Kapitel zweiundvierzig

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Raphaels Sicht 

Ein lautes Klingeln reißt mich aus dem Schlaf. Erschrocken schlage ich die Augen auf und schiele auf den Wecker auf meinem Nachttisch: neun Uhr. Shit. Wer auch immer das ist, ist leider nicht lebensmüde, sondern relativ normal. Seufzend klettere ich aus meinem warmen Bett und fasse mir stöhnend an den drückenden Kopf, während ich schnell eine Jogginghose und ein T-Shirt überziehe, bevor ich zur Tür stolpere. Zu meinem Pech falle ich noch fast über den Bilderrahmen am Boden, bevor ich hastig die Tür öffne und ein freundliches, attraktives Gesicht schaue. Mein Vermieter grinst breit und seine blau-grünen Augen leuchten freundlich. „Oh mein Gott, hi, habe ich irgendeinen Termin vergessen? Sorry!", ich fahre mir durch die wirren Haare und schiebe unauffällig mit dem Fuß das Bild von Gabriel weiter weg. Shit, ihn habe ich total vergesse! Ich habe ihn hier wirklich schlafen lassen? Wirklich? Mit klopfendem Herzen will ich eigentlich nachsehen, doch ich wage keinen Blick nach links ins Wohnzimmer, sondern lächele meinen Vermieter an. Theo lächelt zurück und schaut auf seine Uhr, ehe er schnell die Hände in den Hosentaschen vergräbt und mir dann einen Schlüsselanhänger reicht. „Nein, nein, alles gut, Raph. Ich wollte nur kurz vorbeischauen und dir zu deinem Abschluss gratulieren. Ich glaube, die Verleihung war gestern?", er lächelt verschmitzt und tritt von einem Bein aufs andere, ich schaue hoffentlich nicht zu erstaunt und räuspere mich. „Oh, äh ja. Die war gestern, ich wusste nicht, dass du gerne dabei gewesen wärst?", ich lache verlegen und werfe nun doch einen Blick ins Wohnzimmer, in dem ich Gabriels Zeug sehe, aber ihn nicht. „Oh, doch, schon. Na ja, ich bin sicher, du hast mit deinen Freunden gefeiert. Ich bin ja ein totaler Fan von ihnen, das war echt nett, wie sie dir hier beim Aufbau geholfen haben", er schmunzelt und zeigt seine Grübchen, ich bleibe unschlüssig in der Tür stehen. „Ich ... ja. Ja, sie sind toll. Willst du –", werde ich nicht fertig, da nickt Theo bereits. „Auf einen Kaffee reinkommen? Gerne, wenn es dich nicht stört. Also dein verschlafener Look stört mich jedenfalls nicht, ich kann's verstehen. Ich hoffe, ich bin nicht zu schick für dich", er lacht verlegen und zupft an seinem Polohemd herum, bevor er reinkommt, ich trete nervös zurück und lächele ihn überfordert an. Wie selbstverständlich läuft Theo in die Küche beziehungsweise ins Wohnzimmer – aber er war auch schon oft hier drinnen, auch öfter abends, um kurz etwas zu bringen, mir seine Hilfe beim Umzug anzubieten (die ich nicht gebraucht habe) oder einfach mit mir etwas zu trinken. In dem Zusammenhang kam er auch darauf, dass es nett wäre, würden wir uns duzen – und sogar essen gehen. Er ist süß, definitiv, aber so wirklich bin ich noch nicht für etwas Neues voller Emotionen bereit; für die paar Flirts mit ihm schon. Nur ist das jetzt schlagartig anders, seit ich Gabriel gestern, heute, Nacht wiedergesehen habe. Diese Grübchen und die süßen Augen an Theo sind jetzt nicht mal mehr attraktiv, sondern im Grunde gar nicht existent, so eine dumme Wirkung hat Gabriel auf mich. Als könnte ich mich jetzt noch von Theo angezogen fühlen, wenn ich gestern wieder diese enorme Kraft von Gabriel gespürt habe. Nein, nein, nein. Er hat diese ganzen Frauen gefickt und es mir geschickt. Er hat sie gefickt und ich kenne jede Detail. Jedes Detail, einfach an die Details denken, dann ist mir schlecht. „Oh, du hast Besuch?", Theo schaut verlegen auf das Sofa, ich lache auf und schaue überfordert. Hastig laufe ich zur Küchennische und mache die Kaffeemaschine an, um Zeit zu gewinnen. „Ich – ja, ein ... ein alter Bekannter ist in einer miesen Situation und hat einen Schlafplatz gebraucht", erwidere ich unverbindlich, Theo nickt und lächelt. „Und wie ich dich kenne, konntest du nicht anders. Du bist echt so aufopferungsvoll und lieb, Raph", er schmunzelt und kommt zu mir, um mir den Anhänger zu geben. Ein komischer Schlüssel, bei dem ich beinahe die Stirn runzele. „Na ja, damit du nicht gleich umziehst, um näher an deiner Praxis zu wohnen. Und halt die typischen Bedeutungen für einen Schlüssel", fügt er rot hinzu und lächelt, ich erstarre. Shit, so war das nicht  geplant. „Wow, das ist –", suche ich fieberhaft nach Worten und starre auf den Kaffee, der in die Tasse läuft, als wir beide Schritte hören. Nicht das auch noch. Verdammt, warum war ich in der Nacht so unfassbar dumm? „Oh mein Gott", haucht Theo und schaut mich groß an – da muss selbst ich sagen, dass das jetzt das wäre, was Gabriel Klischee-schwul nennt. Bitte tut er es nicht! Dann bringe ich ihn um. Gott, hoffentlich reißt er sich zusammen. „Hä? Stör ich oder was?", höre ich seine verschlafene Stimme. Seufzend drehe ich mich um und will ihn anschnauzen, als ich mich an meiner eigenen Spucke verschlucke. Nicht wegen des Anblicks, der ist zwar heiß, aber ich kenne ihn, sondern weil er das macht. Weil er wirklich Oberkörper frei und nur mit einem hellen Handtuch um die Hüfte gebunden hier im Wohnzimmer steht. All seine Tattoos und Narben sind entblößt, seine Hände ballen sich zu Fäusten und eine dunkle Falte legt sich auf seine Stirn. Hat er das etwa meinetwegen gemacht? Er muss sich ja irgendetwas gedacht haben, als er so aus dem Bad kam. Gott, wieso? Meinte er das gestern so, wie ich es wahrgenommen habe? War das kein böser, verführerischer Traum, indem ich mir naiver und dummer Weise eingebildet habe, dass er noch immer Gefühle für mich hat? Nicht, dass das etwas ändern würde. Er hat mich verletzt und hat sich wie der letzte Wichser verhalten. „Nein! Öhm ... Theo, das ist Gabriel, äh Gab; Gab, das ist Theo, mein Vermieter", betone ich und räume schnell den Anhänger unauffällig beiseite, Theo zieht die Augenbrauen hoch. „Vermieter? Oh fuck, gibt's ein Problem, dass ich hier wohne?", Gabriel verschränkt die Arme vor der Brust und obwohl es so selbstbewusst wirkt, spüre ich, wie unsicher er ist und am liebsten die Narben verbergen würde. „Wohne?", Theo hebt die Stimme und schaut mich an, ich klappe den Mund auf und wieder zu. „Ne, nur ne Nacht, keine Sorge. Ich suche mir noch etwas, bin nachher weg", knurrt Gabriel und kommt mir näher, ich rücke ganz automatisch an ihn ran und von Theo ab, was mich ärgert. Ich sollte auf der anderen Seite stehen, definitiv. „Ach, also meinetwegen kannst du hier auch vorübergehend wohnen. Also da mach ich dir gar keine Probleme, Raph kennt dich ja und weiß, wen er hier wohnen lässt", flötet Theo und zwinkert Gabriel zu, der sich anspannt und mir Blicke zuwirft. Was?! So war das nicht geplant. „Ich denke nicht, dass er das will, aber danke", Gabriel presst die Lippen zusammen und schiebt sich komisch an Theo vorbei, sodass dieser seinen Rücken nicht sieht, nur ich. Schluckend starre ich kurz auf die Narben und Gürtelspuren, dann wende ich mich ab und beobachte nur aus dem Augenwinkel, wie Gabriel in ein T-Shirt schlüpft und sich durch die nassen blonden Locken fährt. „Gott, er ist ja heiß", raunt Theo mir zu und lacht leise, während er mich anschaut. „Nicht nur er", fügt er leise hinzu und schaut nervös. Bisher hat er mir nicht direkt kommuniziert, dass er schwul ist, aber es ist auch mehr als eindeutig. Dass ich es bin, hat er entweder gespürt oder gemerkt, als wir uns mit Eden, Maze, Marvin und Jannis im Schlepptau auf dem CSD begegnet sind, wo ich definitiv die Pride- und die Gay-Flagge auf die Wangen gemalt hatte – wie die meisten dort, jedenfalls ihre individuelle. Als ich nicht antworte, flüster er einfach weiter: „Schade, dass er hetero ist ..." „Hmmm", mache ich nur und blinzele. Was hat er gerade gesagt? „Du nicht, oder? Oh Gott, du bist doch auch ...", deutet Theo an, ich nicke hastig und schüttele dann den Kopf. Super, ganz super. „Äh ja, ich bin schwul. Oh, ich war gerade nur – sorry", ich grinse ihn an und halte ihm schnell seine Kaffeetasse hin. Extra mit Karamell, wie er sie immer trinkt. Er lächelt, wahrscheinlich weil ich das noch weiß und erzählt etwas, bei dem ich ihm nicht wirklich zuhöre. Es tut mir leid, aber immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich zu Gabriel schiele, der auf dem Sofa sitzt und wild am Handy tippt. Wie angestrengt er guckt, was für eine Abwehrhaltung von ihm ausgeht und wie er leise flucht, bis Theo leise lacht und mich an der Hand in Richtung Tür zieht. Nervös folge ich ihm und lächele ihn aufgeschlossen an. „Ich glaube, ich gehe besser. Dein Vielleicht-Mitbewohner scheint einen miesen Tag zu haben. Vielleicht solltest du dich um ihn kümmern. Nicht, dass ich dir so etwas vorschreiben will oder dir Ratschläge geben kann, ich möchte dich nur nicht abhalten ...", stottert Theo und kommt mir näher, ich stolpere hastig zurück. „Ja! Ich meine, ja, ich weiß, was du sagen willst. Das ist sehr süß von dir. Und auch noch einmal danke für den Anhänger. Das war sehr aufmerksam", ich grinse und Theo nickt und beißt sich auf die Lippen. Gott, es wäre so einfach, mich daran zu erinnern, dass ich ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen hatte, als wir uns bei unseren letzten Treffen zufällig berührt hatten und wie sehr ich den anderen vorgeschwärmt habe, dass er mir das Du angeboten hat. Aber selbst dieses kleine Flattern in meiner Brust ist nicht mehr da, wenn Gabriel sich ein paar Meter entfernt von mir befindet. „Hey, ich möchte mich auf jeden Fall revanchieren. Sorry, dass das heute Morgen auch alles so spontan und unaufgeräumt ist. Wir sollten die Tage essen gehen, wenn du Zeit hast", ich lächele ihn an und entlocke ihm ein Strahlen. Und dir sagen, dass das nichts wird. Mann, es tut mir unfassbar leid, ihm das jetzt nicht jetzt sagen zu können, aber es wäre zu unfair. Und ich weiß, wie es ist, so zu strahlen und dann hart zu fallen. „Klar! Unfassbar gerne! Schickst du mir die Adresse von einem Restaurant?", er umarmt mich unbeholfen und wir verabschieden uns noch – ohne Kuss, zum Glück – und ich schließe erleichtert die Tür hinter mir. Immerhin eins von zwei Problemen gelöst. „Du willst dich von so einem flachlegen lassen?", Gabriel schaut von seinem Handy auf und schnappt sich dann endlich eine Hose, die er sich statt des Handtuchs anzieht. Vor mir. Danke. Mit trockenem Mund schaue ich auf seine Hüfte, was für einen Kontrast die helle Boxershorts zu seiner braun gebrannten Haut bildet und wie ausgebeult sie ist, als ich nicht mehr seinen harten Hintern sehe, sondern ihn von vorne. Verdammt, er hat mit den vielen Frauen geschlafen. Nach unserem Kuss. Einfach daran denken, einfach daran denken und nicht auf seinen Schwanz schauen, geschweige denn auf seinen (leider) verdeckten Oberkörper. „Nein, möchte ich nicht", ich löse mich schnell von dem Anblick und gehe in die Küche, um noch eine Tasse zu holen. „Hm, dann willst du ihn flachlegen?", hakt Gabriel weiter nach, ich lache auf und drehe mich um. „Was ist eigentlich los, Gabriel?", ich verenge die Augen und knalle ihm eine Tasse Kaffee auf den Esstisch, er schnaubt und fährt sich durch die Locken. „Alter! Du hast mich voll mit zum Objekt gemacht! Und dann noch so richtig schwul mit ihm darüber geredet, dass ich heiß und hetero wäre", er verpasst meinen Stühlen einen Tritt und ich werfe ihn mit dem Geschirrtuch ab. „Kein Grund, meine Sachen kaputtzumachen! Und was ist jetzt dein Problem? Dass du zum Objekt wurdest? Im Ernst? Du hast fünfundzwanzig Jahre lang Frauen zu Objekten gemacht, da kommt der Wandel ziemlich spät. Und du weißt, dass ich schwul bin. Wow, dann habe ich –", rege ich mich auf, da stützt Gabriel sich schwer atmend auf dem Tisch ab und umklammert die Tasse, die ich ihm hingestellt habe. „Nein! Dass du denkst, ich wäre hetero! Ich bin bi. Fuck, ich bin bi. Gott, ich bin bi", er nimmt schnell einen kräftigen Schluck aus der einzig dunklen Tasse, die ich habe, und verschluckt sich an dem heißen Gebräu. „Du bist bi?", ich blinzele ihn an. Einerseits war es mir klar, andererseits war es nicht so, als hätte er je Signale gesetzt, dass er dazu stehen würde oder diese Seite in sich zum Vorschein kommen lassen würde. Bis auf das Ich liebe dich, das zwischen uns in der Luft hängt. „Ja, was denkst du denn?", faucht er mich an und hustet noch immer, ich muss mir ein Grinsen verkneifen. „Lach nicht", grunzt er sofort und zeigt auf mich, ich lache und beiße mir auf die Lippen. „Du hast nicht mal sehen können, dass ich lachen musste!", verteidige ich mich, er schnaubt. „Ich kenne dich halt. Und ich hoffe, dass du nicht lachst, weil ich ... Gott, fuck, ich hab das echt gesagt", flucht er und trinkt schnell wieder etwas, ich nicke langsam. „Wundert mich auch, aber hast du gesagt", bestätige ich ihn und halte die Luft an. Gabriel schluckt nur hörbar laut seinen Kaffee runter und schaut sich um, nur nicht mich an. „Ist ja auch egal, ich muss es irgendwie Patrick und Felix sagen. Fuck, ich muss denen sagen, dass ich etwas bin, von dem ich es nicht mal ausprobiert habe", er fährt sich übers Gesicht und stellt mir dann seine leere Tasse auf die Arbeitsplatte, ich greife automatisch nach seiner Hand. Sofort bleibt er stehen und sieht mich intensiv an. „Was? Raphael, ich sollte gehen", murmelt er und lässt meine Finger nicht los, sondern zerdrückt sie beinahe und rammt mir damit seine Ringe in die Haut. „Nein, das ist es ja. Wohin? Wohin willst du?", ich schaue ihn fassungslos an, Gabriel schluckt. „Ich finde schon etwas. Notfalls gehe ich in ein Puff, die brauchen bestimmt auch männliche Prostituierte, das kann ich wenigstens", nuschelt er, ich zerdrücke diesmal fast seine Finger. „Um was zu tun? Gabriel, ist das dein Ernst? Nachdem, was du gerade gesagt hast? Und außerdem ... was soll das heißen? Dass du nicht boxen kannst? Nicht malen kannst? Kein genialer bester Freund bist? Trotz allem", ich sehe ihn tief an und versuche, zu ihm durchzudringen. Er blinzelt und schaut mich überrascht an, sein Atem wird schwerer und unsere Hände sind noch immer verflochten. „Und was jetzt? Nur, weil du denkst, dass ich malen kann? Ich kann nicht mal mehr boxen, das ist Monate her, dass ich mit jemand anderem trainiert habe. Gott, ich kann vermutlich nicht mal mehr vögeln, das ist genauso lange her", flucht er und reißt sich von mir los. „Das kannst du. Also ich meine das Boxen, das andere bestimmt auch. Gabriel, was hältst du davon, wenn du hierbleibst?", höre ich mich fragen. Shit, jetzt ist es raus. „Was?", er schaut verwirrt und lacht nervös, aber ehrlich. „Du müsstest dir keine Gedanken um eine Wohnung machen, vorerst, sondern könntest wieder mit dem Boxen anfangen. Mit deinem Bruder. Du wärst nicht von ihm abhängig, sondern kannst euch beiden noch eine Chance geben. Du könntest dich bei ihm und Felix ... outen ... und hättest einen Rückzugsort. Und du müsstest dich auch nicht prostituieren", füge ich heiser hinzu; das auflockernde Lachen kriege ich nicht wirklich hin. „Das kannst du nicht ... Raphael, nein, das geht nicht. Ich schule dir schon eine Dusche und einen Kaffee, das ... ich kann nicht bei dir wohnen, das ... das kann ich dir nicht antun", Gabriel schluckt und sieht mich zweifelnd an. „Was willst du dann dir antun?", erwidere ich und er schweigt. Lange. Ich ebenso. In Gedanken spiele ich durch, was wäre, wenn ich ihn wieder wegschicke und ich weiß, dass das mehr wehtun würde, weil ich mir mehr Vorwürfe machen würde, als wenn er bleibt. „Willst du bleiben?", ich hebe den Blick wieder und schaue ihn warm an. So sehr ich es auch versuche, ich kann meine Gefühle nicht gänzlich verbergen, ich kann ihn mir nicht aus dem Kopf schlagen. Gott, und jetzt, wo er selbst gesagt hast, dass er bi ist und mir das Bild geschenkt hat, ist es noch schwerer. Weil er es ernst meinen könnte. Dabei ist es zu spät. Es ist zu spät, verdammt. „Theoretisch", antwortet Gabriel mit fester, tiefer Stimme und kommt auf mich zu, um nach Theos Anhänger zu greifen. Ich nehme ihn ihm weg und schubse ihn weit über die Arbeitsplatte. „Ich will auch, dass du bleibst. Glaub mir, es wäre auch für mich praktisch, wenn die Wohnung nicht leer ist wegen Theo. Ich weiß nicht, wie ich ihm verklickern soll, dass ... na, dass ich kein Interesse mehr habe", ich zucke leichthin mit den Schultern, Gabriel verschränkt die Arme. „Du warst an ihm interessiert?", nuschelt er und senkt den Blick, als würde es ihn nichts angehen. Verdammt, es geht ihn auch nichts an. „Na ja. Wir hatten ein paar Dates oder eher geschäftliche Treffen, die er getarnt hat, indem er immer etwas besprechen wollte. Und nach fünf Minuten war dann das Vermieter-Zeugs erledigt", offenbare ich Idiot ihm auch noch, Gabriel nickt und wippt hin und her. „Okay, dann ... ich bleibe, wenn es dir auch etwas bringt. Wenn du dann Theo nicht so fies korben musst, weil ich halt da bin. Aber ... wenn du mit wem anders hier sturmfrei haben willst, dann sag's, okay? Ich möchte dich nicht mit meiner Anwesenheit davon abhalten", Gabriel leckt sich nervös über die Lippen, ich ziehe die Luft ein. Tust du aber. „Ja, mal sehen. Wenn du ..", kann ich kaum sagen, da fällt er mir bereits ins Wort: „Würde ich hier niemals tun und habe ich auch keine Lust mehr drauf." Hä? Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sieht, atmet er tief durch und tippt mit seinen Fingern nervös auf seinem Oberarm umher. „Schau nicht so, irgendwann muss ich mit meinem Fuckboy-Leben abschließen. Haben Patrick und Felix schon längst, ich sollte auch endlich erwachsen werden", er schnaubt und ich schüttele den Kopf. „Du solltest nicht deswegen aufhören, sondern aus Überzeugung. Und ganz abgesehen davon, musst du doch nicht aufhören, ein Bad Boy zu sein. Also klar, Fuckboy schon irgendwann, wenn du eine Beziehung willst, aber ihr bleibt doch alle drei für immer bad. Das seid ihr, das ist euer Charakter und den musst du nicht aufgeben und den haben die beiden doch auch nicht aufgegeben", ich stupse ihn an und Gabriel lächelt halbherzig. „Na ja, ich weiß nicht. Ich kenne die beiden gar nicht mehr", murmelt er und spielt an seinen Armbändern, „selbst sie kennen mich nicht mehr." „Kann es sein, dass du dich selbst gerade erst kennenlernst? Zumindest einen Teil von dir? Du warst jahrelang nur der Zwilling, ihr beide. Und jetzt bist du du alleine. Das heißt ja nicht, dass du davor nicht du selbst warst, das warst du sicher auch. Du musst vermutlich nur herausfinden, wer ihr beide wart, wer nur er und wer nur du warst und ob es vielleicht noch andere Seiten an dir gibt", höre ich mich sagen. Shit. Gabriel lächelt, mehr noch, er grinst mich breit an und mein Herz macht einen zu großen Sprung. „Ich habe dich vermisst. Also ähm als ... Menschen, ich meine, wir sind ja jetzt vorübergehend Mitbewohner. Nicht, dass ich dich jetzt abfucken will oder so", er fährt sich durch die Locken und geht schnell zum Kühlschrank, um ihn zu durchsuchen. Es ist verrückt, ihn jetzt in meiner – unserer – Küche stehen zu sehen. Ihn allgemein zu sehen. Und jetzt mit ihm zusammenzuwohnen. Gott, was ist bloß los mit mir und meinen Prinzipien? Die anderen werden mich umbringen.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt