel grüner Scheine und lächelt charmant: „Bank, ich hätte dafür gerne zwei Zehntausender." Unser Zukunftsbanker lacht nur leise, schüttelt seinen Kopf und wechselt ihm tatsächlich das Geld, dann würfelt er selber für den nächsten Zug. „Oh, ist das nicht mein Grundstück?", Marvin schleckt sich seine fettigen Finger ab und kippt beinahe die Bierflasche um. Gerade noch schnappe ich sie mir und stelle ich sie auf dem Boden unseres Balkons ab, der eigentlich schon ganz morsch von den vielen Unfällen und Bierduschen sein müsste. „Nein, das ist mein Bahnhof, du Trottel", Eden seufzt und klaut Marvin Chips, bis sie das Geld ihres Stiefbruders zufrieden an sich reißt und dann mit ihrer Skateboardfigur über Los wandert. „Raph, was kriegst du?", sie schaut mich prüfend an, als ich wieder einen Moment brauche, bis ich reagiere. Hastig schaue ich auf meine Karten und nuschele den Betrag, den sie mir amüsiert reicht. „Wieso habe ich das Gefühl, dass Marvin heute nicht als Einziger keinen Plan hat?", zieht sie mich auf und lässt die Geldscheine nicht los. Schmunzelnd ziehe ich auch daran, Maze zieht scharf die Luft ein, als die abgenutzten Papierscheine einen Riss bekommen. Wir lachen beide nur, selbst Marvin, nur Jannis schaut auch skeptisch. „Bin müde", erwidere ich nur und greife jetzt auch nach den Chips. Sobald ich wieder etwas zwischen den Zähnen habe, bin ich wieder ein wenig wacher. „Ja ja, nächtliche Sommerluft und Bier machen müde", witzelt Jannis und boxt mich gegen den Arm. Auch er wirkt nicht ganz bei der Sache, auch wenn er es besser verbergen kann. In seinem verkrampfen Gesicht zeichnen sich die roten und orangenen Sonnenstrahlen ab, die auf unseren Balkon fallen. Hinter Jannis und Maze geht bereits die Sonne unter und verschwindet hinter den Bergen. Ein Bild, das ich sofort einrahmen würde. Und bei dem ich definitiv nicht an diesen Chatkerl denken muss, nein. „Ha ha. Meine Vorlesungen sind wirklich anstrengend. Bei mir entfällt nicht dauernd etwas wie bei euch", erwidere ich gutgelaunt, wenn auch müde. Und vielleicht ein wenig gedanklich abgelenkt. „Aber trotzdem nutze ich die Zeit", beharrt Jannis und schaut wie zum Beweis auf seine Armbanduhr, die in dem letzten Licht schimmert. Eden zieht ungläubig die Augenbrauen hoch, Maze kichert schon beinahe, so sehr verbirgt er sein Lachen, indem er den Kopf soweit es geht an den Hals presst und sich zur anderen Seite dreht. „Wir sind heute schon wieder durch die Gegend gefahren und haben dieses Mädchen im roten Kleid gesucht! Jannis' ach so heiße Partyflamme", prustet er und versucht, nüchtern und ernst zu schauen, Eden lacht laut auf. Marvin neben mir legt den Kopf schief und scheint nachzudenken: „Heute ist aber schon Mittwoch. Zieht Iasmin nicht am Freitag oder Samstag ein?" „Vielleicht ja auch gar nicht", faucht Jannis sofort und verschränkt die Arme und schnappt sich die Würfel, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er gerade gar nicht dran ist. „Er hat recht. Sie hat es Eden ja sehr deutlich mitgeteilt. Außerdem ziehen die meisten Studenten noch in den Ferien oder am ersten Wochenende ein, diese Deliah von der Party zum Beispiel auch", werfe ich ein und gehe in Deckung, als Jannis die Würfel auf mich werfen will und lacht, als ich auf seine Finte hereinfalle. „Bla bla bla. Können wir jetzt spielen oder wollt ihr über irgendwelche Ex labern? Ich rede ja auch nicht von Maze' lieber Ex, die angefangen hat zu heulen, als sie wusste, dass wir uns alle schon einmal nackt gesehen haben", beendet Jannis die Diskussion, woraufhin Maze rot wird und beteuert, dass die schon seit Jahren Geschichte sei. Um ehrlich zu sein bin ich in dem Fall dankbar, dass das lange her ist, weil ich mich dann nicht so schlecht fühle – und andererseits komme ich mir egoistisch vor, mich zu freuen, dass wir alle entweder lange keine Beziehungen mehr oder noch gar keine hatten. Letzteres trifft unter anderem auf mich zu – dabei lag es nie an mir, ich hätte gerne eine Beziehung mit einem süßen Typen gehabt, aber irgendwie hat es sich nie ergeben. Zu oft waren sie nicht geoutet, es war „nur eine Phase" (wer es glaubt) oder sie waren zu skeptisch, weil wir zu fünft so eng befreundet sind. „Okay. Wer ist dran? Ist nicht Raph dran?", räuspert Maze sich und will mir die Würfel zuschieben, da greift Marvin bereits danach: „Nein, ich!" „Sicher? Irgendwie stimmt die Reihenfolge nicht mehr", Eden legt den Kopf schräg und streicht sich mit ihren langen roten Haarsträhnen übers Kinn, als würde sie über einen tieferen Sinn nachdenken; vielleicht ist sie in Gedanken aber auch einfach nur bei einem neuen Drehbuch, an dem sie arbeiten will. „Ach, ist schon okay. Hey, vielleicht komme ich gleich ins Gefängnis, dann kann ich immerhin nicht pleitegehen", schmunzele ich und beobachte mit schweren Augenlidern, wie Marvin etliche Minuten für seine Züge braucht, weil er sich erst bei den Schritten verzählt und dann mehrere Pasche würfelt. Als ich endlich dran bin, gähne ich, während ich wieder würfele und mich tatsächlich ins Gefängnis begeben darf. „Seit wann hast du Glück?", fragt Marvin mich sofort mit vollem Mund, ich lache und zucke mit den Schultern. Gute Frage. „Ist das nicht eher Pech?", vergewissert Maze sich und nickt auf den erbärmlichen Haufen Geld auf meiner Tischseite. Seufzend schiebe ich mich vom Stuhl und kontrolliere unauffällig, ob ich mein Handy in der Hosentasche meiner Shorts spüre. Erst dann quetsche ich mich zwischen den Stühlen und der Hauswand entlang nach drinnen: „Kein Plan, vermutlich Glück im Pech? Ich gehe jetzt erst mal aufs Klo, ich werde den Knast die nächsten drei Runden sowieso nicht verlassen." Mit diesen Worten knöpfe ich das Mückennetz auf und klette es hinter mir wieder ordentlich zu, während Marvin mir leidende Blicke zuwirft. „Nein, komm wieder her! Sonst verliere ich als Erster! Raaaph!", ruft er mir nach, ich lache und husche weiter in die Wohnung. Auf dem Weg trinke ich noch einen großen Schluck Wasser – wer weiß, vielleicht muss ich ja wirklich noch – und gehe dann in das untere Bad. Vermutlich wäre es klüger, nach oben zu gehen, weil ich dann länger brauche, bis ich wieder mitspielen kann. Andererseits ist es traurig, dass ich überhaupt über so eine Taktik nachdenke; das Spiel macht mir immer Spaß, auch wenn es nicht ganz mein Ding ist, und ich liebe es, Zeit mit den anderen zu verbringen. Vor allem tut es uns gut, dass wir heute mal wieder alleine einen ruhigen Abend machen. Mit dem Vorsatz, nur schnell nachzuschauen, ob mir überhaupt jemand geschrieben hat, entsperre ich mein Handy und öffne Instagram. Just in dem Augenblick leuchtet das Nachrichtensymbol auf. Ohne weiter nachzudenken öffne ich sofort den Chat.
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Repressed Colours (Band 1)
RomanceBunt und düster. Warm und kalt. Frei und wild. Treu und loyal. Raphael und Gabriel. (Band 1) Unterschiedlicher könnten ihre Welten nicht sein und doch vermischen sie sich: online und im realen Leben. Das bunte Quintett der besten Freunde Raphael, Ma...